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Rage 2: Test - Shotgun, the Game

Id Software hat das, was jeder Shooter braucht

Eurogamer.de - Empfehlenswert Badge
Wer braucht die beste offene Welt, wenn er die beste Schrotflinte hat: ids Anteil an diesem Ballerfest scheint hell durch und ist Freude pur

Vergesst das ganze schrille Drumherum von Rage 2. Vergesst die fehlgeleitete Anbiederung an Borderlands, ein komplett anderes Spiel. Vergesst das "Geil!", "Krass!!" und "Hyper!!!" der sich selbst nur wenige Gefallen tuenden Werbung für Rage 2. Am Ende geht es bei diesem Spiel um eine Sache, ein Ding, das alles hier bestimmt und das für sich ein Spiel tragen kann, selbst wenn es das hier zum Glück nicht im Alleingang tun muss. Es ist dieser Moment, wenn mein diesmal weder namenloser noch stummer Held aus seinem Endzeit-Panzer aussteigt, die Shotgun durchlädt und die Vorfreude auf die nächsten zwei Minuten auf den Siedepunkt bringt.

Dieser goldene Moment vor dem Massaker, das Zucken im Trigger- oder Maus-Finger. Denn: gleich werden sie wieder platzen und es wird so grandios sein, dass man diesem Moment lebt, dass man den Rausch danach mitnimmt und, wenn die letzten Tropfen Mutantenschleim zur Ruhe kommen, sich zurück in Sessel oder Sofa fallen lässt und denkt: "Und, war es auch für euch gut, ihr Bastarde?" Wenn Shootern so gut umsetzt wird, dass Sex-Metaphern anstehen, dann reden wir wohl von id Software.

Genau darum geht es. Boom, Splatter, Repeat.

Und ja, Rage 2 ist in diesen kurzen, immer wiederkehrenden Schüben der maßlosen Entladung das Maß der Dinge. Andere Shooter sind diffizil, regen zu taktischem denken an, fordern präziseste Kontrolle über das Eingabemittel der Wahl. Rage 2 will, dass ihr nach vorn geht. Der ideale Moment ist der, in dem ihr die Cyber-Shotgun dem Mutanten ins Sternum drückt und durchzieht. Die Bewegung zum nächsten Ziel kennt keine Deckung, jedenfalls nicht, wenn ihr erst mal mittendrin seid und das ist hier eh der einzig wahre Ort. Aus der Ferne könnt ihr mit Gewehren ein wenig so tun, als wäre das ein normaler Shooter, aber das ist nicht die Art, wie Rage 2 funktioniert. Alle seine Systeme sind darauf ausgelegt, dass ihr zum ersten Gegner im Pulk rennt, mit seinen Eingeweiden das Graffiti an der Wand hinter ihm bereichert und bevor diese dort ankommen, schon bei einem seiner Kumpel seid.

Geht auch, macht nicht ganz so viel Spaß: Oft lassen sich die Besetzer von Locations mit dem eigenen Panzer weichklopfen. Die KI weiß leider nicht, dass sie ihre eigenen Panzer ruhig auch mal benutzen könnte, um sich zu verteidigen.

Selbst Waffen mit auch hier hohen Reichweiten wie das Sturmgewehr funktionieren am besten auf kurze Distanzen. Dazu lassen sich Fertigkeiten wie der Force-Push elegant als Strafraum-Spiel einsetzen. Drückt den Verteidiger mit seinem Schild weg - oder vielmehr, lasst ihn an einem Hindernis hinter ihm platzen - und geht nahtlos weiter auf das eigentliche Ziel, einen übergroßen Fleischberg mit Zwillings-Lafetten, zu, um das Ding zu versenken. Ich würde sagen, dass es in den meisten Spielen nicht so schlau ist, mit dem Raketenwerfer im Nahkampf zu agieren, aber Rage 2 ist die Ausnahme. Auch wenn es nur die kurze Distanz gibt, es gibt doch verschiedene davon und auf fünf Meter kann man schon mal die RPGs auspacken. Außerdem könnte es dann auch Zeit für den Overdrive sein, der den Schaden verzigfacht. Dieser ganz eigene Rhythmus erinnert natürlich an das einzige Spiel, dem sich Rage 2 in diesem Punkt auch geschlagen geben muss: Doom ist noch drastischer und direkter. Natürlich wirft die Höllenschlacht auch jeden Anspruch an eine semirealistische Endzeit sofort über Bord, aber es ist auch der Aufbau des Spiels an sich, der all dem, was id hier so bravourös abliefert, mehr entgegenkommt.

So hübsch die Städte sind, so statisch sind sie auch. Ein Menü hätte exakt den gleichen Zweck erfüllt.

In Doom ist alles um die Arena-artigen Schlachten herum aufgebaut. In Rage 2 gibt es eine offene Welt voller Dinge und eine Handlung - die es technisch gesehen auch in Doom gab, aber das war schon sehr optional. Damit wären wir jetzt beim Anteil des eigentlich führenden Studios, Avalanche. Die Experten für Open World mit absurder Sichtweite spielen hier ein wenig auf Nummer sicher und bauen eine recht übersichtliche Welt, was die Größe angeht. Das liegt natürlich auch daran, dass man Monster wie Red Dead 2 oder ähnliches gewöhnt ist, aber auch im Vergleich mit einem Just Cause ist Rage 2 jetzt kein Anwärter für Rekorde. Das stört nicht wirklich, denn schließlich geht es in erster Linie darum, neue Punkte zu finden, um die Schrotflinte auszupacken und davon gibt es mehr als genug. Aber lasst euch trotzdem von den ersten Blicken in die Weite nicht täuschen. Hinter dem Horizont liegt nicht so viel.

Die Unterteilung in die verschiedenen Biome - im Süden etwas Wüste, der Nordwesten eher sumpfig, dazwischen diverse Abstufungen von Nevada - ist nicht wie bei Just Cause eine in eigene Welten, mehr eine kleine Abwechslung am Rande. So wirken auch die Städte weniger wie Hubs für neue Aktivitäten, sondern wie die Ausgestaltung eines Menüs. Sicher, Sumpf-Stadt hat einen etwas anderen Architekturstil als die Wüsten-Oase, aber die Leute, die man trifft, sind am Ende alle die gleichen. So wie auch die Dinge, die man in den Arealen erledigt. Der Grundaufbau ist dabei, dass es einen bösen General mit einer Hightech-Armee gibt, euch, die ihr ihn stoppen wollt, und drei Gestalten, die euch dabei helfen. Das läuft dann auf drei Stränge sowohl in der Progression durch die Missionen ab, wie auch die der Fertigkeiten. Um diese in der jeweiligen Kategorie - lose gesagt Waffen, Kräfte und der Rest - zu steigern, sind alle Aktivitäten auf der Karte farblich markiert verteilt. Erfüllt genug von einer Sorte und eine neue Hauptmission wird freigeschaltet. Es ist faszinierend, wie ein Spiel, das in der eigentlichen Aktion auf einem fast schon animalischen Level funktioniert, gleichzeitig so klar und technokratisch strukturiert sein kann.

Kleine Welt, aber alles da, was man braucht. Sprich, viel zum Ballern.

Die Welt selbst mag jetzt nicht Avalanches Meisterwerk sein, vor allem finde ich es etwas nervig, dass sie teilweise sehr verschachtelt ist und man so eigentlich immer auf das Navi angewiesen ist, um irgendwohin zu kommen, aber zumindest haben sie sich bei fast jeder der über die Karte verstreuten Aufgaben etwas Mühe gegeben. Jeder der Outlaw-Posten hat einen eigenen Charakter und Aufbau. Es schafft im Rahmen der Möglichkeiten - Neon-Endzeit - genug Glaubwürdigkeit, wenn eine alte Raffinerie besetzt wurde oder ein abenteuerliches Konstrukt an der Seite eines Felsens hängt. Der Ablauf mag immer recht ähnlich sein - geht rein und lasst die Waffen sprechen -, aber es ist der persönliche Touch, der nie fehlt und es so wertvoll macht. Ich habe mich immer darauf gefreut, irgendwo anzukommen - natürlich auch wegen des eingangs genannten Grundes, aber auch, um zu sehen, was man sich hier ausgedacht hat.

Interessant ist dabei das Konzept der Archen. Das sind Relikte aus den Tagen davor und euer Weg, um an neue Fertigkeiten und Waffen zu kommen. Der Witz dabei ist, dass euch das Spiel nicht mal sagt, wo die sind, geschweige denn nötigen würde, mehr ein oder zwei zu besuchen. Nachdem ich meine Shotgun hatte, war es genug. Lange Zeit kümmerte ich mich um andere Dinge und selbst zum Ende hatte ich nur zwei der Fertigkeiten. Es ist ungewöhnlich und absolut löblich, dass ein Spiel sich mal traut Kernelemente als Belohnung für die Suchenden zu verstecken - wobei es sie jetzt natürlich nicht sooo komplex versteckt - und diese dann auch noch optional anzubieten. Es macht die Eroberung einer Arche eben spannender. "Uh, was werde ich finden, was kommt?" Ich weiß nur, es wird sicher was Cooles sein. Ob ich das dann will oder nutze, ist im Anschluss meine Sache.

Die Steuerung mag nicht ideal sein, aber die Welt bietet schon Momente.

Wer also Angst hatte, dass man genötigt sein könnte, ständig diese Kräfte nutzen zu müssen, den kann ich absolut beruhigen. Es gibt hier nichts, was sich nicht mir einer Kugel lösen ließe. Sicher, der Force-Push macht kurzen Prozess mit Schildträgern, aber nachdem der Raketenwerfer da war, spielte der keine große Rolle mehr. Du hast einen mannshohen Polizeischild, ich habe Raketen. Es ist ein Stein, Schere, Papier ohne Stein. Und dreimal dürft ihr raten, wer in der Gleichung nur Papier vor sich herträgt.

Sonst habt ihr Basen, die ihr stürmt, die Archen wollen gestürmt werden, dann gibt es schleimige Mutanten-Bauten, die ihr stürmt und auch die wilde Game-Show ist wenig mehr als ein Sturm auf einen Dungeon, that would splatter just as sweet. Es ist schon gut, dass id hier eine Shooter-Mechanik auf die Beine stellte, deren cerebrale Belohnungsmuster direkt von Kleinhirn akzeptiert werden und das in fast beliebiger Wiederholung.

Die Story auf einen Blick. Oben habt ihr drei Typen, denen ihr helft. Tut ihr das genug, gibt es neue Hauptmissionen. Am Ende plättet ihr dann den Typen unten. Done!

Die andere Seite der Action geht auf Avalanches Konto und mal ehrlich: Die machen das nicht seit gestern, es kommt in JEDEM ihrer Spiele vor - selbst in theHunter! - und mit Mad Max waren sie ja schon mal auf dem richtigen Weg. Es geht natürlich um die Fahrphysik der Autos. Diese ist ironischerweise am ungelenksten mit eurem initialen Panzer, der aber jede Menge Spezial-Fertigkeiten, Waffen und vor allem langfristige Unzerstörbarkeit mitbringt. Das und eine Navi-Stimme, die sich vor dem Krieg im Telefonsex-Gewerbe verdient gemacht haben dürfte. Schade nur, dass das Gefährt den Wendekreis eines Schwertransporters hat, wenn ihr nicht weit vorrauschauend lenkt. Andere Fahrzeuge, die oft genug am Rande des Weges stehen und auch gerufen werden können, haben zwar nicht so viel Persönlichkeit, aber oft das etwas bessere Fahrverhalten. Es ist alles nicht das Schlimmste, was es gibt, aber es ist schon klar, dass man nicht zum Autofahren in diese Endzeit springt.

Es muss euch auch nicht zu sehr kümmern. Die Welt ist klein genug, es gibt Schnellreisepunkte und in der Story wird man nur selten zu was gezwungen, was man nicht tun will. Mal ein Rennen fahren, die schwer zu knackenden Convoys kann man in Ruhe ihre Kreise drehen lassen, wie vieles in Avalanche-Spielen sind es hier eher relativ unaufdringliche Optionen als Verpflichtungen und als solche funktionieren sie auch wunderbar. Dazu passt, dass die Story auch mehr als ein Angebot gesehen werden sollte, das sich komplett mit der X-Taste ausschlagen lässt, ohne dass man wahnsinnig viel verpassen würde. Die Geschichte ist vorhanden, für eine Action-Endzeit absolut solide und funktional, hat hier und da ihren Humor und kann in keiner Sekunde mit der immer wieder mal durchscheinenden anarchischen Brillanz eines Borderlands mithalten. Das man hier keine Preise gewinnen will, zeigt sich schon am Helden. Er heißt Walker, ist ein Ranger und drumherum sieht es aus wie Texas. Es ging hier also niemanden darum, mit der Buch-Version später einen Hugo abzuräumen. Trash, aber netter, sympathischer Trash. Reicht hier völlig aus.

Auf dem Weg zur letzten Arche ganz im Norden in der Wildnis. Was mag sie wohl bieten, sie hat schließlich den höchsten Schwierigkeitsgrad? Nun, ich weiß nur eins: Es wird etwas sein, dass die Reise und die Mühe lohnt, denn das ist das, was alle Archen gemein haben.

Das gilt wohl auch in gewisser Weise für die Grafik, die ein seltsamer Mix ist. Die Welt ist an sich relativ ernst und glaubwürdig, mit düsteren Ruinen im Hintergrund, verseuchten Sümpfen und anderer, eher klassischer Postapokalypse. Dann habt ihr die Locations, die davon zeugen, dass man nach dem Big Boom zwar Ratten grillen musste, aber es scheinbar keinen Mangel an Neon-Farbe gab, um alles schön bunt zu machen. Sorry, ich komme nicht drüber weg. Dann habt ihr Riesenmutanten, deren Gehirne mit viel Liebe zu Detail platzen, aber am anderen Ende des Spektrums Holobytes, für die sich die 90er geschämt hätten. Animationen und Texturen sind aber in den allermeisten Fällen auf Stand und liebevoll, der Gesamtlook passt als etwas eigenwilliges Werk und ein echtes Highlight gibt es dann auch noch: Die Waffen. Die wurden mit der Liebe und Kreativität eines Destiny erstellt, Sachen bewegen sich an ihnen, klappen dampfend zusammen und lassen mit gleichzeitig brutalem wie doch verspielten Überdesign vergessen, dass es am Ende doch nur die Shotgun ist, Brot und Butter des Geschäfts seit 1993.

Spezialkräfte überbewertet, Raketenwerfer hat noch Munition. Boom gut.

Rage 2 ist eine Frage der Erwartungen. Wer den grenzbrillanten Blödsinn eines Borderlands sucht, ist hier falsch, wer schwergewichtige Endzeitdramatik à la Metro haben möchte, genauso. Die offene Welt ist solides Material, die Handlung schultert, was sie muss und das ist nicht viel, der Fahrzeugkampf gewinnt keine Preise. Aber was Rage 2 kann, das kann es richtig gut und das ist, einer der brachialsten Mit-der-Ramme-durch-die-Wand-Shooter zu sein, den man sich vorstellen kann. Optionale Gadgets inklusive, aber am Ende des Tages ist das hier "Shotgun, the Game". Hier muss es sich auch nur Doom geschlagen geben, das von vornherein um dieses Element gestrickt ist - was dann wohl auch klärt, wessen Studio-Anteil ich hier mehr zu schätzen weiß. Ich habe mich nicht für die Handlung von Rage 2 interessiert. Ich hatte meinen Spaß, die ganz nette Welt zu erkunden. Aber ich freue mich jetzt schon darauf, gleich wieder das Spiel zu starten, irgendwohin zu fahren und dort mit einem legendären Arsenal alles zu zerpflücken. Und weil ich das wieder und wieder tun will, auch nach all den Stunden noch, ist Rage 2 mein Wohlfühl-Action-Blockbuster dieses Frühlings.


(Aus irgendeinem freudschen, hoch psychologischen Grund tippte ich in diesem Text an einer Stelle statt des Wortes, das ich sagen wollte, den Namen einer frühen Computer-Spiele-Schmiede aus den 80ern und 90ern. Statt das mal eben zu korrigieren, mache ich mal was draus und zwar ein Mini-Gewinnspiel:

Wer hier als erster postet, welches nicht ganz exakt ausgeschriebene Software-Haus das sein könnte und wie ihr erstes Spiel aus dem Jahr 1983 hieß, kriegt einen PS4-Key für Rage 2.)

Erwartungsgemäß war das Gewinnspiel schnell gelöst und das Wort, das ich eigentliche sagen wollte, als ich "Holobyte" - vorletzter Absatz - tippte, war natürlich "Hologramm".



Entwickler/Publisher: id Software, Avalance / Bethesda - Erscheint für: PC, PS4, Xbox One - Preis: ca. 60 Euro - Erscheint am: 14.5.19 - Gestestete Version: PC - Sprache: Deutsch, English und mehr - Mikrotransaktionen: Ja, bisher rein optische Dinge wie Skins für Waffen


PC-Spiele testen wir auf Lenovo Legion PCs und Laptops, die uns von Lenovo zu diesem Zweck zur Verfügung gestellt wurden. Hier erfahrt ihr mehr über Gaming-Laptops 2019 im Allgemeinen und hier geht es zur Website von Lenovo Legion Gaming.

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Martin Woger Avatar
Martin Woger: Chefredakteur seit 2011, Gamer seit 1984, Mensch seit 1975, mag PC-Engines und alles sonst, was nicht FIFA oder RTS heißt.

Informationen zu unserer Test-Philosophie findest du unter "So testen wir".

In diesem artikel

Rage 2

PS4, Xbox One, PC

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