Rare Replay - Test
Die goldene Zeit.
Wer in den letzten 20 bis 25 Jahren einen Hauch für Spielkultur übrig hatte, weiß um Rares Verdienst. Ein Studio aus dem englischen Twycross, ohne das besonders Nintendos SNES- und N64-Ära niemals so Highlight-unterfüttert verlaufen wäre. Snake Rattle 'n' Roll, Battletoads, Donkey Kong Country, Banjo-Kazooie, Perfect Dark, Conker's Bad Fur Day müssen als Stellvertreter eines Dutzende große Namen umfassenden Katalogs reichen. Sagen wir einfach, mit Rare war in den meisten Fällen zu rechnen. Ihre Schlitzohrigkeit rieb sich wunderbar am letzten Schliff, den Nintendo ihren Spielen oft verpasste.
Unter Microsoft (ab 2002), nun ja, man muss hinnehmen, dass sich Rare im neuen Umfeld veränderte. Microsoft ist auch, wer morgen ein Zeugnis dieser Veränderung veröffentlicht. Eine Xbox-One-Sammlung namens Rare Replay, mit 30 Werken des Studios, von den Anfängen in den frühen Achtzigern, als die kleine Truppe noch Ultimate Play The Game hieß, bis zu ihren paar Xbox-360-Spielen. Zum Nice-Price von 30 Euro kann man hier die Nase hineinstecken in etwas Historisches oder einfach nur schnüffeln wie in einer alten Geschichte, die man nach langer Zeit vergaß.
Die Frage, ob man das tun sollte, liegt ganz daran, wie tief das Nachholbedürfnis reicht. Wenn euch nur sechs, sieben der Spiele interessieren, muss man nicht viel rechnen, dann holt es euch. Zumindest unter Vorbehalt: Einige Xbox-360-Titel laufen "out of the box" nicht optimal. Die Performance in Banjo-Kazooie: Nuts and Bolts und Perfect Dark Zero knickt des Öfteren ein, unter anderem bei vielen Transparenzeffekten. Das Tutorial in Nuts and Bolts ist an manchen Stellen nur mühevoll spielbar und auch das Ende der ersten Mission in Perfect Dark Zero, sobald die Jetpack-bemannten Kerle auftauchen, schleppt sich mehr, als dass man hier elegant ins Ziel kommt.
Nennt es einen unbekümmert vorweggeschickten Testballon für den kommenden Xbox-360-Emulator, mit dem Microsoft im Herbst den Xbox-One-Funktionsumfang erweitern will. Gucken, wie weit die Akzeptanz geht, den Flaschenhals ausmachen und dann nachbessern. Auf keinen Fall die beste Praxis bei einem Spiel, das sich als Vorzeigesammlung stolz auf die Brust trommeln soll: "Da schau her, Rare, cool, was?". Inzwischen sind diverse Updates erschienen, die man für jedes Spiel einzeln installieren muss. Zero profitiert dem Gefühl nach von den Verbesserungen, läuft nicht mehr so zäh-stotternd, aber wenn man sich pro Spiel mehrere hundert Megabyte herunterladen soll (Banjo-Kazooie etwa 800), darf man sich schon fragen, was hier schiefläuft.
Der Rest ist nahezu uneingeschränkt genießbar, jedenfalls soweit das Spiel unter Ausblendung seines Alters euren Gewohnheiten und Vorlieben entgegenkommt. Wer mit Jump-and-Runs nichts anfangen kann, der dürfte es auch mit dem heute noch fantastisch zu spielenden Banjo-Kazooie schwer haben, egal wie klasse die Musik ist. Vor allem zeigt die Sammlung, wie universell und diversifiziert Rare insbesondere in den Neunzigern unser Hobby bereicherte. Natürlich haben sie auch Ports und sogar Mist gemacht - man denke an Wrestlemania Challenge oder Nightmare on Elm Street für LJN -, doch gerade unter Nintendo nahmen sie oft, was an Ideen da war, und verwandelten sie in etwas Spielenswertes.
Das Ergebnis konnte ein freches Schlangenfressfest wie Snake Rattle 'n' Roll mit einem der besten NES-Soundtracks aller Zeiten sein, oder ein schräges Abrissspiel namens Blast Corps, dem ich einige meiner spaßigsten N64-Stunden verdanke. Schnelles Run-and-Gun namens Jet Force Gemini (inzwischen als eines der wenigen Beispiele nicht mehr so gut steuerbar) rollte ebenso aus der Entwicklerscheune wie das zotige Conker's Bad Fur Day, hier vorliegend in einer schön aufpolierten N64-Version.
In der Hochzeit war Rare wie eine Wundertüte, und heute noch einmal reingreifen und darin herumwühlen zu können, das ist eine wahre Freude. Und man muss keine Angst haben, gnadenlos unter die Räder zu geraten: Für praktisch alle älteren Spiele lassen sich im Menü Cheats zuschalten und jederzeit Spielstände anlegen, wo man früher hoffen musste, noch ein Continue auf der hohen Kante zu haben. Wer mag, schaltet obendrein Scanlinien wie auf alten CRT-Monitoren zu, falls Retro nicht weit genug zurückgehen kann. Schade, dass es für eine konfigurierbare Tastenbelegung nicht gereicht hat, in keinem der Spiele. Steht ihr mit der invertierten Kamera in Conker's Bad Fur Day auf Kriegsfuß, Pech, geht eben nicht anders.
Schade zum Zweiten, dass die unter „Rare Revealed" gelisteten Bonusvideos eine Freischaltung voraussetzen. Mich hätten besonders die Einblicke in einige nie erschienene Rare-Projekte interessiert, gibt zu jedem einen Filmbeitrag, aber Zugang nur beim Erreichen einer bestimmten Stufe. Diese steigt sammlungsübergreifend, wenn man spielt - egal was - und Fortschritt erzielt. Klar ist das der vordergründige Sinn eines Videospiels, doch wenn jemand Lust hat, als Erstes die Dokumentationen zu schauen, wieso darf er nicht genau das tun?
Statt der Videos hätten sich eher die Snapshots als Freischaltbares geeignet. Ähnlich wie in Nintendos Ultimate NES Remix sind das kleine Spielausschnitte, die man unter veränderten Bedingungen meistern muss, etwa in 30 Sekunden eine bestimmte Punktzahl im ersten Battletoads-Level erreichen oder ein Rennen in R.C. Pro-Am mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 85 mph gewinnen. Durchaus nette Zusätze, keine Frage, nimmt man gern mit. Allerdings sind gerade frühe Spiele aus den Achtzigern mitunter so kryptisch, dass man da steht und nicht sofort weiß, was zu tun ist, wenn man sie nie gespielt hat. Müsste man die Snapshots vorher freispielen, erübrigte sich das.
Trotz allem erhält Rare Replay die Erinnerung an ein Studio, das besonders unter Nintendo Großes leistete. Das sieht nun auch Microsoft so und gibt euch für 30 Euro eine nicht nur abend-, sondern wochenfüllende Beschäftigung, einen Frechdachs von einem Best-of. Nicht jedem wird hier alles Spaß machen, völlig klar und verständlich. Wenn ihr nicht vordergründig auf die nicht optimierten Xbox-360-Spiele scharf seid, kann ich nicht anders, als euch die Sammlung ans Herz zu legen. Beim Durchblättern der Menüs fühlt man sich ein bisschen wie in der Zeit, als die erste Station beim Spielkauf die wilden Cover-Artworks waren, die einen aus Glasvitrinen anblitzten. Sah cool aus, also kaufte man in der Hoffnung, tatsächlich was Cooles zu erwischen. Gut, dass die Chancen dafür bei Rare meist günstig standen. Dieses Paket ist der beste Beweis.