Reigns: Her Majesty - Test
Tinder für Königinnen.
Dass Tinder zum Mittel der Wahl in Sachen Dating geworden ist, lässt einen ja fast zum Kulturpessimisten werden. Wenn sich die Angebetete durch ein Wischen nach links oder rechts auswählen lässt, was wird dann aus anderen Lebensbereichen? Wählen wir künftig auch unsere Berufe so, unsere Ausbildung, den Kindergarten für unseren Nachwuchs? Ich möchte gar nicht daran denken. Aber zumindest innerhalb digitaler Spiele kann dieser sehr simple Mechanismus funktionieren, wie Reigns beweist: Ein kleiner, aber feiner Titel, erschienen für Steam und mobile Geräte, in dem ihr durch simple Entscheidungen die Herrschaft über ein Königreich aufrechterhalten habt. Jetzt hat Reigns einen Nachfolger - und diesmal verkörpert ihr nicht den König, sondern dessen Gemahlin.
Bevor ich zu all den metaphysischen Kram komme, der Reigns: Her Majesty durchzieht wie Pilzsporen eine altes Scheibe Toastbrot, ein paar Worte zum Gameplay: Ihr verkörpert im Spiel immer eine Königin, das Spiel bestimmt welche. Nach dem Start dürft ihr bei verschiedenen Begehren eurer Untertanen oder eures Gatten jeweils zwischen zwei Optionen wählen. Wollt ihr die Delegation aus dem fernen Land empfangen? Wollt ihr für euch selbst eine Statue bauen? Wollt ihr ein Kloster errichten oder doch lieber eine Universität? Das Problem: Es gibt in eurem Reich vier entscheidende Mächte: die Kirche, das Volk, das Militär und diejenigen, die eure Schatzkammer verwalten. Jede Entscheidung beeinflusst einen dieser Werte nach oben oder unten und wenn auch nur einer an seinem Extrem angekommen ist, verliert ihr das Spiel - werdet also hingerichtet, von Hunden gefressen, sterbt nach 20 Jahren im Verlies oder werdet gar vom liebenden Volk überrannt und in Rosen erdrückt. Tode gibt es wirklich viele.
Entscheidend ist aber, dass zwar eure Königin stirbt, ihr als Spieler aber schlichtweg in die Haut ihrer Nachfolger schlüpft und wesentliche Geschehnisse aus dem Leben eures vorherigen Alter Ego übernehmt. Das Spiel stellt euch immer eine Auswahl von drei Quests und diese bleiben über ein komplettes Spiel hinweg immer erfüllt, ganz egal, wie viele eurer Königinnen das Zeitliche segnen. Viele dieser Quests schalten bei Erfüllen neue Karten frei und damit neue Optionen und wieder neue Quests. Und nach und nach wird die ganze Geschichte in Reigns: Her Majesty reichlich mysteriös. Denn irgendwas verbindet euch mit euren Vorgängerinnen, irgendeine mystische Macht, die sich alsbald in Form der Allmutter zeigt. Was sie will? Wisst ihr nicht. Warum ihr im Sterben von ihr halluziniert und euch bei der Geburt wieder an sie erinnert auch nicht. Aber irgendwas gibt es, das euch zu ihr zieht.
Und so enthält Reigns: Her Majesty neben dem bloßen Tinder-Wischen auch die Möglichkeit, in bestimmten Situationen Gegenstände einzusetzen, die ihr von anderen Figuren erhaltet. Ein Zauberbuch beispielsweise, das königliche Parfum, aber auch einen Hühnerknochen oder eine Taschenuhr - wobei sich zahlreiche Gegenstände aufwerten lassen, wenn ihr sie nur der richtigen Person gebt. Habt ihr diese Mechanik erst einmal verinnerlicht, wird das Spiel vom Tinder-Abklatsch plötzlich zu einem rätsellastigen Adventure, bei dem ihr herausfinden könnt, was sich hinter mysteriösen Kulten verbirgt, wer diese Piraten sind, die euer Königreich bedrohen und bei dem ihr Affären mit euren Kammerdienern haben könnt. Und natürlich begebt ihr euch auch auf die Spur der Allmutter und versucht herauszufinden, was hinter dem mysteriösen Kult steckt, der sie umgibt, stets im Widerspruch zur kirchlichen Lehre, versteht sich.
Dass sich die Komplexität einer solchen Geschichte mit zwei Wahlmöglichkeiten und maximal fünf einsetzbaren Gegenständen darstellen lässt, ist erstaunlich. Von der zwar hübschen, aber reduzierten Grafik und den paar Ambient-Sounds abgesehen, hätte man dieses Spiel vermutlich ähnlich auch in QBasic programmieren können, ohne irgendwelche Gameplay-Abstriche machen zu müssen. Aber eben das empfand ich als sehr entspannend. Ich saß vor dem Bildschirm, habe hier nach rechts, da nach links gewischt und wenn etwas nicht funktioniert hat, habe ich mit der nächsten Königin eben etwas anderes probiert. Kein Risiko, kein Frust, nur eine verrückte Geschichte und ihr als der Mensch vor dem Bildschirm der gottgleich alles mit einer tumben Tinder-Mechanik steuert. Reigns: Her Majesty ist so gesehen heilsam für alle, die manchmal keine Lust haben auf die Eingewöhnungsphase diverser Triple-A-Spiele, die einfach klicken und losspielen wollen.
Hinzu kommt: Die Geschichte fördert euer Vorstellungsvermögen. Das Spiel selbst zeigt sehr wenig, es zwingt euch dazu, selbst die Verbindung zwischen dem einen und dem anderen Ereignis herzustellen, es hilft euch nicht. Ihr könnt nur ausprobieren und herausfinden, was was bewirkt. Wenn ihr plötzlich im Irrgarten also eine bestimmte Stelle findet, die vorher nicht da war, fragt ihr euch, woran das liegen könnte. Klar: Das Spiel gibt euch Hinweise, die werfen aber meistens nur wieder neue Fragen auf und letzten Endes seid ihr dann doch wieder auf euch allein gestellt. Sehr stark vereinfacht repräsentiert Reigns: Her Majesty also auch alte Adventure-Tugenden.
Reigns: Her Majesty hat mir letzten Endes mehr Spaß gemacht als ich eigentlich zulassen wollte. Stundenlang konnte ich mich nicht davon losreißen - und das, obwohl ich nur alle paar Königinnenleben wirklich etwas Neues entdeckt habe. Irgendwie wusste ich aber, dass es jederzeit passieren kann und genau diese Neugier hat mich bei der Stange gehalten. Gleichzeitig lässt sich das Spiel aber auch nur für fünf bis zehn Minuten spielen und es gibt wirklich keinen Grund, ebendas nicht zu tun. Klar - die Mechanik könnte simpler kaum sein, die Grafik ist extrem reduziert, Sound teilweise nicht vorhanden. Aber manchmal, zur Entspannung zwischendurch, braucht es vielleicht auch kein State-of-the-Art-Design. Jedem, der 2,99 Euro für ein so spannendes, wie einfaches Adventure übrig hat, kann ich Reigns: Her Majesty nur empfehlen.
Entwickler/Publisher: Nerial, Synaptic Insight Technology Systems/Devolver Digital - Erscheint für: PC, Android, iOS - Preis: 2,99 Euro - Erscheint am: erhältlich - Getestete Version: PC - Sprache: deutsch - Mikrotransaktionen: Nein