Pokemon Omega Rubin und Alpha Saphir - Test
Die Welt hat sich verändert. Doch Pokemon bleibt Pokemon. Ist das wirklich schlecht?
Was kann man überhaupt noch über Pokemon schreiben, das nicht bereits Dutzende Male gesagt, geschrieben oder auf Pausenhöfen gebrüllt wurde? Seit den ersten Editionen von 1996 hat sich das Kernprinzip der Spiele nicht verändert. Ihr startet eure Reise entweder als Junge oder Mädchen, erhaltet von einem schon fast verdächtig freundlichen Professor eines der niedlichen Kampftiere und beginnt damit eure lange Abenteuerreise. Auf dem Weg zum Titel des besten Pokemon-Trainers besiegt ihr acht Arenaleiter, vereitelt die absurden Pläne einer stümperhaften Organisation und kämpft abschließend gegen die Top Vier - oder wie ich sie gerne nenne: das exzentrische Cosplay-Quartett.
Die Welt ist jedes Mal ein wenig anders, neue Pokemon treten hinzu und auch sonst ändern sich höchstens ein paar kleine Facetten. Im Fall von Rubin und Saphir waren es damals beispielsweise die Wettbewerbe, bei denen Pokemon in einer Art Schönheitswettbewerb vor einer Jury ihre tollsten Angriffe präsentierten. Selbst für eine Serie, die passend zur Thematik mehr Evolutionen als Revolutionen in den Vordergrund stellte, gehörte die dritte Spielegeneration schon damals zu den weniger mutigen Ablegern.
Vielleicht ist es deswegen so verwunderlich, dass Omega Rubin und Alpha Saphir von allen bisher erschienenen Remakes die aufwendigste Überarbeitung erhielten. Besonders optisch fiel der Sprung von der alten Pixelgrafik zum bezaubernden 3D-Gewand groß aus. Hoenn wirkt wie ein völlig neues Gebiet. Es erinnert nur noch in seiner Struktur an das Original. Eine simple Portierung auf die neue Engine reichte Entwickler Game Freaks dabei nicht. Verglichen mit Pokemon X und Y verwöhnen euch Omega Rubin und Alpha Saphir mit mehr Kamerafahrten und zeigen ein generell geschickteres Gespür beim Einsatz von Perspektiven, wenn es um die Einführung neuer Gebiete geht. Man merkt beim Spielen die leichte Entwicklung und Sicherheit im Umgang mit der gewonnenen Freiheit. Einziger Nachteil der audiovisuellen Erfahrung? Jetzt wünsche ich mir, dass Game Freaks noch einmal zu Gold und Silber zurückkehrt, um ihnen eine zweite Neuauflage zu spendieren, weil ich unbedingt frei über ein dreidimensionales Kanto und Johto fliegen möchte. So wie es am Ende von Omega Rubin und Alpha Saphir möglich ist. Aber hey, träumen darf man ja noch.
Neben der optischen Generalüberholung findet ihr die meisten Neuerungen versteckt im Poke-Multi-Navi. Eine Erweiterung des Menüs, die jederzeit über den Touchscreen anwählbar ist. Betrachtet aktuelle Statistiken, koordiniert das Poketeam oder wählt ein Item aus dem Rucksack aus. Zudem aktiviert ihr über das Gerät die in Pokemon X und Y eingeführten Trainingsminispiele. Dort verbessert ihr zwischen Kämpfen die Attribute der kleinen Racker oder vertieft eure Bindung zu ihnen. Selbst wenn ihr nicht darauf besinnt seid, das Optimum aus euren Begleitern zu holen, sorgen die kurzweiligen Interaktionen immerhin für zusätzliche Abwechslung während der Reise.
Die wirkliche Genialität der technischen Zauberkiste verbirgt sich in der Übersichtskarte. Auf Knopfdruck erfahrt ihr sofort, welche Pokemon ihr an welchem Ort gefunden habt, wo genau sich verschiedene Arten aufhalten und wie viele ihr an bestimmten Plätzen noch finden könnt. Letztere Option ist die treibende Kraft unter den neuen Funktionen. Zumindest für mich. Kleine Silhouetten auf den im Retrolook gehaltenen Abbildungen der Gebiete triezten mich ständig mit fehlenden Monstern, die ich unbedingt finden musste. Warum? Weil es mir das Spiel direkt unter die Nase rieb! "Willst du wirklich in das nächste Gebiet?", flüsterte das Modul mir mit teuflischer Zunge jedes Mal ins Ohr. "Aber du hast eines der Pokemon hier noch nicht getroffen. Es wäre wirklich schade, die Silhouette neben allen anderen Portraits so leblos grau zu lassen. Komm schon, wie lange kann es maximal dauern?"
Es mag sich wie ein kleines, für manche vielleicht sogar unnötig nerviges Element anhören, doch zeigte es eindeutige Auswirkungen auf mein Spielverhalten und sogar Erfolgsgefühl. Ich hatte mehr Spaß beim Durchsuchen der Umgebungen, ließ nicht ständig meine Augen bei einem Zufallskampf rollen und freute mich sogar über plötzliche Eingriffe in den Spielfluss. Ist es arbiträr? Auf jeden Fall. Doch den für mich positiven Effekt kann ich nicht leugnen. Auch ohne ein ungesundes OCD-Verhalten bewiesen sich die neuen Funktionen als nützliche Elemente. Wer die Anzeige fehlender Pokemon für überflüssig hält, freut sich dennoch über die genaue Auflistung aller Fundorte bestimmter Kampftiere. Es greift in die Formel ein, ohne die generelle Struktur des Originals zu verändern, und schafft in diesem Bereich damit mehr als die aktuellste Generation aus dem letzten Jahr.
Was Game Freaks dagegen nicht ausgebügelt hat, sind die offensichtlichen Probleme der alten Versionen. Vielleicht wollte das Team an der damaligen Ausarbeitung festhalten, aber Dinge wie den viel zu leichten Schwierigkeitsgrad hätte man unbedingt neu balancieren müssen. Bis auf die wiederholten Kämpfe gegen die Top Vier verlangen nicht einmal die Arenaleiter ernsthafte Taktiken oder gute Teams. Und da ihr nun den Erfahrungspunkteverteiler aus Pokemon X und Y dabei habt, steigen eure Zwangshaustiere noch schneller im Level auf. Durch das kleine Instrument erhält jedes Taschenmonster nach einem erfolgreichen Kampf Erfahrungspunkte. Zwar dürft ihr das Utensil jederzeit deaktivieren, wirklich schwerer macht es das Abenteuer jedoch nicht. Seit einer halben Ewigkeit schreien Spieler nach einem höheren Schwierigkeitsgrad und vertrösten sich solange mit selbst auferlegten Herausforderungen wie der Nuzlocke-Challenge. Ernsthaft, es gibt wohl kein stureres Entwicklerstudio als Game Freaks, was Eingriffe am zentralen Spieldesign angeht.
Als richtig lästig stellt sich bei längerem Spielen die hohe Anzahl von VM-Techniken heraus. Obwohl verglichen mit anderen Generationen nur ein paar mehr existieren, zeigt sich später die deutliche Auswirkung. VM-Techniken sind schwache Angriffe, die benutzt werden müssen, um die Spielwelt zu beeinflussen. Beispielsweise durch das Zerschneiden von Bäumen. Da jedes Pokemon maximal vier Angriffe lernen kann, zwingt euch das leicht erhöhte Aufkommen von VM-Attacken, wichtigere Fähigkeiten zu vergessen. Aus diesem Grund nehmen die meisten Leute ein oder zwei sogenannte VM-Sklaven mit in ihr Team auf. Quasi nutzlose Pokemon, die allein für den Gebrauch von VMs dort verweilen, um wichtigere Kreaturen nicht mit den für Kämpfe unbrauchbaren Fähigkeiten zu belasten.
Ansonsten bemängeln viele Spieler die hohe Menge an Wassergebieten, womit ich hingegen nie ein Problem hatte. Hoenn setzt sich durch das nasse Element von den anderen Arealen stärker ab, als es zum Beispiel Kanto und Johto im direkten Vergleich tun. Die Wassergebiete gehören zur Persönlichkeit der Region und bieten eine dankbare Abwechslung zum restlichen Reisen. Außerdem gehören einige der interessantesten Orte wie die geheimnisvolle Unterwasserhöhle dazu.
Die letztendliche Empfehlung fällt bei einem Pokemon-Spiel immer leicht. Omega Rubin und Alpha Saphir sind da keine Ausnahmen. Hier steht Pokemon auf der Packung und es ist Pokemon drin. Eine liebevolle Überarbeitung des GBA-Spiels von 2003, die auf technischer Seite über X und Y steht. Einige Probleme des Originals sind weiterhin enthalten, fallen in Betrachtung des Gesamtbildes aber kaum auf. Ich kann mich noch so oft über die leichte Kampagne beschweren, doch die wahre Herausforderung wartet wie so oft im Endgame und gegen andere Spieler.
Möchtet ihr mal wieder auf Pokejagd gehen, nostalgische Gefühle aufleben lassen oder zum ersten Mal die bunte Welt der Taschenmonster bereisen, kann ich euch die Neuauflagen nur wärmstens ans Herz legen. Erwartet ihr dagegen eine Designrevolution, solltet ihr Abstand halten und zu anderen Rollenspielperlen auf dem 3DS greifen.
Mittlerweile dürfte jeder wissen, wie er zu der Serie steht. Pokemon bleibt eben Pokemon.