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Push:Start - The Art of Video Games - Buchrezension

Ein klein wenig Nerd für den Salon gefällig?

Eurogamer.de - Empfehlenswert Badge

Die Geschichte des Kaffeetischbuches - oder vielmehr Coffee Table Books, wie die gängige Fachbezeichnung auch in diesem Land heißt - reicht erstaunlich weit zurück. Auch wenn einer der ersten offiziell erwähnten Schreiber eines solchen sein Werk ganz sicher nicht als solches im Hinterkopf hatte. Michel de Montaigne war einer der wichtigsten Philosophen der französischen Renaissance und sein Werk "Über einige Verse des Vergil" war ziemlich genau das, was der Titel versprach: Ein kluger Mensch machte sich Gedanken zu dem, was ein anderer kluger Mensch mal gesagt hat. Der Vorteil dieses Essays war, dass man weder Vergil oder sein Werk kennen, noch allzu tief in die Gedankenwelt Montaignes gehen musste, um einfach mal zwischendurch eine Seite zu lesen und sich danach selbst etwas klüger zu fühlen. "Ich bin verärgert darüber, dass mein Buch in erster Linie dazu dient, damit es die Dame des Hauses in das Fenster des Salons auslegen kann." Er hätte sich freuen sollen, schließlich hat er nebenbei auch noch das Coffee Table Book definiert.

Die bekanntesten dieser Bücher dürften Dinge wie "70 Jahre Time Magazine", "Ansel Adams: 400 Photographs" oder "The Art of Metal: Five Decades Of Heavy Metal Album Covers, Posters, T-Shirts & More" gehören, vor allem letzteres ein großer Klassiker, aber egal was das Thema ist, der Sinn ist immer relativ ähnlich: Legt etwas aus, das etwas über euch sagt oder von dem ihr möchtet, dass es über euch gesagt wird. Etwas, das einen Gast, der mal ein paar Minuten warten muss, weil ihr das Klo besucht, unterhält oder das lockeren Gesprächsstoff bietet. Es gibt keinen Mangel an solchen Büchern im Bereich der Videospiele, allgemein nennen wir sie Art-Books und zu praktisch jedem etwas größerem und auch kleinerem Spiel gibt es eines. Ihr Sinn ist vor allem, dem Fan etwas zu geben, an dem er sich erfreut und dem Konzept-Künstler sagen zu können, dass seine ursprüngliche Vision nicht komplett in die Rundablage wanderte. Diese Bücher sind aber schon sehr speziell und wenn es um den Rundumschlag auf dem Kaffeetisch geht, der einfach sagen soll: "Ich mag Videospiele und zwar alle", dann könnt ihr kaum besser fahren als mit Push:Start - The Art of Videogames.

Das ist Coffee Table Book in Reinstkultur. Erwartet hier nichts zu lesen. Zu jedem der sehr zahlreichen Spiele gibt es einen Namen, ein Jahr und einen Entwickler, aber das war es auch schon. Selbst das Vorwort scheint mehr in einem Nachgang entstanden, als auffiel, dass so etwas wohl zum guten Ton gehört. Etwas länger und vor allem langatmig wie auch erkenntnisarm fiel eine weitere Betrachtung zum Thema Spiele und Kunst aus, die ihr auf den letzten Seiten findet. Verfasst von Prof. Dr. Stephan Günzel von der btk Hochschule für Gestaltung hangeln sich diese Seiten sehr gewollt entlang der Definition von Kunst und ein paar scheinbar willkürlich ausgewählten Techniken der jeweiligen Gaming-Ära. Der Mann hat ein paar spannende Texte zu gestalterischen Theorien im Bereich Gaming verfasst, Dinge wie "Egoshooter. Das Raumbild des Computerspiels." kann dem geneigten Leser viel geben, das hier ist die Auftargsarbeit, die einem fünf Minuten vor Abgabe einfiel. Und auch der Teifpunkt von Push:Start.

Zwischen diesen wenigen Text-Seiten liegen sehr viele bunte, auf denen ihr nur klein den Namen des Spiels, das Jahr, die Plattform, den Entwickler und - nicht ganz alltäglich und interessant - den Komponisten des Soundtracks findet. Der Rest der meist einen Seite, mal auch einer Doppelseite nimmt ein Bild des Spiels ein. Natürlich nicht einfach ein schnöder Screenshot, sondern ein inszenierter Ausschnitt, mal auch ein Artwork und vor allem viele, große Pixel in den ersten 80 Prozent der 215 ausgewählten Titel. Push:Start spielt wie immer mit dem Retro-Reflex des Wiedererkennens und des Ausstoßes von Retro-Endorphinen im Hirn des Betrachters. "Uhh, das ist Sonic, den kenne ich seit ich klein war." Ihr kennt diese Art von Buch, ihr kennt diese Pixel-Ästhetik, dieses ist nicht das einzige Buch, das diesen Weg in der letzten Dekade ging. Es hilft aber, wenn es sich mit der Präsentation Mühe gibt und hier gehört Push:Start auf jeden Fall in die Oberklasse. Das große Format, das stabile Papier, die hohe Druckqualität: Die Farben springen euch förmlich entgegen und suchen einen Retro-Kuschel-Trip mit diesem gewissen Teil der Wahrnehmung des Betrachters, der plötzlich wieder den Amiga oder das Nintendo vor sich flimmern sieht. Funzt, macht Spaß.

Interessant ist die Auswahl der Spiele. 215 ist jetzt nicht so viel, bedenkt man die Zehntausende da draußen. Die meisten Pixel-Art-Bücher versuchen sich thematisch zumindest ein wenig einzuschränken, aber dieses hier will es wissen: Vom 1952er OXO - Tic-Tac-Toe auf dem ersten Computer mit Schreib-Lese-Speicher - bis zu Halo 5 geht die Reise. Natürlich nicht immer gleichmäßig. Auf die 20 oder so Spiele der späten 70er folgen fast 250 Seiten alter Arcade-Maschinen, 8- und 16-Bit-Systeme. Da bleiben dann nur noch 100 Seiten für die 00er- und Folgejahre. Große Pixel sehen halt toll aus. Dachten sich die Gestalter dieses Buches.

Zu erwartende Klassiker wie Space Invaders, Sonic, Mario, Out Run, Metal Gear Solid und Shadow of the Colossus sind natürlich bei so einem Buch dabei. Es wäre sicher kein Problem gewesen, 215 solcher markanten, generell bekannten Titel zu nehmen, aber es findet sich erstaunlich viel Ungewöhnliches dazwischen: Tehkan World Cup? Nie gehört. Juhu, Little Computer People! Es gab ein Spiel namens Isolated Warrior auf dem NES? Dead or Alive Paradise hier? Es war anders, das stimmt wohl. Und ich kenne es nicht, aber Kabuki Quantum Fighter ist einer der besten Videospielnamen aller Zeiten. Und es hat hier eine Seite bekommen. Gut für den Kabuki Quantum Fighter.

Ein kleines Gimmick, perfekt passend zur aktuellen Retro-Welle in Verbindung mit dem Vinyl-Comeback, findet ihr ganz hinten in einem stabilen Einschub: eine 10'' Color-Vinyl in quietschigen Transparent-Gelb, die acht mehr oder weniger gelungene Remixe von einen bekannten Themen enthält: Castlevania, Mega Man II, Mario und Tetris. Mal nah am Original und nur ein wenig poliert, mal passend für die nächste Italo-Disco-Party. Solltet ihr keinen Plattenspieler haben - solche Leute soll es ja immer noch geben - findet ihr auch einen Download-Code anbei, DRM-freie 320-Kbit-Qualität frei Haus. Ich würde das Buch nicht für die Platte kaufen, aber als etwas skurrile Ergänzung zum Buch freut mich dann der jung-archaische Tonträger dann doch.

Push:Start kostet etwa 60 Euro und ist zum Beispiel über getDigital zu haben, die auch unser Rezensionsexemplar stellten.

Ihr habt da diesen Deko-Tisch? Einen Wohnzimmertisch, der einfach nicht voll genug aussieht? Diesen Salon im Eingangsbereich eures Privatschlosses aus dem 17. Jahrhundert? Wenn ja und da soll dann ein wenig Nerd-Pseudo-Kultur untergebracht werden, in der der der geneigte, wartende Gast etwas blättern darf, gibt es kein universelleres Buch als Push:Start. Einmal Videospielgeschichte bitte, alles wohlgebunden zwischen zwei stilvollen Covern und so hochwertig in der Optik wie der Haptik. Nein, es ist kein informatives Buch. Keines, das euch etwas Neues zeigt oder verrät. Aber es ist ein schönes Buch, beim Blättern freut man sich jedes Mal über die kleinen visuellen Retro-Häppchen und da das von Anfang an die einzige Intention von Push Start - The Art of Video Games war, kann man wohl von einem vollen Erfolg sprechen.

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Martin Woger Avatar
Martin Woger: Chefredakteur seit 2011, Gamer seit 1984, Mensch seit 1975, mag PC-Engines und alles sonst, was nicht FIFA oder RTS heißt.

Informationen zu unserer Test-Philosophie findest du unter "So testen wir".

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