Remember Me – wenn französischer Esprit und die Avantgarde auf Uncharted und Final Fight treffen.
Dann packt noch Total Recall dazu und ihr seid schon fast da.
Für viele - gerade jüngere - gilt Beyond Good and Evil als der Inbegriff des kunstvollen französischen Spiels. Spielerisch ausgereift und ästhetisch innovativ wie anspruchsvoll und natürlich zum Zeitpunkt des Erscheinens mit eher mäßigem kommerziellen Erfolg gesegnet. Mit Ausnahme von letzterer Eigenschaft also so ziemlich der Idealfall eines guten Videospiels. Für mich - aufgewachsen in den 80ern - waren es jedoch die Spiele wie Infogrames Quest for the Time Bird oder Kult. Ästhetisch und technisch bahnbrechend, Spiele, die Stil über alles setzten. Aber als Spiel selbst ... nun, an einem guten Tag waren sie ok, man konnte Kult spielen, aber da gab es selbst in den Grabbelkisten von US Gold Besseres. Noch mal eine Spieler-Generation weiter und Auftritt Remember Me. Wo gehörst Du denn hin, Du fast schon aufgegebenes, von Japanern wiederbelebtes Cyberpunk-Etwas, Du?
Eine schöne neue Welt, die ihr da habt.
Tja, so ganz genau konnte das etwas mehr als eine Stunde mit der Xbox-Version nicht beantworten. Es ist definitiv stilistisch gut durchdesigned. Die Welt des 2084er Paris ist eine auf der einen Seite sehr klassische Cyberpunk-Vision. Mensch und Technik sind eigenwillig verschmolzen. Es tut sich eine dramatische Spaltung zwischen Arm und Reich auf. Die harte Trennlinie zwischen Regierungs/Konzern-(ange)hörig und außerhalb dieser straffen Ordnung stehend ist gezogen. Die letzte Grenze verläuft zwischen der Menschlichkeit und etwas ganz anderem und hier beängstigendem. Gut bekanntes Material, aber in dieser Interpretation anders aufbereitet als ein Deus Ex: Human Revolution, das seine Farben und Nuancen vertrauter einsetzte.
Remember Me trägt dicker auf. Der weiße Elfenbeinturm der Zivilisation leuchtet heller, die Schatten in den Slums sind tiefer und die Kanten härter und über allem liegt ein HDR-Filter mit Kontrastverstärkung. Es erfreut sich geradezu an seinen Details und kleinen zynischen Randnotizen, die das eben der französischen Spielewelt mitunter recht eigene Design hervorbringt. Seien es die mal zornigen, mal fast feingeistig ironischen Graffitis, die vielen kleinen Andeutungen, die zeigen, dass hier jemand sein Szenario tiefer durchdachte, als es eigentlich nötig gewesen wäre. Über all dem schweben die großen Eindrücke einer durchaus nicht unglaubwürdig wirkenden Vision für eine hier vielleicht etwas zu nah herangeholte aber doch mögliche Irgendwann-Zukunft.
Wenn man doch nur ein paar Millionen mehr auf das Spiel und seine nicht immer zu verleugnende Unreal-Engine hätte werfen können, welch ein ästhetischer Triumph hätte Remember Me sein können.
Final Fight meets Uncharted
Was uns zur spielerischen Seite bringt. Ich war überrascht. Es ist kein Experiment in unausgegorenen Mechaniken, wie ich es vermutet hätte. Ganz im Gegenteil. Über weite Strecken ist Remember Me so erzkonservativ, dass ich nicht um ein klein wenig Enttäuschung herumkam. Nehmt den Aufbau von Uncharted und ändert ein Wort, dann seid ihr schon fast da. Statt Klettern, Laufen und Ballern ist es nun Klettern, Laufen und Prügeln.
Über weite Strecken ist Remember Me so erzkonservativ, dass ich nicht um ein klein wenig Enttäuschung herumkam.
Ihr hangelt und klettert ein Stückchen durch die Kulissen, wobei euch gut sichtbare Griffe und per Pfeil markierte Wege die Richtung zeigen, auf dass ihr ja nicht versucht, vom rechten Weg abzukommen. Es wird wohl ein paar Nischen mit ein paar Sammel-Items geben und die Idee, an manchen Stellen ein etwas verschwommenes Bild zu zeigen, das andeutet, wie der Blick von dem Punkt mit dem fraglichen Extra aussieht, ist ganz witzig, aber erwartet hier bloß kein Deus Ex oder Tomb Raider. Die Wege in Remember Me sind durchdekliniert. Genießt einfach die Kulisse und erfreut euch dran.
Kein Schuss fällt
Beim Prügeln - Schusswaffen wird es nicht geben - dachte man sich ein paar Extras aus, damit es nicht einfach ein Final Fight in modernem Look wird. Das wäre dem neuen Publisher Capcom zwar angemessen, aber es ist französisch, also muss der kunstvolle Touch her. Diesen bekommt ihr über die Musik, die bei gelungenen Kombos und sicherem Kampffluss aufspielt, aber auch hakt, wenn ihr die Kombo mal wieder nicht auf die Reihe bekommt. Da das Timing nicht ganz einfach, vor allem aber etwas ruhiger ist, war ich nach einer Stunde noch nicht ganz so im Fluss. Möglichst schnell die richtige Tastenfolge zu drücken, löst zwar einen Street-Fighter-Move aus, aber hilft hier nicht weiter. Es spielte sich trotzdem sehr flüssig und sehr präzise, ich hatte durchaus den Verdacht, dass es hier eher an mir lag, dass die Kombos nie zu lang wurden.
Welche Kombos ihr abspult, das gehört zu den beiden Alleinstellungsmerkmalen von Remember Me. Ihr bastelt euch nach und nach eure Eigenen zusammen. Nach strengen Regeln und in einem Interface, das erst mehr Freiheit andeutet, als es eigentlich zulässt, aber schon mit einem Spielraum, mit dem sich Vorlieben unterstützen lassen. Es gab bis dort, wo ich spielte, Schadens- und Heilungs-Bausteine. Geheilt wird über den Kampf und die Kombo, Items gibt es dafür keine. Eine einfache Kombo wäre demnach Schlag-Heilung-Schlag. Der erste Schlag leitet die Kombo ein, der zweite Treffer heilt euch ein wenig, verursacht aber nur minimalen Schaden und der eigentliche Treffer gegen euren Widersacher wäre der dritte Schlag. Je später in einer Kombo ein Element sitzt, desto effektiver ist es. In einer Fünfer-Kombo sind die letzten beiden also die wahren Gewinnbringer.
Es scheint zu funktionieren, der Einblick war zu kurz, um das Potenzial wirklich genau abzuschätzen, aber es scheint zumindest vorhanden. Die Beweisführung folgt dann halt später im Jahr. So spielte ich also ein wenig vor mich hin, erlebte die Geschichte einer wie so oft mit Amnesie geschlagenen Heldin und ein paar Details dieser Welt, in der alle Menschen nicht nur vernetzt sind, sondern in denen die Facebook-Timeline ein integraler Bestandteil ihres Daseins ist. Da nicht alle Erfahrungen im Leben schön sind, bietet der örtliche globale böse Super-Konzern des Tages die Manipulation dieser Daten an, sodass im eigenen Rückblick eines Menschen das Leben nur Sonnenschein zu bieten hatte. Eine Rebellengruppe findet das zum einen ethisch verwerflich, zum anderen produziert das Ganze eine Sucht nach übersteigerten positiven Erinnerungen, die einzupflanzen teuer ist. Es läuft also nichts anderes als ein groß angelegter Drogenhandel, der eine Menge ehemals guter Leute in die Gosse spült und sogar zu verprügelbaren Zombies mutieren lässt.
Erinnerungen sind auch nur Daten in Deiner Facebook-Timeline
Die Erinnerungen können für die, die sie zu manipulieren in der Lage sind, ein echtes Werkzeug sein. Euer Heldin ist eine solche Hackerin und der erste Einsatz zeigt euch alle Möglichkeiten und Gefahren des Ganzen. Eine Kopfgeldjägerin überwältigt euch, und da die Belohnung auf "besser tot als lebendig" ausgesetzt wurde, rettet nur ein beherzter Griff an das Gedächtnis-Interface der Angreiferin.
In einer kurzen Sequenz erfahrt ihr, dass das hier nichts Persönliches ist. Es geht nur um das Geld, damit die Jägerin eine OP für ihren Mann bezahlen kann. Ihr seht den OP-Saal, den Arzt und wie er den ersten Teil der Prozedur startet. Ihr könnt jetzt diese Sequenz vor- und zurückspulen und bestimmte Details verändern. Die manipulierbaren Gedächtnisse in Remember Me setzen dann die logische Folge zusammen, es muss aber eben schlüssig bleiben. Verändert ihr die falschen Elemente, kann es sogar sein, dass in der Sequenz die Kopfgeldjägerin ihren eigenen Tod erlebt und das kann ja nicht sein. Sie würde sich dieser Erinnerung widersetzen. Stattdessen lasst ihr sie glauben, der Arzt hätte einen Fehler gemacht und ihren Mann getötet.
Die manipulierbaren Gedächtnisse in Remember Me setzen dann die logische Folge zusammen, es muss aber eben schlüssig bleiben.
Sie ist jetzt überzeugt, dass der Konzern-Doc und damit eben auch der Konzern ihr Leben versaut hätten und statt euch zu töten, scheint sie sich kurz neu zu orientieren "erinnert" sich und hilft euch danach, schließlich seid ihr ja auch gegen den Konzern. Ich bin gespannt, wie sie reagiert, wenn sie erfährt, dass ihr Mann wirklich tot ist, das aber, weil sie eben nicht euch getötet und abgeliefert hat. Freundschaften, auf die man bauen kann ...
Ein zweites Beispiel ist eine Sequenz, in der ein anderer Widerstandskämpfer dank seiner Zugangsberechtigung einen gesicherten Bereich auskundschaftet und sich dort Kameras, Wachen und mehr anguckt. Ihr könnt, während ihr in diesen Bereich einbrecht, auf seine Erinnerungen zugreifen und so sehen, was euch hinter der nächsten Ecke erwartet. Zumindest solange keiner was umgestellt hat ...
Die Sequenzen geben spielerisch zum Start nicht so wahnsinnig viel her, da ihre Abläufe natürlich weitestgehend definiert sein müssen. Aussehen tut es jedoch stimmig genug und als inhaltliches Element bieten sie wahnsinnig viel Spielraum für die Handlung. Lassen wir uns überraschen, wo es damit am Ende dann hingeht.
Gebt diesem Spiel viel Geld und Grafiker und Soundtechniker und alles, was man sonst noch braucht, um es so schön zu machen, wie nur irgend möglich. Auf spielerischer Seite ist alles unkompliziert, vertraut und unterhaltsam. Ob die Erinnerungssequenzen und der Kombo-Baukasten im späteren Verlauf sich noch wirklich entfaltet, muss man sehen. Ich habe meine leisen Zweifel, dass da viel mehr kommt, aber das stört mich hier nicht. Es ist eine Art Prügel-Cyberpunk-Uncharted und als solches spielt es sich bisher absolut solide. Die Welt und ihre kleinen Details jedoch sind das echte Highlight dieses Spiels und hier tobt man sich schon in der ersten Stunde gut aus. Hier erwarte ich auch noch viel, viel mehr bis zum wie auch immer gearteten Ende. Ich bleibe dabei, dass Cyberpunk inhaltlich nichts Bewegendes mehr zu bieten hat, selbst wenn jetzt Erinnerungs-Shuffle gespielt wird. Aber dass es immer wieder frisch aussehende Spielarten gibt, die das Auge erfreuen, diesen Beweis scheint Remember Me antreten zu wollen.