Prügel für alle! Street Fighter 6 ist eine Offenbarung für Neueinsteiger und Gelegenheitsschläger!
Nach SF5 endlich wieder eines für alle!
Als ich vorgestern vor Ort bei Capcom in Hamburg ein wenig Tokyo-Game-Show-Nachlese betreiben durfte, war Street Fighter 6 nicht der Titel, den ich in meinem Terminkalender vermerkt hatte. Da stand was von Resident-Evil-Village-Erweiterung, denn meinem Beuteschema entsprechen Fighting Games seit den frühen Tekken- und Soul-Calibur-Tagen nicht mehr.
Ich mochte Prügelspiele immer, bewundere die Eleganz und den Sportsgeist, der den Besten unter ihnen innewohnt. Sobald ich jedoch solo durch war, mit diesen Titeln, kam im Versus immer schnell der Punkt, an dem mir klarwurde, dass meine Finger hierfür einfach nicht gemacht sind. “Zwecklos” dachte ich mir dann fast immer – und mein Ehrgeiz reicht nicht dafür aus, mich verbessern zu wollen. Und jetzt ist mir nach zwanzig Minuten Street Fighter 6 schon klar, dass mir dieses Spiel wahnsinnig viel Spaß machen wird. Es ist beinahe unmöglich, das hier nicht zu lieben.
Das liegt in erster Linie an zwei Dingen. Zum einen an der Aufmachung und Präsentation, die so wahnsinnig vor nur so übersprudelnder Energie strotzt, dass einem Hören und Sehen vergeht. In jeder Bewegung steckt so viel Kraft und Charakter, dass einem zu jeder Sekunde die Augen übergehen. Dass zu jeder Sekunde trotzdem Klarheit darüber herrscht, was hier gerade passiert, sollte man nicht unterschlagen, denn es ist das eigentliche Kunststück bei der mächtigen, niemals abreißen wollenden Dauerkombo, die meine Augen hier fressen müssen.
Es macht einfach Spaß, den schmissigen Moves der charismatischen Kämpferriege zuzuschauen. Ob es nun die Grimassen vor einem Fight sind, das Einlaufen in die Stage – Guiles Flugzeugträger ist übrigens zurück! – oder die Figuren selbst. Wunderbar harte Kontraste bei der Farbwahl, kreative Bewegungen und Attacken und allgemein markantere Looks, wohin man nur schaut, definieren dieses Spiel.
Das beginnt nur mit Ryu, der mittlerweile zum Lederkoffer ohne Rollen mutiert ist und vor Kraft kaum laufen kann, geht über einen Rückkehrer Guile, dessen Frisur mit den Jahren nicht wahrscheinlicher wurde, bis hin zu Chun Li, die nun selbstbewusster designt ist und sich generischen westlichen Schönheitsidealen nicht mehr so sehr anbiedern muss. Und von den Farbeffekten, die Spezialmanöver untermalen, habe ich da noch nicht einmal angefangen. Splatoon sieht daneben wie ein zu stramm gekämmter Schnösel aus, der sich ungern die Klamotten schmutzig macht. Also Street Fighter 6 ist zum Augen rausfallen schön, mit Freude designt, widersteht zugleich aber auch der Versuchung, seine Akteure mit zu viel Lametta zu behängen. Einfach toll.
Was mich aber komplett auf dem falschen Fuß erwischte, ist, wie Capcom Gescheiterten, Verflossenen und Gelegenheitsspielern wie mir, der ich zu allen drei Kategorien gleichzeitig zu gehören scheine, die Tür aufhält. Auf dass wir uns auch mal wieder näher rantrauen, um diesem unbeschreiblichen Spektakel beizuwohnen. Der wichtigste Baustein: Eine „moderne“ Steuerungsvariante, die den Kampf gehörig vereinfacht. Wobei, vereinfachen impliziert, dass sie dem Spiel den Anspruch austreiben oder dem Spieler beziehungsweise der Spielerin einen Vorteil verschaffen würde. Dem ist nicht so. Es sind einfach nur weniger Tasten für diejenigen die sich auf Reflexe, Nerven und Taktik verlassen wollen, anstatt Kombos auswendig zu lernen.
Und siehe, binnen kurzer Zeit entbrannten spannende und nicht zu tastenhämmernde Duelle, ohne dass man ständig das Gefühl hatte, das Spiel pausieren zu müssen, um mal wieder einen Move nachzuschauen. Man kann sich drauf konzentrieren, gut zu parieren oder zu blocken, nach Gelegenheiten suchen, die Initiative zu übernehmen und — hach! — einfach nur zocken. Das war wahnsinnig erfrischend. Wer die komplexere Variante bevorzugt, der darf das mit der klassischen Sechs-Tasten-Steuerung und fortgeschrittener Steuerkreuzakrobatik natürlich immer noch machen — und den richtigen Einsatz der neuen Drive-Leiste zu einer Meisterklasse in umgekehrter Psychologie erklären.
Mit ziemlicher Sicherheit geht die Reduktion der Kompliziertheit in der modernen Steuerungsvariante nicht mit einem Nachteil für klassisch spielende User einher. Nur weil der Feuerball keinen Viertelkreis mehr erfordert, bin ich noch lange nicht auf einem Level wie ein Fortgeschrittener oder ein Experte, dem dieser Move sehr viel schneller von der Hand geht, als ich die für Specials reservierte Dreieckstaste finde. Aber diese neue Steuerungsvariante bringt halt viel vom Pick-up-and-play-Faktor zurück, wegen dem diese Spiele in den Studenten-WGs dieser Welt die Dauerschleife in der PlayStation drehten.
Auch der Extreme-Battle-Mode spielt da mit hinein, die Fun-Variante, bei der schon mal ein wütender Stier durchs Bild galoppiert oder man nicht nur Handkanten und Fußsohlen hin und her wirft, sondern auch tickende Bomben Heiße-Kartoffel-mäßig zum Gegner bugsiert. Dazu kommt ein Solo-Modus mit einer Quasi-Open-World, in der man einen eigens erstellten Charakter immer weiterentwickeln kann. Auch diese Spielvariante kann ich mir für viele als Dosenöffner vorstellen, die zwar das Spielgefühl und -Konzept lieben, aber an der sportlichen Seite regelmäßig verzweifeln. Vielleicht fällt bei dem einen oder anderen im Verlauf dieses Modus‘ schließlich doch der Groschen und er entwickelt noch Ambitionen?
Auch verpackt das Spiel viel Tiefe in einfachen Systemen. Der Poker mit der mehrteiligen Drive-Leiste, ist schon ein viel versprechendes taktisches Element für sich. Spammt man Drive Impacts oder Parries, ist der Balken schnell leer — und man ist dann besonders verwundbar, wodurch man auch einen wahrscheinlichen Sieg schnell wegschenken kann. Es ist komplex, ohne kompliziert zu sein und heißt Leute wie mich damit umso willkommener, sich ein wenig reinzuknien.
Unterm Strich muss ich sagen, dass mich das Street Fighter 6 in nur wenigen Minuten so restlos begeistert hat, wie das selten passiert (und wie ich es bei dieser Sorte Spiel nicht erwartet hätte). Es entfachte tatsächlich den alten „Ich will auch Mal“-Funken, den ich damals spürte, als ich das erste Mal auf Prügler diese Sorte traf. Einladend und inklusiv, ist Street Fighter 6 vielleicht endlich wieder das Spielgegenstück zum ruppigen Spaß-Gerangel unter Freunden, das Prügler für mich damals immer waren.
Allen, die es in diesem Genre zu einer gewissen Kunstfertigkeit gebracht haben, wird egal sein, dass jemand wie ich sich über den neuen Ansatz freut, aber das müssen sie zur Abwechslung mal aushalten. Für sie hatte Capcom Street Fighter 5 gemacht und darüber die Casuals und Spaß-Spieler vergessen.Teil 6 sieht ganz danach aus, als könnte es eins für alle sein: Für Sportler, für Couch-Gäste und für Spektakel-Liebhaber zu gleichen Teilen. Es ist nicht einfach, den neuen Teil einer so altgedienten Serie so aufregend und spannend wirken zu lassen. Alle Achtung, Capcom!