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American McGee Presents Bad Day L.A.

Satirisch wertvoll.

Die USA - ein Rätsel. Gegenstand von Hunderten tiefenpsychologischer Abhandlungen. Hollywood und Weltpolizist. Multikulturelle Gesellschaft und Ku-Klux-Klan. Prüderie und San Fernando Valley. Altruismus und Sozialdarwinismus. TV-Gehirnwäsche und kulturelle Vielfalt. Fast Food-Fresserei und Gourmandie. Gigantomanie und Mikrokosmos. Demonstration militärischer Stärke und manisches Sicherheitsbedürfnis. Kontrollwahn und die große Freiheit...

Was geht in einer Nation vor, die alljährlich in aberwitzig teuren Kinostreifen Terrorakte und Naturkatastrophen nachstellt - mit jedem Mal NOCH realistischer, NOCH gewaltiger, so dass der Zuschauer verdattert sein Popcorn auf den Boden statt in den Mund bröselt und sich NOCH verängstigter in seinen Klappsitz presst? Eine Nation, die sich auf der anderen Seite ein eigenes Home Security-Ministerium gönnt, um stets für alles gerüstet zu sein, was den amerikanischen Alltag bedrohen könnte? Eine Nation, die die Hydra des Terrors auf eine Art und Weise zu bekämpfen versucht, die unweigerlich neue Terrorakte provoziert?

Kult-Spieledesigner American McGee, ehemals bei den 3D-Action-Pionieren von id Software beschäftigt und Schöpfer der genialen "Alice"-Spieleadaption, zeigt uns jetzt seine Sicht der USA. "Bad Day L.A." ist ein mehrstündiger Comic-Strip, in dem die Menschen alle nett aussehen - abgesehen natürlich von Terroristen in ihren Furcht erregenden Kampfanzügen. Die Straßen sind sauber in L.A., schmucke Häuschen mit aseptischen Gärtchen säumen den Weg.

Man sollte es nicht für möglich halten, wie ein simpler Nagelknipser die Sicherheitskräfte in Aufruhr versetzen kann.

Der Anti-Held von Bad Day L.A. ist ein abgerissener Afro-Amerikaner namens Anthony, der am Rande der Gesellschaft lebt. Er hat das Gehabe und die Ausdrucksweise aus seichten Will Smith- und Eddie Murphy-Buddy-Komödien schon bestens verinnerlicht und reichert das Ganze mit einem Schuss kultivierter Gossensprache an. Eigentlich weist zunächst nur Anthony darauf hin, dass in der Stadt der Engel eben doch nicht alles nett, schmuck und aseptisch ist: In heruntergekommenen Klamotten schiebt er den geklauten Einkaufswagen mit seinen wenigen Habseligkeiten seelenruhig über den Highway und provoziert die Autofahrer, bei denen sich gerade im wahrsten Sinne des Wortes Wut und Aggressionen aufstauen. Bis alles plötzlich viel schlimmer kommt: Anthony möchte gerade mitten auf der Straße sein großes Geschäft verrichten, als Terroristen einen mit Giftgas beladenen Passagierjet in die nahe gelegene Brücke stürzen lassen.

Damit gerät die schöne amerikanische Welt aus den Fugen: hysterisch kreischend rennen die Menschen ziellos umher, manche von ihnen brennend, andere nur noch als Zombies, die mit ihren ausgeatmeten Giftgaswolken weitere Passanten mit in den Tod reißen. Statt sich gegenseitig zu helfen, plündern die Leute Elektronikläden oder prügeln wütend mit Stöcken aufeinander ein. Ist grad eine Schusswaffe greifbar, nutzen sie das allgemeine Chaos, um mal selber mit dem Schießeisen ihren Gewaltfantasien ungestraft freien Lauf zu lassen. Der Außenseiter Anthony ist zwar primär auch nur darum bemüht, seine eigene Haut in Sicherheit zu bringen, macht sich aber doch daran, seinen Mitbürgern zu helfen. Er zückt die Mullbinde, um Verletzte zu heilen, erweckt Zombies mit dem Feuerlöscher wieder zum Leben oder nietet sie mit der Flinte um und versucht schließlich, einen kleinen kotzenden Jungen trotz aller Schwierigkeiten ins Krankenhaus zu bringen. Unterwegs ballert er aus dem Sanitätswagen auf französische Terroristen, Rumsfelds Feindbilder aus dem "Alten Europa".

Das ist nur die erste Katastrophe, von der Los Angeles an diesem schlechten Tag heimgesucht wird. Es folgt ein Meteoritenschauer, ein Erdbeben und der unvermeidliche Tsunami. Ein Personenzug kracht mit voller Fahrt in einen verunglückten Tanklastzug und verursacht ein Flammeninferno. Die mexikanische Armee marschiert in der Stadt ein und zu guter Letzt landet auch noch eine Zombie-Bombe im Geschützstand eines mexikanischen Panzers.

Sturzbesoffen versucht Anthony, der Verhörmaschinerie auf dem L.A. Airport zu entkommen.

Vorgehen und Aufgaben unterscheiden sich in allen Missionen nur wenig voneinander: Man steuert Anthony aus der Verfolgerperspektive durchs allgemeine Tohuwabohu und wählt mit dem Mausrad die Waffen - natürlich immer, um Gutes zu tun und den in der rechten oberen Bildschirmecke angezeigten Gefahrenstatus so niedrig wie möglich zu halten. Schleichen, verstecken oder dodgen sind hierbei Fremdworte. Anthony heilt, ballert mit diversen Waffen, wirft Molotov-Cocktails und löscht Brände. Er verpasst drogensüchtigen Schulkindern eine Blitztherapie und schickt sie zurück zu ihren Eltern. Er besorgt Schlüssel und schlägt sich dafür mit fett gewordenen Superhelden herum. Er weist Plünderer in die Schranken...Viel Herausforderung zeigt die "Heile 5 Zombies, töte 10 Terroristen, finde dies und jenes, renne da und dorthin"-Verpackung dabei nicht.

Das mag auf den ersten Blick etwas wenig Substanz für ein ganzes Spiel sein. Gut, kann man so sehen. Aber "Bad Day L.A." ist kein "normales" Spiel, es ist ein Statement zum Amerika der Bush-Ära. Dort herrscht gegenwärtig eine Hochzeit der Trash-Kultur - was liegt da näher, als das Ganze in einem satirischen Trash-Spiel auf die Spitze zu treiben? Die Sprache ist derb in "Bad Day L.A." und mag damit politisch nicht korrekt sein - aber ist sie nicht eigentlich dennoch genau so Realität?! Und nicht umsonst weckt Anthonys blonde Begleiterin Beverly sofort Assoziationen an Paris Hilton, die es schafft, mit null Talent weltweit dauerhaft in den Schlagzeilen zu bleiben, obwohl ihr sagenumwobenes Video ja mittlerweile auch schon lange kalter Kaffee ist.

Manches mag überflüssig sein, wie die Ballerei in Grauman´s Chinese Theatre, aber andere Szenen sind einfach derart skurril komisch, dass sie "Big Lebowski" oder "Pulp Fiction" alle Ehre gemacht hätten. Wenn Anthony beispielsweise am L.A. Airport wie ein Bombenleger festgehalten wird, weil sich in seinen Habseligkeiten ein Nagelknipser findet, bleibt kein Auge trocken. Oft entdeckt man den Hintersinn erst beim zweiten Hingucken: Wer weiß, ob sich American McGee nicht auch was dabei gedacht hat, wenn er den Spieler im Verhör-Bereich des Flughafens ewig nach dem Ausgang suchen lässt...

Einfache Übung: mit Mullbinde gegen den Drogenrausch und dann die geheilten Kinder von den Körbchen mit den lustigen bunten Pillen fern halten.

Die Cell-Shading-Grafik von "Bad Day L.A." ist sicher nicht jedermanns Sache, ebenso wenig die Fistelstimme des Protagonisten - mancher mag sie sogar als "schlecht" empfinden. Aber würde American McGees satirische Story mit einer herkömmlichen, gerenderten 3D-Optik dieselbe bissige Wirkung entfalten? Wohl kaum. Eine Klasse für sich sind hier übrigens die rasant geschnittenen Videosequenzen, die die einzelnen Levels einleiten: dramaturgisch perfekt, aber auch schonungslos offen. Gewalt wird hier ganz unverblümt gezeigt, etwa wenn einem Hubschrauber-Piloten von einem einschlagenden Meteoriten der Kopf abgerissen wird. Definitiv nichts für Kinder...

Die Steuerung des Spiels ist so einfach wie möglich gehalten, so dass auch Einsteiger und Gelegenheitsspieler sofort damit zurecht kommen dürften. Wer nicht weiß, wo es zur nächsten Aufgabe geht, darf sogar die Passanten auf der Straße nach dem Weg fragen und kriegt dann mit einem dicken gelben Pfeil die Richtung angezeigt. Man merkt sofort, hier geht es nicht um das Lösen von Puzzles, die den Grips auf eine harte Probe stellen sollen. American McGee will den Grips des Spielers weniger auf das Game selber als vielmehr auf die gegenwärtigen Befindlichkeiten seines Heimatlandes USA lenken. Er will Diskussionen auslösen. Und das scheint ihm angesichts der kontroversen Meinungen zu "Bad Day L.A." auch tatsächlich gelungen zu sein.

"Bad Day L.A." wird auch hier zu Lande mit der originalen amerikanischen Sprachausgabe ausgeliefert - mit deutschen Untertiteln. Eine weise Entscheidung, denn deutsche Dialoge, von deutschen Schauspielern gesprochen, hätten die Authentizität des Spiels völlig zunichte gemacht.

"Bad Day L.A." ist das Spiel zur Trash-Kultur: Satire pur, bei der die bissige USA-Kritik im Vordergrund steht. Spielerisch unterhaltsam, hatte American McGee in Sachen Gameplay dennoch ruhig noch etwas zulegen können - Hardcore-Gamer kommen mit diesem Titel eindeutig zu kurz. Die technische Umsetzung mag auf den ersten Blick befremdlich erscheinen, erfüllt jedoch genau ihren Zweck. Als Satire gelungen, hätte ich mir aus der Warte des Zockers noch ein bisschen mehr erhofft.

"Bad Day L.A." ist erhältlich für PC und XBox

7 / 10

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