Ralph reichts – Test (mehr oder weniger)
Kaum zu glauben: Der Film ist tatsächlich irgendwie auch für Kinder gedacht!
"Jetzt guck nicht so. Das nächste Mal gehen wir wieder in einen Film, den du ausgesucht hast. Zieh deine Jacke an," zischt die Mutter dem schmollenden Teenie-Sohn in der Reihe vor mir zu, während der Abspann von "Ralph reichts" über die Leinwand flimmert. Der Film war wohl zu bunt für seinen Geschmack. Die kleine Schwester daneben (ich tippe auf sechs Jahre alt) scheint ganz zufrieden zu sein. Sie hat oft gekichert während der Vorstellung. Der Vater neben ihr strahlt hingegen vor nostalgischer Glückseligkeit. Sein Lachen war mit das lauteste im Saal. Ich spekuliere mal, dass er den Film für die Familie ausgesucht hat.
Die Platzanweiserin des Kinos hatte mir schon vorher gesteckt, dass sich bislang hauptsächlich Erwachsene den Film angesehen hätten. Ist zwar etwas schade, andererseits aber auch nicht verwunderlich. Ralph reichts (interessante Übersetzung von "Wreck-it Ralph") fährt eine doppelte Marketing-Schiene. Einerseits wird er als Film für Geeks, Nerds und Computerspieler beworben, mit oder ohne Nachwuchs im Schlepptau. Andererseits ist er ein typischer Disneyfilm für Kinder: Dezent kitschig an manchen Stellen, mit altersgerechtem Anarcho-Slapstick, geklammert von der pädagogisch wertvollen Erkenntnis, dass böse ist, wer Böses tut (frei nach Forrest Gump), Freundschaft alles überwindet und dass einen Helden mehr ausmacht, als die schicke Medaille um seinen Hals.
Vom Donkey-Kong-Klon zum Kart Racer
Falls jemand den Trailer nicht gesehen hat, hier die Handlung kurz umrissen: Randale-Ralph wird als Bösewicht von seinen Videospiel-Kollegen im (stark an Donkey Kong angelehnten) 8-Bit-Automaten "Fix-it Felix Jr." ausgegrenzt. Der sanfte Koloss träumt davon, ein Held wie sein Widersacher Felix zu sein. Den belohnt man täglich mit einer Medaille dafür, dass er die Schäden am Hochhaus repariert, die Ralph zuvor mit bloßen Fäusten angerichtet hat. Als die Bewohner des Hochhauses Ralph bei der Feier des 30-jährigen Automaten-Jubiläums besonders gemein schassen, wird es dem vermeintlichen Fiesling zu bunt - er will eine eigene Medaille gewinnen und genau wie Felix dafür gefeiert werden. So schmuggelt er sich eines Abends in den modernen Sci-Fi-Shooter "Hero's Duty" (Gears of War trifft Halo), um sich dort das begehrte Edelmetall zu grapschen. Dummerweise geht dabei einiges schief und er landet nach einem wilden Ritt mit einer Rettungskapsel im Kart-Racer "Sugar Rush", der aussieht wie eine Kreuzung aus Mario Kart und dem Facebook-Puzzlespiel Candy Crush Saga.
Dort trifft er auf den Albtraum aller Diabetiker, eine Rotzgöre namens Vanellope von Schweetz. Frecherweise mopst das Mädel seine Medaille und verhökert sie als Eintrittsgebühr für ein nächtliches Rennen, durch das die Fahrer von Sugar Rush die Startaufstellung des nächsten Tages festlegen. Das Problem: Vanellope ist ein Glitch - ein Avatar, der im Programmcode geblieben ist, obwohl er zu instabil für den aktiven Einsatz war. Sie hätte niemals an dem Rennen teilnehmen dürfen. Das Chaos ist also buchstäblich vorprogrammiert. In der Zwischenzeit droht dem Automaten von Ralph die Abschaltung - ohne seinen Bösewicht hat der Held nix zu reparieren. Also macht sich Fix-it Felix auf die Suche nach dem Kollegen, der in der Zwischenzeit Vanellope bei ihren Vorbereitungen für das Rennen zur Hand geht, um seine Medaille zurück zu bekommen.
Obwohl der Film dann noch eine dritte Handlungsebene rund um die Käfer-Monster aus Hero's Duty und die blonde Shooter-Amazone Sergeant Calhoun aufmacht, wird die Story nie zu kompliziert. Zusätzlich drosseln die Macher immer wieder an den richtigen Stellen das Tempo, um sich Zeit für die witzigen Gespräche zwischen den Hauptfiguren zu nehmen. Besonders Christian Ulmen als Ralph und Anna Fischer als Vanellope laufen hier zur Hochform auf. Das Synchronstudio hat sogar den ein oder anderen eleganten Kniff aus dem Hut gezaubert, um schwer zu übersetzende Gags wie die Zweideutigkeit von "Hero's Duty" ins Deutsche zu übertragen.
Sinnsuche mit Wimmelbild-Faktor
Das Automaten übergreifende Abenteuer geht der Frage nach, was Helden und Schurken im Spiel eigentlich ausmacht. Sind die Pflichten eines Bösewichts nicht ebenso bedeutsam wie die des Heroen (Augenzwinkern in Richtung "Hero's Duty")? Ralphs Zerstörungsorgien bringen tatsächlich viel Gutes hervor. Er beschützt Vanellope vor den Mobbing-Attacken der anderen Fahrer. Er stampft mit bloßen Händen eine Rennstrecke für die Kleine aus dem Boden. Er löst schlagkräftig ein Minispiel, um ihr einen Rennwagen zu bauen. Er befreit Felix aus einer Gefängniszelle, indem er einfach die Mauer einreißt. Und natürlich werden es seine Abrissbirnen-Fäuste sein, die am Ende den Tag retten. Sein Talent, Dinge kaputtzumachen, lässt Ralph zum echten Helden werden - mit Ausnahme einer einzigen, wirklich bösen Tat, pünktlich zum Höhepunkt der Geschichte. Doch auch dieser Fehltritt kommt im Mäntelchen des Pflichtbewussten tragischen Helden daher. Ralph ist ein Bösewicht - aber alles andere als ein "böser Wicht", wie Street Fighter Zangief das Grundthema des Filmes gleich in den ersten zehn Minuten auf den Punkt bringt.
Schon wegen der unzähligen Gastauftritte muss man als Spiele-Freund eine Kinokarte lösen. Es sind vor allem die Stars der 8- und 16-Bit Ära, die sich in Ralph reichts ein Stelldichein geben. Neben Cameos von Bösewichten wie Bowser, Zangief, M.Bison, Dr. Eggman, Kano oder dem Geist aus Pac-Man, die man bereits im Trailer zu Gesicht bekam, gibt es von Sonic bis Q*bert allerlei bekannte Pixelhelden zu entdecken. Besonders der zentrale Hub zwischen den Spielautomaten erinnert an ein Wimmelbild aus dem Who-Is-Who der Videospiel-Prominenz. Allein mit den Figuren, die sich hier tummeln, könnte man seitenlange Listen füllen. Ganz zu schweigen von ein paar Dutzend Anspielungen, die nur Eingeweihte kapieren dürften - wenn Ralph eines der Ausrufezeichen aus Metal Gear Solid findet (mit charakteristischem "Hab-Dich!"-Sound), Graffiti zu Final Fantasy, Zero Wing oder WoW die Wände schmücken, die Schläger aus Pong durch eine Wartehalle schweben oder wenn Fix-it Felix seine offensichtliche Vorlage Mario in einem Nebensatz erwähnt, ohne dass dieser persönlich im Film auftaucht. Daneben gibt es noch eine Handvoll popkultureller Anspielungen - Stichwort Mentos und Cola - die das Meme-kundige Publikum amüsieren dürften.
Von Roger bis Ralph - Medien, die erwachsen werden
Ich würde behaupten, dass ein Fall wie jene eingangs erwähnte Familie häufiger vorkommt: Eltern, die ihre Kinder vorschieben, um guten Gewissens einen Film über die Helden ihrer Kindheit zu besuchen. Wäre nicht das erste Mal, dass Mamas und Papas die eigentliche Zielgruppe eines vermeintlichen Kinderfilmes sind. Wenngleich die Schwelle für Erwachsene längst nicht mehr so hoch liegen dürfte wie Ende der 80er, als Cartoons noch in der infantilen Ecke festsaßen und man mit dem Eintritt ins Berufsleben allem abschwor, was auch nur entfernt nach albernem Kinderquatsch aussah. Dieses Schwarz-Weiß-Denken durchbrach 1988 "Falsches Spiel mit Roger Rabbit", ein Jahr später kamen die Simpsons ins (amerikanische) Fernsehen. Beide setzten einen Trend fort, der sich 1987 schon mit der Graphic Novel Watchmen prominent angekündigt hatte. Comics und Cartoons wurden erwachsen. Auch wenn gesellschaftlich noch ein langer Weg zu gehen war, bis gesetzte Familienväter in Comicbuchläden Stammgäste sein durften oder eigentlich wertkonservative Eltern Serien wie South Park, Family Guy oder Drawn Together einschalteten, sobald die Kinder in ihren Betten lagen.
Ralph reichts darf sich 2012 hingegen in ein gemachtes Nest setzen. Metahumor in Animationsfilmen ist längst ein gewohntes Zuckerl für Erwachsene, die beim Kinobesuch oder DVD-Abend mit den Kindern etwas zu Lachen haben wollen. Heute sind Computerspiele als Medium zudem eine Stufe weiter, als es Cartoons zu Zeiten von Roger Rabbit waren. Trotzdem lassen sich viele Parallelen zwischen den beiden Filmen ziehen und die Unterschiede sind nicht minder interessant.
Ralph und Roger verbindet der fiktive Blick hinter die Kulissen des Mediums. Natürlich wissen wir, dass Cartoons nicht mit debilen Hasen und sexsüchtigen Babys mit Männerstimme in Hollywood-Studios gedreht werden. Genauso ist uns klar, dass die prügelnden Helden aus Street Fighter 2 kein gemeinsames Bierchen nach Feierabend im Arcade-Klassiker Tapper zischen. Doch beide Filme schöpfen ihre Faszination aus der Idee, dass die Helden unter der Oberfläche ihres Mediums noch ein anderes Leben führen.
In der Welt von Roger Rabbit wissen die Menschen vom Doppelleben ihrer Zeichentrick-Helden. In Ralph reichts dürfen sie nichts davon erfahren - ein ungeschriebenes Gesetz und wichtiges Plot-Element. "Du darfst den Ego-Shooter im laufenden Spiel nicht ansprechen. Unser Job ist es, die Gamer in dieses Gebäude zu bringen, damit sie eine schicke Medaille gewinnen. Also halt dich ans Programm," raunzt Sergeant Calhoun den panischen Ralph an, nachdem dieser einen Spieler in "Hero's Duty" mit voller Absicht in den Tod geschubst hat. Als Fix-it Felix später aus seiner Rolle fällt, bewegt er den Joystick des Automaten, statt sich davon kontrollieren zu lassen - sehr zur Verblüffung des Besitzers der Arcade-Halle. Ein Kind findet nichts dabei, dass Spielfiguren ein Eigenleben führen. Erwachsene hingegen lachen sich scheckig bei der Vorstellung, dass sich Endbosse abends noch zur Gruppentherapie treffen.
Dadurch gelingt es dem Film, die Zuschauer unabhängig vom Alter anzusprechen. Anders als Roger Rabbit, der mit seiner Film-Noir-Rahmenhandlung rund um Mord, Sex und Korruption für reiferes Publikum gedacht war. Ralph reichts ist hingegen ein klassischer "Film für die ganze Familie", um es auf die alte Marketing-Phrase zu bringen, die hier durchaus zutrifft. Typisch für jene Linie, die seit Pixars Erfolgsgeschichte zur Cashcow der ganzen Branche geworden ist: Handlung für Kids, Gags für Erwachsene. Besonders dankbar bin ich dabei für den Verzicht auf Gesangseinlagen - keine Selbstverständlichkeit für einen Disneyfilm.
Fazit: Anschauen!
Ralph reichts ist der perfekte Streifen für Computerspiel-Fans mit Kindern. Auch wenn die meisten Kinder von Computerspiel-Fans keinen Dunst haben dürften, weshalb es Mama und Papa so oft vor Lachen in die Kinosessel presst. Handwerklich bietet Disneys neuestes Werk Animationskunst auf gewohnt hohem Niveau und leistet sich keine stilistischen Fehltritte - eine runde Sache vom Disney-Logo in Pixelgrafik bis zum Abspann in klassischer 8-Bit-Optik. Die Actionsequenzen sind vielleicht ein bisschen zu schnell geschnitten und stroboskopartig für die Kleinsten im Kinosaal, aber noch im Rahmen des kindgerecht Zumutbaren. Slapstick-Einlagen haben das richtige Timing und bringen auch Erwachsene zum Schmunzeln. Die Anspielungen und Cameos sind sowieso spitze. Die wenigen rührseligen Momente bekommen grad noch die Kurve, bevor sie schmalzig werden. Ein paar geschickte Twists gegen Ende verknoten die drei Handlungsstränge in einem großen Finale, das keine Wünsche offen lässt.
Selbst wenn man nichts mit der ganzen Videospiel-Chose am Hut hat, bleibt Ralph reichts darum ein unterhaltsamer Film: Die witzige Geschichte des "Bösewichts" auf Sinnsuche, an deren Ende er mit sich selbst ins Reine kommt, Freunde findet und die Welt rettet. Das klingt furchtbar plakativ und kitschig, wurde aber vom Team rund um Regisseur und Autor Rich Moore (Futurama, Die Simpsons) mit viel Fingerspitzengefühl und der nötigen Selbstironie inszeniert. Das Ergebnis lässt niemanden kalt, nicht die Eltern, nicht die Kinder und nicht die abgebrühten Computerspieler, die drum herum im Kino sitzen.
Übrigens: auf der offiziellen Seite zum Film könnt ihr das 8-Bit-Original "Fix-it Felix Jr." spielen. Es gibt sogar browsertaugliche Unity-Versionen von Sugar Rush und Hero's Duty - grafisch stark abgespeckt, aber trotzdem eine nette Idee.