Pokémon Karmesin und Purpur im Test - Ich mag die Open World, aber sie schreit nach einer Switch Pro
Schon wieder der Allerbeste sein.
Man kann definitiv nicht behaupten, dass Pokémon-Fans langweilig werden würde. Nachdem das Jahr auf der Nintendo Switch mit Pokémon Legenden Arceus begann, endet es mit Pokémon Karmesin und Purpur, den beiden neuesten Teilen der Hauptreihe. Spiele, die sich einerseits ein wenig wie Arceus anfühlen, aber noch darüber hinaus gehen und obendrein mehr Elemente aus den traditionelleren Spielen der Reihe wieder aufgreifen. Aber da habe ich teilweise gemischte Gefühle, was das anbelangt.
Eine der größten Änderungen gegenüber den Vorgängerspielen ist, dass es in Karmesin und Purpur eine echte Open World gibt. Arceus hatte ja bereits einige weitläufigere Bereiche, aber die Struktur entsprach insgesamt eher einem Monster Hunter. In Karmesin und Purpur bewegt ihr euch (weitestgehend) ohne Ladezeiten durch die Spielwelt, die einiges zu bieten hat, aber auch nicht so mega ausufernd ist, dass ihr euch darin verliert. Groß, aber nicht zu groß. Und vor allem ist sie nicht mit Sammelkram überfüllt wie in manch anderen Spielen. Es sei denn, ihr zählt die vielen Pokémon dazu.
Offene Struktur und viel Freiraum
Diesem Open-World-Gedanken folgend, ist auch die Struktur der Spiele gestaltet. Es gibt drei Haupt-Storypfade, in denen ihr euch mit dem Sammeln von Arenaorden, dem Kampf gegen Team Star und der Suche nach Herrscher-Pokémon, im Grunde große und stärkere Varianten normaler Pokémon, befasst. Das Ausheben der Verstecke von Team Star und die Kämpfe gegen Herrscher-Pokémon sind eine willkommene Abwechslung zum üblichen Arena-Trott, aber letztlich folgen auch sie dem immer gleichen Ablauf. An echten Aha-Effekten mangelt es.
Die Reihenfolge, in der ihr das angeht, ist komplett egal. Ihr seht von Beginn an alle Arenen und dergleichen auf der Karte und wenn ihr wollt, könnt ihr sie auch direkt erreichen. Ihr müsst nicht erst Arenaleiter B bezwingen, um es mit Arenaleiterin C aufnehmen zu können und so weiter.
Was nicht heißt, dass es nicht gewisse Einschränkungen gibt. Einige der Aufgaben sind für Anfängerinnen und Anfänger gedacht, andere sind schon herausfordernder. All das hängt mit dem Level der Pokémon zusammen, mit denen ihr an den verschiedenen Orten konfrontiert werdet. Kurz gesagt: Je weiter ihr in der Paldea-Region nach Norden vordringt, desto kniffliger wird es. Ihr könnt euch grob an den Pokémon in der jeweiligen Umgebung orientieren. Ihr Level verrät euch, womit ihr es in einer Arena oder einem Versteckt zu tun bekommt. Im Prinzip gilt also: Ja, ihr könnt so ziemlich jeden Ort sofort erreichen, aber es empfiehlt sich nicht unbedingt.
Die Grenzen der Nintendo Switch
Das Problem an dieser offenen Welt ist hingegen, dass sie an die Grenzen der Nintendo Switch stößt. Und das merkt man hier und da spürbar. Nicht nur an den teils extrem groben Texturen an manchen Stellen, bei denen einem die Pixel förmlich ins Gesicht springen. Pop-ins, besonders von NPCs und Pokémon, sind auffällig und wenn ihr auf eurem Pokémon reitet, seid ihr so schnell unterwegs, dass manche Pokémon in der Umgebung überhaupt nicht oder eben erst sehr spät geladen werden. Was manchmal ein wenig ärgerlich ist, denn wenn ihr nicht gerade in hohem Tempo hindurch rast, bewegen sich viele Pokémon durch die Welt, ob einzeln oder in Rudeln. Grundsätzlich schön anzuschauen, wenn nur die Umgebungen noch etwas abwechslungsreicher gestaltet wären.
Hinzu kommen je nach Bereich noch Performance-Probleme. Besonders in größeren Städten ist sichtbar zu sehen, wie die Bildrate ein Stück weit in den Keller rutscht. Niemals in unspielbare Regionen, aber eine konstante Bildrate sieht anders aus. Und die Distanz, ab der weniger detaillierte Animationen verwendet werden, fühlt sich vergleichsweise niedrig an. So sehr, dass zum Beispiel Windmühlen in nicht allzu großer Ferne mit eher ruckartigen statt sanften Bewegungen Aufmerksamkeit generieren. Oder bei NPCs in Städten, die nur ein paar Meter von euch weg sind. Mitunter erweckt das in solchen Augenblicken eher den Eindruck eines Stop-Motion-Films. Des Öfteren ist es auch beim Start von Kämpfen vorgekommen, dass die Kamera kurzzeitig ein wenig im Boden hing. Ja, die Pokémon-Spiele hatten schon immer ihre technischen Schwierigkeiten, gerade im 3D-Bereich, aber das soll keine Entschuldigung sein. Erst recht angesichts des vielen Geldes, das dieses Franchise generiert, sollten eigentlich genügend Mittel da sein, um die Technik ordentlich aufzupolieren und zu verbessern.
Und es ist wirklich überwiegend die Technik, die diese beiden Spiele zurückhält und regelrecht nach einer Switch Pro, einer Switch 2 oder einfach nach einer leistungsstärkeren Konsole schreit. Wenngleich das alles aber ärgerlich ist, so gibt es hier und da aber bessere Animationen als in vorherigen Spielen. Und im Großen und Ganzen hat es mir nicht den Spaß am Spielen geraubt. Es ist nicht so, dass Pokémon Karmesin und Purpur kaputt oder mit kritischen Bugs gefüllt wären, die Technik bewegt sich einfach hart an der Grenze der Hardware und das sieht man ihr gerade bei einem 3D-Open-World-Spiel an.
Angesichts der schieren Größe sind auch einige Sachen der Schere zum Opfer gefallen. Die Zahl der Gebäude, die ihr betreten könnt, hält sich in Grenzen. Und selbst dann gibt es wenig Interessantes zu sehen. Bei Shops öffnet sich zwar die Tür, aber letztlich seht ihr nur ein Auswahlmenü vor euch. Die Welt interessant zu füllen, ist ein weiteres Problem, mit dem Game Freak zu kämpfen hat.
Die Welt könnte interessanter gefüllt sein
Ja, die Pokémon sind die Stars, aber wenn man eine große Welt hat, sollte man sie hier und da mit bedeutsamen Dingen füllen. Würde ich zumindest so machen. Ich vermisse hier die Nebenquests aus Arceus und hier könnte man sich bestimmt ein paar spannende Geschichten ausdenken, wenn man nur wollte. Spontan wüsste ich zum Beispiel nicht, warum ich mich längere Zeit in Städten aufhalten sollte. Die Farbe der Sprechblasen über den Charakteren zeigt euch zwar an, wenn es etwas zu holen gibt (dann sind sie golden hinterlegt), aber insgesamt fehlt mir dieser Anreiz, jeden einzelnen Charakter anzusprechen. Das geht definitiv besser.
Auf der positiven Seite steht wiederum, dass euch die Spiele, wie schon erwähnt, keine Steine in den Weg legen, wenn es ums Entdecken der Welt geht. Euer legendäres Pokémon erhaltet ihr früh im Spiel und es dient zugleich als Reittier, weitere Fähigkeiten kommen später hinzu. Ihr habt so selten das Gefühl, dass euch die Spielwelt in irgendeiner Form zurückhält oder begrenzt.
Ebenfalls schön integriert ist die Akademie, auf die ihr in der Paldea-Region geht. Hier erfahrt ihr in Kursen mehr über die Spielmechaniken und über die Region selbst. Ebenso könnt ihr euch mit den Lehrern und Lehrerinnen anfreunden und ihnen bei Problemen helfen, um Belohnungen zu erhalten. Dennoch: Bei all der Zeit, die ihr euch in der offenen Welt aufhaltet, fällt es manchmal zu leicht, die Akademie komplett zu vergessen, bis sie einem wieder ins Gedächtnis gespült wird.
Fotomodus? Ja. Bis zum Ende gedacht? Nein.
Passend zur offenen Welt gibt’s übrigens auch einen Fotomodus, mit dem ihr etwa Selfies machen könnt. Aber: Es ist nicht möglich, währenddessen sein(e) Pokémon gezielt zu platzieren. Und wenn ihr es vorher aus dem Ball lasst und euch in Position bringt, läuft es nach ein paar Sekunden wieder aus dem Bild heraus. Seufz. Warum wird denn in einem Pokémon-Spiel nicht daran gedacht, Posen mit seinen eigenen Pokémon zu ermöglichen? Das ist die erste Idee, die ich bei einem Fotomodus hätte.
Wenigstens gibt’s ein paar andere nützliche Features, die euch während eures Abenteuers unter die Arme greifen. Stellt Sandwiches her und ihr bekommt nützliche Boosts, während die Auto-Heilung als Option dafür sorgt, dass eure Pokémon (ausreichend Items vorausgesetzt) immer topfit und kampfbereit sind. Ebenso seid ihr bei den TMs nicht nur darauf angewiesen, sie in der Welt zu finden oder zu kaufen, ihr könnt sie jetzt sogar selbst herstellen und so eure Pokémon mit neuen oder anderen Attacken versorgen, die ihr gerne hättet.
Terakristallisierung als neue Option
Abseits der neuen Pokémon-Generation, bei denen es einige schöne neue Designs gibt (andere sind weniger schön) – weitere Details nenne ich aus Spoilergründen nicht -, wird auch mit der Terakristallisierung eine neue Kampfmechanik eingeführt. Setzt ihr sie ein, bekommt euer Pokémon eine Art Kristallhülle und nimmt einen bestimmten Tera-Typ an. Der kann komplett dem eigentlichen Typ des Pokémon widersprechen, etwa ein Wechsel von Drache/Flug zu Eis, und mithilfe von Tera-Stücken lässt er sich auch ändern. Vereinzelt stoßt ihr auch auf Tera-Pokémon in der Wildnis und könnt sie bei leuchtenden Kristallen in Raids bekämpfen. Letztere funktionieren ähnlich wie in Schwert und Schild, aber hier wird wird nicht der Reihe nach gekämpft, sondern gleichzeitig, zudem könnt ihr für Boosts und Heilung auch die anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmer – KI oder menschliche Spieler - anfeuern.
Die Terakristallisierung gibt euch noch einmal mehr taktische Optionen und Individualität bei der Zusammenstellung eurer Pokémon. Möglicherweise könnt ihr so einen Gegner mit einem Tera-Typ überraschen, den er oder sie nicht erwartet hat. Einfach ist das Ganze aber nicht. Ihr seht den Tera-Typ erst nach der Terakristallisierung und den dafür nötigen Terakristall-Orb müsst ihr erst einmal aufladen (durch Attacken oder an einem Pokémon Center).
Was ich tatsächlich vermisst habe, ist die Fangmechanik aus Arceus. Im hohen Gras anschleichen und dem Pokémon in Sichtweite von hinten einen Ball in den Rücken werfen, um es zu fangen, ich hatte wirklich meinen Spaß mit dieser Variante. In Karmesin und Purpur müsst ihr wieder kämpfen, bevor ihr ein Pokémon fangen könnt, also die klassische Methode. Als etwas unterwältigend empfand ich zudem die Arenaprüfungen, die ihr absolvieren müsst, bevor ihr den Leiter oder die Leiterin einer Arena herausfordern könnt. In den meisten Fällen ist es nicht das, was ich als eine echte Prüfung bezeichnen würde, so einfach waren sie. Nicht, dass ich knallharte Kopfnüsse erwarte, die keiner lösen kann, aber etwas anspruchsvoller als das hier darf es gerne sein.
Pokémon Karmesin und Purpur - Fazit
Ich möchte Pokémon Karmesin und Purpur mehr mögen, als ich es tue. Das hier ist ein Konzept, in dem viel ungenutztes Potential steckt. Auf der einen Seite gibt es im Grunde all das, was ihr an Pokémon-Spielen liebt und was sie ausmacht. Die neue Open World ist auf der einen Seite toll und es fühlt sich alles viel freier, nicht-linearer an. Und das passt wunderbar zu Pokémon. Auf der anderen Seite ist die Technik ein echter Knackpunkt und Game Freak hätte die Welt noch mit viel mehr interessanteren Dingen füllen können, nein, müssen.
Lasst es mich so formulieren: Die Technik steht für euch nicht an erster Stelle und ihr könnt über Schwachpunkte hinwegsehen? Ihr braucht einfach nur ein neues Pokémon-Spiel, um glücklich zu sein? Gut, viel Spaß mit Karmesin und/oder Purpur! Ist euch eine makellose Technik wichtig, werdet ihr euch an dem einen oder anderen Punkt stören. Fakt ist aber, dass ich beim Spielen Spaß hatte, was für mich am Ende immer noch am meisten zählt. So unschön die technischen Unzulänglichkeiten und offensichtlichen Grenzen der Switch-Hardware hier sind, sie trübten meinen Spielspaß nicht. Und von dem kann man hier wieder viel haben, wenn man sich darauf einlässt, Paldea zu erkunden und sie alle zu fangen. Ich bin überzeugt: Die Zukunft von Pokémon liegt in offenen Welten, Game Freak muss sie nur noch besser in den Griff kriegen und mit interessanteren Dingen füllen.
Pokémon Karmesin und Purpur Wertung: 7 / 10
Pokémon Karmesin und Purpur - Pro und Contra
Pro:
- Wenig Einschränkungen durch die offene Welt
- Die strikt lineare Führung durch das Spiel weicht einem offenen Design
- Die Terakristallisierung bringt neue taktische Optionen
- Nützliche neue Features wie die TM-Herstellung
Contra:
- Die technischen Einschränkungen der Switch zeigen sich deutlich
- Vereinzelt Performance-Probleme
- Die Welt könnte mit interessanteren Inhalten gefüllt sein
- Dem Fotomodus fehlen essentielle Optionen
Entwickler: Game Freak - Publisher: Nintendo - Plattformen: Nintendo Switch - Release: 18.11.2022 - Genre: Adventure, RPG - Preis (UVP): 59,99€