Rain World - Test: Hart, aber schwer
So unbarmherzig wie liebenswert.
Panik. Panik ist das erste Gefühl, dass ich immer habe, wenn mir in Rain World ein neuer Gegnertyp begegnet. Wer weiß schon, wie diese Kreatur sich verhalten wird und wie ich ihr aus dem Weg gehen kann? Und wenn sie mich erwischt, wirft mich das Spiel wieder furchtbar weit zurück und die letzten 20 Minuten Spielzeit waren umsonst. Ich komme aber gar nicht soweit, herauszufinden, was dieses Wesen mir hätte antun können, denn auf dem Versuch, mich an ihm vorbei zu schwingen, werde ich von einer fleischfressenden Schilfpflanze aufgefressen. Ende, Neustart vom letzten, weit entfernten Checkpoint. Es sind solche Momente, die sich beim Spielen von Rain World in euer Hirn brennen. Dieser Frust, dieser Verlust von Spielzeit und diese Wut über unfaire Bildschirmtode ficht einen Kampf aus mit einer vielfältigen, faszinierenden 2D-Metroidvania-Welt voller Geheimnisse und Mysterien.
In Rain World schlüpft in die Haut eines bizarren, aber niedlichen Tiers, das die Entwickler nur als Slugcat bezeichnen, Schneckenkatze also - oder Katzenschnecke, wie es in der deutschsprachigen Steam-Beschreibung heißt. Diese wird von ihrer Familie getrennt und muss nun den Weg zurück nach Hause finden, worin sich die Geschichte im Wesentlichen auch schon erschöpft. Nach einem rudimentären Tutorial fällt auch der Rest jedweder Orientierung weg, die ihr von den benutzerfreundlichen Spielen dieser Tage gewöhnt seid. Kein Ziel, kaum Hilfe - nur eine riesengroße 2D-Welt und die Aufforderung, sie zu erkunden.
Zu allem Überfluss: Der namensgebende Regen. Gefühlt alle 15 bis 20 Minuten prasselt dieser auf die Welt nieder und, warum auch immer, er ist tödlich. Um ein solches Unwetter zu überstehen, müsst ihr bestimmte Kammern finden, in denen ihr überwintern könnt. Das sorgt regelmäßig für, was wohl, Panik! Wenn die ersten Regentropfen niederprasseln, im Hintergrund schon das Donnern zu hören ist, nehmt ihr also euren Schneckenschwanz in die Vorderpfoten und versucht, so schnell wie möglich eine dieser Kammern zu erreichen.
Das wiederum ist gar nicht so einfach, denn die Katzenschnecke ist nicht gerade beweglich. Sie kommt nur langsam vorwärts und springt in kleinen Hopsern. Das Beste ist noch ihre Fähigkeit, an dünnen Stangen oder Pflanzen emporzuklettern oder sich durch enge Rohre zu quetschen. So macht ihr euch gewissermaßen selbst zur Katzenschnecken-Rohrpost. Habt ihr die Kammer erreicht, hört der Überlebenskampf nicht auf. Denn Überwintern kostet Nahrung, die ihr euch aus der Umwelt beschaffen müsst. Entweder, indem ihr eine Fledermaus aus der Luft fischt und diese mitsamt Kopf und Flügeln auffresst, oder indem ihr ein paar Beeren finden - wobei letztere deutlich seltener sind.
Liest sich alles nach Arbeit? So fühlt es sich teilweise auch an. So fies die Entwickler mit dem Spieler aber in Sachen Schwierigkeitsgrad umgehen, so sehr entlohnen sie ihn mit der Atmosphäre des Spiels. Die lebensfeindliche Umgebung ist fantasievoll gepixelt, bis ins kleinste Detail ausgearbeitet. Geräusche werden nur sehr sparsam eingesetzt, aber wenn, dann haben sie Bedeutung. Wenn ein langsames Klopfen beispielsweise einen nahenden Gegner ankündigt. Im Gegensatz zu vielen anderen Spielen bewegen sich diese nämlich von Bildschirm zu Bildschirm, verfolgen euch mit Pech sogar über das oben genannte Rohrpostsystem. Spannenderweise mögen sie sich übrigens auch gegenseitig nicht. So ist es mir passiert, dass ich nichtsahnend am Rande eines Teichs stand, während urplötzlich vom Bildschirm darüber zwei sich gegenseitig fressende pinkfarbene Krokodile hineinstürzten. Ein schöner Moment, denn solang sie sich um sich selbst kümmern, kümmern sie sich nicht um meine Katzenschnecke. Diese stirbt in der Regel nämlich beim Erstkontakt mit egal welchem Gegner. Besiegen könnt ihr diese nur schwer - eigentlich nur, indem ihr herumliegende Gegenstände auf sie werft. Das wiederum fühlt sich wiederum so ungelenk an, dass meistens allein der Versuch zum Ableben führt. Und dann geht's zurück zur letzten Überwinterungskammer - jeder zwischenzeitlich gemachte Fortschritt geht verloren.
Das Überwintern hat übrigens noch eine andere Funktion als bloßes Speichern. Wer überwintert, bringt das Spiel in eine andere Phase. Das wiederum hat an wenigen, ausgewählten Punkten Auswirkungen auf die Spielwelt - simpelstes Beispiel: Ein Tor öffnet sich. Seid ihr nicht in der richtigen Phase, bleibt es eben verschlossen, also überwintert ihr, was wieder Futter kostet, das ihr danach neu jagen müsst. Sterbt ihr, wird das Spiel eine Phase zurückgesetzt. Mühsam ernährt sich die Katzenschnecke, hüpfend von Rohr zu Rohr. Aber: Habt ihr das System einmal durchschaut, entlohnt es euch mit Überraschungen. Esst ein bestimmtes Tier, findet einen seltsam leuchtenden Gegenstand, werft Item X auf Stelle Y und schaut, was passiert. Entdeckt verschiedene, ganz unterschiedliche Regionen der Spielwelt und findet heraus, wie sie miteinander verknüpft sind. Einziger Nachteil: Bis ihr wirklich begreift, was ihr in dieser kryptischen Spielwelt bewegt, vergeht teilweise sehr viel Zeit.
Das Seltsame an Rain World ist, dass es fast scheint, als kämpfte das Spiel gegen ebendas, was es von euch fordert. Die fantastische Welt lädt zur Erkundung ein, jeder noch so kleine Winkel schreit danach, entdeckt zu werden. Überall wundersame Pflanzen, scheinbar Relikte vergangener Kulturen, fantastische Kreaturen. Es sind aber eben auch die gleichen Kreaturen, die euch auffressen, es sind die Pflanzen, die euch mit ein bisschen Pech verschlingen und wenn ihr zu lang erkundet, fängt es an zu regnen und ihr schafft es nicht, rechtzeitig zu überwintern. Wer einen knackigen Schwierigkeitsgrad zu schätzen weiß und auch kein Problem damit hat, für Fehler hart bestraft zu werden, wird mit Rain World wohl seine Freude haben. Wer Elemente wie faire Rücksetzpunkte und eine gute Nutzerführung erwartet, wird sie hier aber nicht finden.
Entwickler/Publisher: Videocult/Adult Swim Games - Erscheint für: PC, PS4 - Preis: 19,99 Euro - Erscheint am: erhältlich - Getestete Version: PC - Sprache: deutsch - Mikrotransaktionen: Nein