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Reality Check: Uncharted 4: Jäger verlorener Schätze im wirklichen Leben

Wo Spiel und Archäologenalltag auseinanderklaffen - und wo sie sich erstaunlich nahe sind.

Reality Check? Da gab's doch mal was? Richtig. Das hier sollte mal eine Reihe werden. Aber einerseits drängte sich in der Zwischenzeit kein Spiel so sehr dafür auf, es auf seinen Plausibilitätsgehalt zu überprüfen und andererseits... habe ich es auch ein bisschen vergessen. Den Einstand für diesen Tatsachenabgleich zwischen Spiel und Wirklichkeit machte vor mittlerweile drei Jahren The Last of Us. Damals unterhielten wir uns mit einem Mykologen der Uniklinik Köln über die im Spiel dargestellte Epidemie. Lustigerweise ist es wieder ein Naughty-Dog-Spiel, dem wir diese unverhoffte Fortsetzung dieses Artikelformats zu verdanken haben.

Auf Sonys Präsentation von Uncharted 4 in Berlin trafen wir einen waschechten Schatzjäger, der für uns ein wenig Licht auf die reale Suche nach versunkenen Kostbarkeiten werfen konnte. Nikolaus Graf Sandizell ist Mitgründer und Vorsitzender des in Portugal ansässigen Unternehmens Arqueonautas Worldwide, das sich der Rettung längst versunkenen Kulturguts verschrieben hat. Seit 21 Jahren macht er sich auf den Weltmeeren auf die Suche nach Schiffswracks und deren Inhalt. Als Gast-Experte eröffnet er die Vorstellung des Spiels ein bisschen süffisant: "Bei uns wird zum Glück weniger geschossen."

Nikolaus Graf Sandizell (rechts im Bild) bei der Arbeit.

Sandizell ist an diesem Tag besonders guter Dinge, denn seine jüngste, mit Unterstützung von Sony getätigte Expedition auf der Suche nach der 1650 vor Indonesien gesunkenen Ternate-Flotte, war ausgerechnet 48 Stunden zuvor von Erfolg gekrönt worden. Ein PR-Coup, so offensichtlich, dass er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keiner ist, sondern dem Glück und der Kompetenz Sandizells und seines Personal zuzurechnen ist. Als Sandizell über den Fund berichtet, blitzt es in seinen Augen kurz auf, das Glücksritterliche, das Helden wie Indiana Jones und seine Nachkommen so definiert.

Im anschließenden Vier-Augen-Gespräch mit Sandizell merkt man aber schnell, dass das echte und das virtuelle Schatzjägertum bei allen Gemeinsamkeiten meist deutlich organisierter und auch friedfertiger abläuft, als Filme und Spiele es inszenieren. Das ist sicher nicht die größte Überraschung, die liegt tatsächlich eher in den zahlreichen Parallelen. Auch wenn Sandizell und Arqueonautas eher von "maritimer Archäologie" sprechen als von "Schatzjägertum", kann man davon ausgehen, dass dem virtuellen und dem echten Suchenden versunkener Kostbarkeiten ein paar Dinge gemein sind. Sandizell selbst kommt aus der Wirtschaft, als er 1995 die Firma mitbegründet, hatte aber schon früh seine Liebe für das Meer und das Tauchen entdeckt. Auch interessierte er sich seit jeher sehr für Geschichte. "Und der Wunsch, einen Schatz zu finden, steckt schon seit Kindestagen in jedem von uns", beschreibt er die Genesis seiner Passion.

Haben viel gemeinsam: Nathan Drake und Graf Sandizell - sie gehen nur ein wenig anders an die gleichen Probleme.

"Ich muss über die Romantisierung, die in Film und Spiel einsetzt, immer ein bisschen schmunzeln, weil die Realität halt wirklich eine völlig andere ist", aber - und das schickt er gleich im nächsten Satz hinterher: "Es gibt wichtige Parallelen. Auch in Uncharted wird recherchiert, verläuft die Suche ein bisschen wie eine Detektivgeschichte. Man muss ein Rätsel lösen und die Art, auf die das geschieht, ähnelt sich in Realität und Fiktion sehr". Etwas zu entdecken, ein Rätsel zu lösen. Das haben Sandizell und seine Leute mit Helden wie Drake und Indiana Jones gemein. Und dann ist da das unabdingbare Verlangen, Bewandtnisse und Errungenschaften der Vergangenheit, die andernfalls wohl unwiederbringlich verlorengingen, für die Nachwelt festzuhalten. Das berühmteste Indy-Zitat lautet "Es gehört in ein Museum", ein Satz den Sandizell wohl unterschreiben würde.

"Das übergeordnete Ziel ist die Erhaltung des Kulturwertes und natürlich die wissenschaftliche Aufarbeitung. Hier kommen sehr viele interessante Informationen darüber zusammen, wie wir damals gelebt haben." Sandizell erinnert sich an den Leitspruch seiner Mentorin, Dr. Margaret Rule, die 1982 das Tudor-Kriegsschiff Mary Rose vor Portsmouth barg. "Sie sagte immer, ein Schiffswrack ist wie eine Zeitkapsel'. So ein Segler geht unter und wenn man Glück hat, wurde er Hunderte Jahre lang nicht mehr berührt." Die Sedimente, Korallen und anderer Bewuchs konservieren das Wrack, da kein Sauerstoff mehr die Zersetzung vorantreibt - was auch etliche Generationen später noch erstaunliche Rückschlüsse auf die Vorgänge auf dem Schiff zulässt.

"Theoretisch kann man noch feststellen, was der Kapitän am Vorabend gegessen hat. Das sind Informationen, wie man sie in der Landarchäologie eigentlich nicht findet". Ausnahme bildeten laut Sandizell nur Schocksituationen, wie man sie im zu Teilen im in Asche und Magma konservierten Pompei vorfindet. Gesunkene Schiffe finde man regelmäßig so vor.

Unter Wasser ist vor allem die Kunst, zu erkennen, was überwucherte Reichtümer und Kulturgüter sind und was nicht. Werkzeuge wie Magnetometer helfen dabei.

Bevor das aber passieren kann, muss man ein paar Ringe der Bürokratie durchspringen. Eine Erfahrung, die Nathan Drake im vierten Uncharted zu Beginn ja auch macht. Im wirklichen Leben holt man besser die nötigen Befugnisse ein, sich nach diesen Schätzen auf die Suche zu begeben. "In der Regel sucht man den Austausch mit dem Kultusministerium", beschreibt Sandizell. "Wir gehen zum Beispiel zu denen und zeigen ihnen, in welchen Seegebieten unsere historischen Recherchen auf versunkene Schiffswracks hindeuten. Wir fragen, ob die Regierung schon tätig wurde, diese zu schützen oder zu registrieren." Die Antwort falle, so Sandizell, in aller Regel negativ aus. Oft wissen die Behörden nicht einmal von den Wracks und vergeben dann eine Lizenz, um nach ihnen zu suchen. Natürlich nicht zur eigenen Bereicherung, denn jedwede Schätze und Kulturgüter, die im Hoheitsgebiet eines Landes gefunden werden, gehören nicht dem Finder, sondern dem Land.

Anders als die Helden aus Film und Spiel ist die Weltenbummelei auch deutlich weniger durch ein Hin und Her geprägt. "Wir sind eigentlich nie kurzfristig in einem Land. Wir haben ganz klar geografische Schwerpunkte, die sich daraus ergeben, dass wir von Anfang an der portugiesischen Handelsroute gefolgt sind. Also von Lissabon bis hin zu den Banda Islands, wo auch heute noch die Muskatnuss herkommt." Der längere Aufenthalt an bestimmten Orten ist insofern hilfreich, als dass Sandizell und seine Leute vor Ort Einheimische einstellen und in der Benutzung der hoch spezialisierten Werkzeuge vom Magnetometer bis zum Sidescan-Sonar ausbilden können.

Heute hier, morgen dort? Echte Schatzjäger planen ihre Expeditionen so, dass sie einen Ort länger auf versunkene Fracht abklopfen können.

Vor Westafrika und den Kapverdischen Inseln war Arqueonautas sage und schreibe sieben Jahre lang beschäftigt. Auf die Funde des Teams gehen zwei Museen zurück, ein lokales Expertenteam ist noch immer dort tätig. In Mozambique hielt sich das Team 14 Jahre auf. "Man schießt sich auf Gebiete ein, lernt dort die Regierung und ihre Gesetze kennen, hat sehr detaillierte Recherchen. Das ist ein sehr viel strukturierteres Vorgehen als wenn man sagt, 'heute gehen wir dorthin, morgen dort'." Eine Absage also an rote Linien auf Landkarten und Reisemontagen zu heroischer Musik.

Was die Maritim-Archäologen dann aus dem Wasser holen, hat es in sich. "Die eigentliche Ladung eines vor 500 Jahren gesunkenen Schiffes ist heute teilweise wertvoller als damals. Typische Ladung sind etwa Münzen, von denen durchaus schon mal 30.000 Stück auf einem Schiff zusammenkommen." Andere typische Handelsware sei auch Ming-Porzellan gewesen, das heute noch kostbarer ist. "Alles andere sind im Grunde Einzelgegenstände, die einen sehr hohen kulturellen und oft auch monetären Wert haben", so Sandizell.

Eine Konkurrenz unter den Archäologen, wie sie in Spielen und Filmen so oft dargestellt wird, gebe es dennoch selten, versichert Sandizell. Tatsächlich gälten unter Berufsgenossen meist Gentleman-Agreements, bei denen man sich in den gegenseitigen geographischen Gebieten nur selten dazwischenfunkt. "Man hilft sich sogar eher, 'kannst du mir mal ein Magnetometer ausleihen' - solche Dinge." Wirtschaftliche Interessen seien heutzutage außen vor - Arqueonautas ist mittlerweile auch eine Lifestyle-Marke, die ihre Expeditionen über Tantiemen finanziert. Konkurrenz kommt eher von anderer Seite. Sie nimmt eine Form an, die sich ziemlich treffend mit dem klassischen Bild von Gut und Böse deckt, das von Indy über "Die Mumie" bis hin zu Uncharted alle Abenteuerstoffe ein bisschen voneinander abgepaust haben.

Arqueonautas holt sich auf seinen Expeditionen Unterstützung bei den Einheimischen.

Auf der einen Seite die Bewahrer und Entdecker, auf der anderen Seite gierige Räuber verlorener Kostbarkeiten. Sandizell erlebe das in Indonesien am eigenen Leibe, wo organisierte Banden von Schatzräubern es unmöglich machten, dass er und sein Team sich ohne bewaffnete Sicherheitsleute aufs Meer hinausbegeben. "Heutzutage fahren einige einfache Fischersleute mit Tiefenmessern aufs Meer hinaus. Damit kann man bereits den Tumulus eines Schiffswracks am Meeresgrund ausmachen." Nach so einem Fund eröffneten sich dem Fischer laut Sandizell zwei Optionen: "Wendet er sich an die illegalen Schatzräuber, bekommt er dafür ein paar Tausend Dollar und kauft sich einen neuen Außenbordmotor, während das Wrack geplündert wird." Die andere Möglichkeit: Der Dialog mit Firmen wie der Sandizells. "Wir geben ihm Arbeit und bergen das Wrack gemeinsam. Damit fährt er auf lange Sicht in der Regel sogar besser."

Das schnelle Geld liege aber bei den Schatzräubern, die für viele der Gegenstände, die so ein Jahrhunderte altes Schiffswrack in sich birgt, keinerlei Verwendung haben. "Ein Räuber pickt sich die 'Kirschen' heraus, und nimmt absolut nur Dinge, von denen er meint, dass er sie auf dem Schwarzmarkt verkaufen kann." In der Regel sei dies Porzellan, das über den Schwarzmarkt schließlich in Antiquitätenläden landet. "In London, vielleicht sogar hier in Berlin können sie in solchen Läden Porzellan von Schiffswracks finden." Für Sandizell ist das aber nicht das Gleiche. "Das Tragische daran ist, dass diese Stücke ihre Identität verloren haben, weil man in der Regel nicht mehr weiß, von welchem Wrack es kam. Seine Geschichte ist wie ausgelöscht. Auch der Wert ist in meinen Augen wesentlich niedriger."

Wenn Funde ausgiebig katalogisiert und dokumentiert werden - hier im Bild alte Kanonenkugeln -, ist ihr Wert höher. Ich bin nicht sicher, ob Drake Lust auf den Papierkram hätte.

Was die mystischen und mächtigen Artefakte angeht, die die Schatzsuchen der Unterhaltungsmedien so oft pfeffern, steckt unterdessen selten mehr als nur ein initialer Funken Wahrheit darin. "Da mischt sich auch in der Realität Wahrheit und Legende. Wenn man auf einer Expedition diese Detektivgeschichte lebt, muss man vorsichtig sein, dass man sich nicht in zu wilde Spekulationen verstrickt." Eine aktuelle Expedition Arqueonautas, dieses Mal ausnahmsweise am Land, befasst sich sogar tatsächlich mit einem Relikt, dessen Existenz nicht vollständig stichhaltig bestätigt ist. "Bei diesem Projekt geht es um eine entführte Prinzessin des Königs von Madjapahit, Indonesien. Die heiratete schließlich einen Piratenprinzen. Bis dahin scheint die Geschichte zu stimmen", erzählt Sandizell. "Die Bugis, dieses Piratenvolk, sind danach unheimlich erstarkt und angeblich ist diese ganze Geschichte auf einem goldenen Lontar [einem Palmenblatt - der Autor] eingraviert."

"Es leben noch einige ältere Bugis, die behaupten, dieses Artefakt noch gesehen zu haben. Hier beginnt dann diese Nathan-Drake-Geschichte, wenn wir versuchen, herauszufinden, ob wir das noch finden können. Das wäre natürlich eine Sensation. So entstehen dann Parallelen zur Popkultur, dass man solchen Halblegenden hinterhergeht, wenn man Ansatzpunkte findet, dass an der Legende gegebenenfalls etwas dran sein könnte. Und selbst wenn nicht, aus anthropologischer Sicht lohnt es sich fast immer, herauszufinden, warum diese Legende entstanden ist", so Sandizell.

Mythos und Legenden voneinander zu trennen, ist oft nicht so einfach. In Spielen und Filmen sind sie häufiger ein und dasselbe als in der Realität.

Den prototypisch verwegenen Haudegen vom Schlag eines Nathan Drake, der es vielleicht auch nicht mit dem Gesetz so ganz genau nimmt und ein hohes Risiko fährt, den gebe es im Reich der Schatzjäger tatsächlich noch, sagt Graf Sandizell. "Aber sie werden immer seltener. Es gibt da ein paar Namen, die ich persönlich als Cowboys bezeichnen würde. Das sind zum Teil sehr interessante Charaktere. Aber das sind eigentlich Zeiten, die sind so langsam vorbei. Ich erkläre es immer so: Als wir vor 21 Jahren begannen, da war es noch ok, im Flugzeug eine Zigarette zu rauchen, auch Schatzsucher zu sein, war da noch in Ordnung. Heute hat sich der Zeitgeist einfach verändert. Insofern sind diese Nathan-Drake-Charaktere eigentlich am Aussterben. Das kann man mit Bedauern betrachten oder einfach akzeptieren, dass es so ist."

Das ist die letzte, auch ein bisschen melancholisch stimmende Parallele zur Popkultur. In Zeiten, in denen Videospiele in Fantasywelten oder in den Sternen ihr Glück suchen, ist das Bild vom Schatzjäger, der in tropischen Gefilden mit einem losen Spruch auf den Lippen alten Reliquien nachjagt, ein fast schon sentimental-klassisches. Naughty Dog hält es da ganz mit Graf Sandizell. Die Zeit für diesen Typus Helden ist wohl - vorerst - abgelaufen. Aber sie nehmen dieses Schicksal auf die bestmögliche Art an: Mit einem letzten, großen Abenteuer.

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