Resident Evil 6 - Test
Gefangen zwischen gestern und heute wirft Teil sechs vor allem Zukunftsfragen auf.
Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren: Hier hatten zu viele Leute ihre Finger drin. Und siehe: sage und schreibe 600 Personen sollen, so gab Producer Kobayashi Anfang des Jahres zu Protokoll, an Resident Evil 6 beteiligt gewesen sein. Es macht nicht den Anschein, als hätten sie alle dieselbe Idee davon gehabt, wie die altehrwürdige Horror-Reihe das halbe Dutzend vollmachen sollte. Und so ist es ein über weite Teile wie verdünnt wirkender sechster Teil, der am Schluss gerade noch die Kurve kriegt - zu einem Zeitpunkt, als man ihn beinahe schon abgeschrieben hat.
Der Entlohnung ist dann allerdings nicht ohne. Denn wo im Vorfeld viel über die Aufgabenverteilung im Resi-Universum post Teil 4 diskutiert wurde - dass Leon den Survival-Horror zurückbringen würde, während Chris eher die Actionfans bedient und das New Kid im Biohazard-Block, Jake, eine Mischung aus beidem darstellt - zeigt die "geheime" vierte Kampagne doch, dass Resident Evil 6 als Paket eigentlich Ada Wongs Geschichte ist. Das macht lange noch nicht alles wieder gut, vor allem prägnanter hätte es sein dürfen, nein, müssen. Trotzdem gelingt es Capcom so doch noch, ein fahriges und oft bruchstückhaftes Spiel zu einem nicht immer schönen, aber dafür umso größeren Ganzen zusammenzufügen.
Werfen wir einen Blick auf die Struktur. Wir haben hier vier mal sieben, acht Stunden lineare Grusel-Schießbude, die im Grunde nur eine Richtung kennt. Das ist im Grunde schon okay, wenngleich ein bisschen viel vielleicht. In der Substanz war es aber schon lange nicht mehr anders. Dumm nur, dass sich Resident Evil 6 gerade zu Beginn oft in Sachen Spielerführung und Logik (Stichwort "Metalldetektor") vergreift. Dadurch ist Leon Kennedys Kampagne, bei allen optisch stimmungsvollen Reminiszenzen an die Vorgänger und dem zumindest am Anfang gefällig-variantenreichen Tempo, vermutlich die schwächste. Es ist ein Querschnitt durch die Serienhistorie, vergisst dabei aber, dass die "Originale" bis Teil 4 auf Erkundung und Abenteuer ausgelegt waren. Davon ist hier keine Spur, stattdessen spielt man ein engeres Resident Evil 5 ohne Licht und eines, bei dem die Level-Designer regelmäßig bevormundend an der Handbremse ziehen.
Und auch inhaltlich stimmt hier einfach nicht genug. Bei aller zumindest visuellen Abwechslung muss man sich spätestens nach dem interessanten Mittelteil eingestehen, dass dieser Held wenig mehr ist, als eine gute Frisur von vor 15 Jahren, die ahnungslos und wie zufällig in schöne Szenenbilder hineinstolpert. Mit größtem Gottvertrauen rennt der Veteran aus RE 2 im Dauerlauf gleich zwei potenziellen Femme Fatales hinterher, ohne Sinn und Verstand. Alles in allem keine gute Eröffnung - zumal auch das Tutorial mit seinem Schienen-Gameplay schon abschreckt und nach dem Schockmoment mit dem untoten Präsidenten ewig nichts Relevantes mehr passiert. Würde man unter Leons perfekt gescheiteltem Pony nicht doch noch einige wirklich abstoßend kribbelige Momente erleben - ich persönlich hätte es wohl nicht durch dieses Kapitel geschafft.
Auch wenn gerade eine bestimmte Verfolgungsjagd auf einem chinesischen Markt mir jetzt noch in Mark und Bein fährt und an frühe Sternstunden der Reihe erinnert: Woran man sich am Ende noch stärker erinnert, ist der nicht enden wollende Bosskampf, der schlicht unfreiwillig komisch wird. Dieser Endgegner kommt nach Leons vermeintlichem Triumph häufiger zurück, als alle erschossenen Teenie-Killer des Horror-Kinos bis 1999. Es wäre fast schon komisch, wie schmerzhaft sich das Spiel hier streckt, wenn es euch nicht eigentlich schockieren sollte. Es hilft nicht gerade, dass Leons Kampagne als erste im Glied auch darunter leidet, dass der Spieler sich erst mit den wechselweise exotischen und antiquierten Steuerungsanlagen vertraut machen muss.
Kann man im Zombiekampf das starre Deckungssystem noch ignorieren, braucht es eine Weile, bis man sich an das Verziehen des Laser-Pointers oder das gezielte Zu-Boden-Werfen gewöhnt. Bis man als Leon das wirkungsvolle, aber aufgrund der nahen Kameraperspektive und der binären Trefferabfrage klobige Nahkampfsystem gemeistert hat, dauert es ebenfalls eine ganze Weile. Eine Weile, in der man regelmäßig angesprungen wird, eine Millisekunde, bevor die Hacke eures Stiefels eigentlich den Schädel des Angreifers von dessen Schultern löffeln sollte. Später passierte mir das tatsächlich nur noch sehr selten, denn man merkt irgendwann, wie man stehen und wie das Timing ausfallen muss, um in Zeiten des Bioterrorismus effektiv süße Vollkontakt-Gerechtigkeit zu verteilen. Trotzdem ist klar: Das Handhabungsmodell basiert immer noch auf Resident Evil 4, anstatt sich den Konventionen anderer moderner Third-Person-Spiele anzunähern, weshalb intuitives Steuern oft das Gegenteil von dem ist, was man eigentlich machen muss.
Man zahlt also einiges an Lehrgeld, bis das Spiel "flutscht". Ist es soweit, funktioniert alles gut, aber dann fängt auch schon fast Chris' Kampagne an. Ich kann problemlos sehen, warum dessen Handlung in Resident Evil 6 gerade unter Fans die wenigsten Freunde finden dürfte. Die desaturierte Ostblock-Ästhetik einiger Abschnitte in einem Pflichtmedallien-Ehrenruf-Kriegsszenario sieht mit Abstand am wenigsten nach Resident Evil aus. Doch hier muss man sich eingestehen, dass das Actionspiel in Resident Evil 6 tatsächlich recht gut funktioniert und euch der Titel häufiger einfach machen lässt, anstatt zum Beispiel euer Lauftempo künstlich zu regulieren, wie noch bei Leon. Hier muss man sich etwa keine Sorgen mehr um scheintote Zombies machen, die in der Ecke liegend mit Unverwundbarkeit nerven, nur, um einem an den Hals zu springen, sobald man in Reichweite ist.
Das hier ist ehrliche, wenngleich auch etwas hüftsteife Brachial-Action mit einigen tollen Trash-Monster-Kulissen, bei denen man auch dank des Hinschmeiß-Features einige unwahrscheinlich coole Momente erlebt. Man darf sogar das etwas fummelige Deckungssystem häufig ignorieren. Ob einem diese Sorte Action auch in dieses Spiel passt, ist eine andere Frage, die sich jeder selbst beantworten muss. Trotzdem muss gesagt werden, dass diese Kampagne einige interessante Abzweigungen nimmt: Zwar entblödet sie sich nicht, euch im hinteren Viertel eine miserable Fahr- und Geschützturmsequenz aufzuzwingen, aber wenigstens sind Chris und sein Kollege Piers Nivans deutlich interessantere Figuren als Leon und Helena. Sie machen sogar so etwas wie eine Entwicklung durch, die über das langsame Freischalten überteuerter und auf Wiederspiel-Grinds abzielender Upgrades hinausgeht.
Bei einer bestimmten Jagd auf einen Gegner, der einem angenehm bekannt vorkommt und euch durch einen heruntergekommenen chinesischen Wohnbunker lockt, kommt hier wirklich gute Stimmung auf, während die spontanen Mutationen einzelner J'avo-Gliedmaßen zugleich Run-and-Gun unterbinden und für schöne "Bleib-mir-weg"-Momente gut sind. Für die meisten Spieler wird Chris' Part auch derjenige sein, ab dem man sich endlich einige der sinnigeren Fertigkeiten leisten kann. Hat man den "Feuerwaffen"-Schaden erst einmal maximiert, die "Kritischen Treffer" sowie die "Drop-Rate" der Feinde nach oben geschraubt, erlebt man brutale und gute Gefechte, die einen erst dann wieder aus dem Erlebnis reißen, wenn das Spiel seine überzogenen und viel zu langen Stick-Wackeleien einstreut, die an Sachbeschädigung grenzen. So oft passiert es vor allem mit fortschreitender Übung nicht, und mit einem Skill-Upgrade nimmt man diesen Brechereien den Schrecken. Aber es schmerzt schon, dafür zum Beispiel die gesteigerte Rate kritischer Treffer aus seinem drei Slots fassenden Fertigkeitensatz zu kippen.
Über Jakes und Sherrys Kampagne lässt sich vor allem sagen, dass die Figuren und der Handlungsbogen hier ebenfalls die aus dem Anfangs-Akt deutlich überstrahlen. Natürlich wird auch hier, wie auch aus Chris' Perspektive dünner Horror-Trash mit haarsträubenden C-Dialogen erzählt ("You wanted to destroy the world, but you only destroyed your body!"), aber es stehen spürbar deutlich mehr Dinge auf dem Spiel als die sechsgliedrige Lebens-Anzeige der Figur, die vorne steht. Auch die dünnsten Geschichten und windigsten Abenteuer profitieren von schillernden Figuren und ambivalenten Motiven und dieses Duo liefert in dem Bereich ab. Auch diese beiden wandeln sich mit der Zeit, haben Ecken und Kanten - oder zumindest ein Gimmick. Das ist mehr, als man über Chef-Hinterherläufer Leon sagen kann, auch wenn mir persönlich Jakes Kampagne rein spielerisch gesehen mit ihrem Fokus auf Nahkämpfen ein wenig zu sehr ins wuselig-chaotische abdriftete.
So hangelt man sich wechselweise gelinde amüsiert, kurz genervt und dann wieder urplötzlich mit auf die gute Art gesteigertem Puls durch das Spiel, ohne zu wissen, was man letzten Endes davon halten soll. Und dann spielt man auf einmal Ada, und verleiht allem Vorangegangenen beinahe im Vorbeigehen den zuvor so schmerzlich vermissten Sinn. Ironischerweise kommt die notorische Einzelgängerin ohne den Koop-Partner aus, der im Verlauf bis dahin auch die schwächeren Passagen der drei Vorgängerkampagnen noch zu einem besseren Erlebnis machte. Aber an dessen Stelle treten hier die lange benötigten Antworten auf die Fragen, die das bis dahin recht zerfahrene Erlebnisses aufwarf.
Endlich kitzelt einen wieder Neugierde durch die Abschnitte, man rätselt ein bisschen über die klassischen Schlüssel-Schloss-Mechanismen und erledigt sogar einige simple Stealth-Einlagen. Letztere halten immer wieder kurz die Spannung hoch, nicht weil sie im Nachhinein besonders fordernd gewesen wären, sondern weil die J'avo Gegner alleine deutlich schwieriger zu bezwingen sind als zu zweit. Schon deshalb will man den heulenden Alarm vermeiden, wenn das Spiel diese Option schon mal offeriert. Auch was die Szenarien angeht, liefert die Kampagne einige der Höhepunkte des Spiels.
Nicht zuletzt sind Adas Überschneidungen mit den anderen drei Kampagnen eindeutig die interessantesten - und wenn es nur eine Einstellung ist, in der man sieht, wie es dazu kam, dass eine gewisse Tür in der anderen Kampagne von innen verschlossen war. Es gibt deutlich interessantere Beispiele, aber das bisschen Knalleffekt, das sie für euch parat haben, möchte ich euch nicht nehmen. Auch wenn einige dieser Storyline-Kreuzungen aus anderem Blickwinkel auf magische Weise auf einmal dezent anders verlaufen, als beim ersten Mal, gewinnt Resident Evil 6 mit jedem Mal ein bisschen, wenn sich die Wege der Figuren überschneiden. Schade, dass man dazwischen so viel Dauerfeuer über sich ergehen lassen muss.
Wer von Anfang an einen Koop-Partner dabei hat, sieht das vielleicht anders. Zwar hat man auch so keine genialen Duett-Aktionen zu beklatschen, die über das gemeinsame oder abwechselnde Öffnen einer Tür oder die regelmäßige Räuberleiter hinausgehen würden. Es bieten sich aber zumindest im Split-Screen zumindest - online fanden wir noch niemanden zum Spielen - reichlich Gelegenheiten für sinnige Schlachtfeld-Arbeitsteilung. Der Frust, der durch die Unebenheiten der Solo-Kampagne entsteht, ist so ein deutlich seltener Gast und von der rudimentären, aber effektiven Aufteilung der Gegnermobs untereinander profitiert das Spiel spürbar.
Ich kann gut verstehen, wenn einem das nicht reicht. Resident Evil 6 spielt einem den einen oder anderen Streich, hält einige zumindest diskutable Gameplay-Einfälle für eine ganz und gar tolle Idee und ist viel zu versessen darauf, jeden einzelnen der drei Storyparts auf Vollpreisspiel-Umfang aufzublasen. Folglich lässt es zwischen den guten Parts zu viel Luft und das sind eben die Momente, in denen die Schwächen des Spiels am deutlichsten hervorstechen. Vor dem Absturz in die Belanglosigkeit rettet am Ende nur die schnippische Spionin mit dem Enterhaken, was die Frage aufwirft, warum wir nicht schon früher ein Ada-Wong-Spiel bekommen haben?
Was die Zukunft der Reihe angeht, wünsche ich mir von Capcom nach einer angemessenen Pause ein klares Bekenntnis zu einer Richtung, anstatt es in einem Aufwasch allen Recht machen zu wollen. Dann fallen ihnen auch wieder Spiele ein, die in ihrer Einfachheit begeistern: Herrenhaus, Zombies, böser Pharmakonzern, mehr hat es damals nicht gebraucht. Das muss man sich mal vor Augen halten.