reMarkable 2 e-ink Tablet im Test: Ihr wisst, dass ihr euch mehr Notizen machen solltet
(K)ein Tablet.
Hiermit habe ich mir Zeit gelassen. Ein gutes halbes Jahr, vermutlich länger, habe ich das reMarkable 2 e-ink Tablet jetzt im Gebrauch. Ich wollte wissen, ist es nur ein hübsches Gadget, das mich ansprach, weil es neu und anders war? Etwas, dessen Reiz nach ein paar Wochen verfliegen würde? Oder stellt es tatsächlich eine Bereicherung für meinen Alltag dar?
Als jemand, der privat und beruflich viele Bälle gleichzeitig jongliert, von Natur aus aber ein eher schlechter Multitasker ist, nehme ich mir regelmäßig vor, mir Notizen zu machen. Denn was man sich aufschreibt, das behält man auch besser im Kopf. Etwas niederzuschreiben, hilft, die Gedanken zu sortieren, Aufgaben zu priorisieren, Klarheit in seinen Tag zu bekommen. Jeder sollte sich mehr Notizen machen!
Aber Zettelwirtschaft hat so ihre Schwächen – “wo war noch mal der Block?”, “wo der Stift?”, “wo habe ich den Zettel gelassen?” “Papier alle”, “Zettel voll”, “Mist verschrieben” – es sind kleine Probleme logistischer Art, die aber regelmäßig verhinderten, dass Notizen wirklich routinemäßiger Teil meines Tages wurden. Im Grunde eine kleine Sache. Und wie immer, wenn man sich auf die Suche nach der perfekten Lösung für ein sehr spezifisches Problem macht, ist vor allem der Preis des Produktes ein Faktor, der schon viele Leute vorab aussieben wird.
Skandinavisches Design, skandinavischer Preis
Das Basisgerät mit dem normalen Stift – der ohne “Radiergummi” – kostet bereits 449 Euro. In der Version, die mir vorliegt, mit “Marker Plus”-Stift (50 Euro) und “Type Folio” Cover mit integrierter taktiler Tastatur (219 Euro) sind wir bei saftigen 719 Euro angekommen. Wer 60 Euro draufzahlt, bekommt ein aktuelles iPad in der Basisversion, mit dem normalen Apple Pencil und Tastatur-Folio und hat ein Gerät, das entschieden mehr kann. Unter anderem Farbe, denn das e-Ink Tablet bleibt stets monochrom. Auch auf einen Browser müssen reMarkable-User verzichten, denn der Bildschirm ist für moderne Online-Inhalte ungeeignet. Der Haken am iPad ist: Schreiben ist darauf meiner Meinung nach unterirdisch. Wie der Stift über das Glas wischt, das hat mit dem Schreiben auf Papier nichts zu tun.
Hier kommt reMarkable ins Spiel, dessen raue Oberfläche einfach ein wundervolles Schreibgefühl (und Geräusch) erzeugt. Ich würde es im verblindeten Experiment nicht mit Papier verwechseln. Tatsächlich fühlt es sich sogar noch befriedigender an, hierauf zu kritzeln, schreiben, zeichnen. Aber: Es bleibt ein sehr fokussiertes Gerät, das nicht jeder brauchen wird und das nur wenige Sache kann – die dafür aber sehr, sehr gut. Vor allem kann es euch helfen, euch aufs Wesentliche zu konzentrieren, denn kein E-Mail-Posteingang schreit um Aufmerksamkeit, kein Discord-Fenster blinkt euch von der Seite an und kein Browser-Tab verspricht köstliche Prokrastination. Das reMarkable lässt euch mit euren Gedanken in Ruhe.
Aber von mal vorn
Vielleicht mal andersherum, denn das reMarkable 2 lediglich als digitalen Notizblock abzutun, ist dann doch schon etwas redundant und wird dem Gerät nicht gerecht. Das Tablet selbst ist 24,5 cm hoch, 18,5 cm breit und etwa 4,5 mm flach und 400 Gramm leicht. Tatsächlich ist es sogar deutlich leichter und handlicher, als das klingt. Dennoch sind die Materialien wahnsinnig premium. Der Rahmen ist aus Metall, die Vorderseite aus Glas und die Rückseite vermutlich auch, so wie ich das sehe. Vier zierliche Gummifüße betten das Tablet rutschfest selbst auf glatten Tischen und wenn man das Type Folio besitzt, findet es magnetisch bombensicher darin Platz. Alles fühlt sich spitze an, wie ein Gerät, das man ständig mitnehmen und anfassen möchte.
Legt man das reMarkable im Type Folio quer vor sich und hebt es dann den leicht vorstehenden Rändern an, klappt es fast wie von selbst von der darunter versteckten Tastatur hoch und ich glaube, in Sachen Hardware- und Produktdesign ist das einer der “Oho”-sten Momente, seit ich das erste Mal gesehen habe, dass man das erste Apple Smart-Cover aufrollen konnte, damit es ein Ständer für das iPad ist. In diesem “Laptop”-Modus müssen Zwangsneurotiker zwar aushalten, dass der rechte Rand dicker ist als der linke – hier ist wohl die Batterie verbaut, die gut zwei Wochen hält (der Verzicht auf Display-Beleuchtung macht es möglich). Aber das kriegt ihr schon hin! Zumal das Tipp-Gefühl des Keyboards tatsächlich ausgezeichnet ist.
Nach einem halben Jahr Nutzungsdauer hat sich für mich ein System herauskristallisiert, das mir besonders hilft, den Überblick über meinen Alltag zu bewahren: Auf dem Home-Screen des Tablets liegen 12 Dokumente. Mehr ginge auch und wenn man wollte, könnte man das nette Tag-System verwenden, um zum Beispiel Arbeit und Privates zu trennen. Ich mag jedenfalls meine Beschränkung auf 12 Mehrzweck-Dokumente, damit ich nicht scrollen muss und jedes Dokument direkt sehe. Einzelne Docs lassen sich auf beliebig viele Seiten aufblasen, jede Einzelseite darf selbstverständlich so lang sein, wie man möchte. Verschiedene Vorlagen ermöglichen das Einrichten eines Dokuments als liniert, kariert, unterschiedlichste Tabellen, diverse Wochenplaner, Storyboards, Notenblätter und Musiktabulaturen für Klavier, Gitarre, etc., To-do-Listen mit Häkchenboxen oder als Zeichenhilfe mit Perspektivlinien. Es ist also nicht nur ein Notizblock, sondern jeder Notizblock, den man sich vorstellen und brauchen kann.
Wie ich mich organisiert habe
Meine Dokumente heißen etwa “Artikel To-do”, was eine Sammlung dessen ist, was ich in der nächsten Zeit schreiben und abgeben muss. “Tipp-Notizen” mache ich auf, wenn mir in einem Spiel etwas unterkommt, das für den Guide-Bereich unserer Seite verwenden kann. “Review-Notizen” sammeln alles, was mir an Games so auffällt, während ich sie teste und “Rolling Article” dient als übergeordnete Ideen- und Beobachtungssammlung, die meinen bisweilen wirren Gedankenfluss eine Richtung geben sollen. In “Familie To-do” kommt dann alles, was man als arbeitender Papa so macht. “Einkaufsliste” ist genauso selbsterklärend wie “Rezepte” – Kochrezepte aufschreiben erspart viel Youtube-Scrubbing-Arbeit –, während “Der Tag” und “Die Woche” Klarheit in meine Abläufe bringen.
“Urlaub” sammelt Ideen für Ausflüge und Dinge, die man dort machen kann, unter “Journal” habe ich eine Weile so etwas wie Tagebuch geführt, aber eigentlich nur, weil ich den Kalligrafie-Stift so schön fand, während ich unter “Kritzeln” immer mal wieder ein wenig zeichne. Damals hat man mir gesagt, ich könnte das. Heute glaube ich nicht mehr so recht daran. Aber dieses Talent ist wohl die Sorte Pflänzchen, die man reichlich wässern muss, damit etwas daraus wird. Seit ich das reMarkable habe, gibt’s tatsächlich alle paar Tage wieder ein paar Tropfen, als wäre es noch nicht zu spät.
So oder so: Worauf man auch klickt, alles ist recht zügig da und obwohl der schwarz-weiße E-Paper-Bildschirm natürlich nicht stufenlos scrollt, ist die Darstellung schön crisp. Es liegt in der Natur dieser Display-Technologie, dass alles, was man löscht oder an dem man vorbei blättert, noch nachschimmert. Nach einigen Augenblicken löscht das reMarkable dann aber etwaige Rückstände und alles, was dann zu sehen ist, ist das blassgraue Nichts, das ihr mit dem Inhalt eures Hirns füllt.
Der Stift selbst läuft ohne Batterie, jede Linie ist schnell zu Papier gebracht. Es gibt einen leichten Lag, aber keinen, den man beim Schreiben bemerken würde. Neun verschiedene Stifte vom Bleistift über den Kalligrafiefüller bis zum Marker werden drucksensitiv abgefragt und weil ich wirklich kein Künstler bin, kann ich nicht sagen, ob das passionierten Zeichnen genügen würde, aber ich bin regelmäßig sehr angetan davon, was möglich ist. Auch “Farben” kann man diversen Stiften zuordnen. Die sieht man dann allerdings erst, wenn man sich die Dokumente auf einem PC oder dem Smartphone anschaut.
Die App, das Abo und was man ohne machen kann
Womit wir bei der Konnektivität wären. Das Synchronisieren und bearbeiteten von Dokumenten auf Smartphones und iOS- oder Windows Rechnern sowie unbegrenzten Cloud-Speicher lässt sich reMarkable 2,99 Euro zusätzlich kosten. Wer, wie ich, seinen Tages- und Wochenplan, sowie seine Einkaufsliste immer mit sich rumschleppen will, der wird das okay finden. Aber komplett essenziell ist es nicht. Denn auch Onedrive, GoogleDrive sowie Dropbox sind ohne Abo integrierbar – oder man schickt mit der Boomer-Methode Dokumente per E-Mail an sich selbst (was ich tatsächlich immer gern mache, wenn ich zwischen Tür und Angel schnell was niedertippe).
Tolle Features, wie das reMarkable per Screen Share mit einem Rechner mit Projektor oder Bildschirm zu verbinden und ihn so zum digitalen Whiteboard zu machen, sind auch ohne Connect-Abo sehr praktisch. Das “Read on reMarkable” Chrome-Plugin schickt Artikel von Webseiten ebenfalls zum Lesen auf das e-Ink Tablet. Ich schiebe mir mittlerweile gern Artikel, für die ich am Tage keine Zeit habe, zur abendlichen Lektüre auf das reMarkable, oder redaktionelle Beiträge von uns, die ich korrekturlese. Und auch die Konvertierung von Hand- in Maschinenschrift dürft ihr ohne Abo nutzen. Das funktioniert sogar bei meiner Sauklaue ganz ausgezeichnet und trainiert nebenher das leserliche Schreiben meiner verkrüppelten Tastaturfinger.
Eine letzte Position an laufenden Kosten kommt noch auf euch zu: Die Spitzen des Stiftes nutzen sich auf der Oberfläche des Tablets so ab, dass sie regelmäßig gewechselt werden müssen. Ich bin erst zu drei Vierteln durch mein erstes Neunerpack und werde bald für 14 Euro ein neue bestellen. Oh, und natürlich kann man das Tablet auch als e-Reader verwenden. pdfs und epub-Dateien liest das reMarkable 2 gut. Allerdings schränkt der Kopierschutz der meisten Verläge und e-Reader-Anbieter hier stark ein, was ihr wirklich auf dem Gerät lesen könnt. Das ist schade und vermutlich der einzige schwerwiegende Kritikpunkt an diesem zauberhaften Rechteck.
reMarkable 2 e-Ink Tablet – Fazit:
Also: Das reMarkable 2 als bloßen digitalen Notizblock zu beschreiben, wird dem Gerät nicht gerecht. In Sachen Konnektivität und Features – Handschrift zu Text, Screen Share, etc. – ist es ein überaus nützlicher Helfer, der für meine Produktivität einiges getan hat. Das rM2 hat mich als digitaler Zeichenblock unterhalten und hilft mir, in Familienangelegenheiten den Überblick zu behalten. Den Sommer über habe ich regelmäßig Artikel auf der wundervollen Tastatur des reMarkable im Garten getippt. Dabei war ich immer wieder überrascht, wie konzentriert man ist, wenn man im Grunde “nur” eine Schreibmaschine vor der Nase hat, die nichts als den aktuellen Arbeitsauftrag vor einem ausrollt. Auch fühlt es sich fantastisch an, Gedanken mit den Händen "zu Papier" zu bringen - als bewirke das eine intensivere Auseinandersetzung mit dem, was man schreibt. Schwer in Worte zu fassen, aber es stimmt.
Der Preis ist natürlich genauso skandinavisch wie das edle Design. Vor allem, wenn man “Tablet” liest und damit im Grunde einen kompakten Computer erwartet, scheinen 449 ohne Hülle sehr hoch gegriffen. Auch ich empfand es zunächst so. Aber schon nach wenigen Tagen war klar: Das reMarkable will überhaupt kein Tablet sein, wie wir es kennen, sondern ganz andere Dinge für euch tun. Ich war nicht sicher, ob ich eines "brauchen" würde. Aber ich weiß, dass ich es nicht mehr missen wollen würde, so sehr hat es sich in mein Leben integriert. Das kommt nicht alle Tage vor.
reMarkable 2 e-Ink Tablet | |
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