Resident Evil: Operation Raccoon City - Test
Operation am Kadaver zweier Klassiker
Es hat ein bisschen gedauert, bis ich den kapitalsten Bock bemerkte, den das Spiel da geschossen hat. Immerhin ist es im Vorfeld der Veröffentlichung eines Online-Spiels eher die Regel, denn die Ausnahme, nur wenige Mitspieler zu finden und so wäre es mir fast entgangen, wie ärgerlich von gestern Resident Evil: Operation Raccoon City (im Weiteren REORC) strukturell aufgestellt ist. Der Moment der Erkenntnis kam etwa im zweiten Level, als ich während meines für alle Welt, so dachte ich jedenfalls, offenen Public Games in der Kampagne des Koop-Shooters die Start-Taste betätigte. Und siehe: Die zerfallene Stadt und die vergammelnden Menschenfresser, die sie bevölkern, standen vollkommen still, als sich der Optionsbildschirm über das Gemetzel legte.
Was daran denn nun so besonders ist? Na ja: Der milchige Schnappschuss der finsteren Barbarei, der sich unter den Menüeinträgen "Einstellungen" und "Spiel verlassen" noch erahnen ließ, entlarvte ein kleines, aber für diese Spielegattung nicht unwichtiges Detail: REORC weiß nicht, was "Drop-In-Koop" bedeutet. Wie soll jemand einsteigen, wenn die Zeit stillsteht? Da werden ungute Erinnerungen an den letzten Koop-Titel Capcoms wach, den ich spielte, Lost Planet 2. Dort wie auch hier ist euer Spiel dicht, sobald ihr die Lobby verlasst und mit dem eigentlichen Spielen loslegen wollt. Wer alleine startet, bleibt auch die kompletten 30 Minuten, die jeder der sieben Level mindestens dauert, den vollkommen überforderten KI-Kollegen ausgeliefert. Wem der Spielpartner aussteigt ebenso. Und schlimmer noch: Wenn euer Partner sich als - pardon - Idiot herausstellt, könnt ihr ihn nicht einmal aus der Partie werfen.
Das, meine Damen und Herren von Slant Six Games, ist Multiplayer-Design aus der vorderen Hälfte des letzten Jahrzehnts, vermutlich noch früher. Irgendwo dort drinnen steckt ein zynischer Witz, immerhin läuft die Handlung von REORC parallel zu den zwei PSone-Klassikern Resident Evil 2 und 3 ab. Nur konsequent ist da auch die vollkommene Abwesenheit von einstellbaren Parametern den internen Ablauf betreffend. Als ich nämlich Mitspieler gefunden hatte, fühlte ich mich auch als Host noch wie ein Gast in diesem Spiel: Friendly Fire ist standardmäßig aus und bleibt es auch. Wer eventuell einen Mitspieler-Filter nach Erfahrungsstufe, Region oder ähnlichen Variablen anlegen will, darf das gerne tun, muss dafür aber einen anderen Multiplayer-Titel aus seinem Regal bemühen. Und wenn der Umbrella-Söldner, den ihr zuvor stundenlang mit Erfahrungspunkten hochgepäppelt und mit ein paar Perks aufgerüstet habt, bereits vergeben ist, dann fangt ihr am besten jetzt damit an, euch einen neuen Liebling hochzuzüchten.
Es ist eine ganze Barrage an kleinen und großen Ärgernissen, die unterm Strich dafür sorgt, dass einem wieder einfällt, warum Left 4 Dead so gut war; wohlgemerkt ein Spiel, das man in ungezählten Stunden Rotz und Wasser heulen schon so abgespielt hat, dass man es kaum mehr sehen kann. Das ist ein Spiel, das alles richtig macht und REORC erinnert mit einigem Erfolg daran, was alles hätte schief laufen können. Das ist tatsächlich beinahe tragisch, denn wenn man sich die Basics von Capcoms kooperativer Zombie-Jagd anschaut, gibt es durchaus einiges zu mögen.
Die sechs Figuren mit ihren unterschiedlichen Talenten sind lange nicht alle gleich interessant zu spielen, ermöglichen aber dennoch zumindest in der Theorie zwischen Bombenleger, Doc und Aufklärer ein bisschen Wechselspiel, auch wenn sie sich im Grunde alle gleich anfühlen. Die Zombies sind zwar nicht die abwechslungsreichsten, verfehlen mit stimmigem Geschwanke aber ihre Wirkung nicht, wenn sie mal wieder unversehens durch eine der verschlossen geglaubten Türen brechen. Und die ikonischen Monstren um Hunter, Licker und Tyrant lassen gekonnt Erinnerungen an damals aufleben, als man sich bei den Originalen so fürchtete. REORCs ureigene Mechaniken, wie die mögliche Infektion des Spielers bei einem Biss oder die Heilsprays, die mit ihrem Area-of-Effect Absprache unter den Spielern begünstigen, sind interessante Konzepte, die dem Spiel ihren Stempel aufdrücken.
Leider ist vor allem das Infektions-Feature wenig mehr als Augenwischerei. Ihr könnt einerseits berechtigterweise noch darauf hoffen, dass einer der Zombies die Heilung fallen lässt und selbst wenn das nicht passiert: Die drei verbliebenen Spieler legen kurz auf den mutierenden Kollegen an, der nichts weiter als ein anders texturierter Renn-Zombie wird, und erledigen ihn innerhalb von zwei Sekunden. Anschließend kann der ehemalige "Freind" an selber Stelle kurzerhand und ohne Ressourcen in Anspruch zu nehmen mit 50 Prozent seiner Lebensenergie wiederbelebt werden. Man kann über Left 4 Deads entführungsfreudige Infizierte sagen was man will, die Spannung, mit einem Mann / einer Frau weniger zum nächsten Checkpunkt kommen zu müssen, ist diesen Bruch in der Logik mehr als wert.
"Hier sitzt kein 'AI-Director' mitten im Spielcode, der den Verlauf durch flexibel reagierende Regie auf wechselnde Gegebenheiten anpassen könnte."
Und warum lässt Slant Six einen Infizierten Spieler nicht zu einem Tyrant oder irgendeinem anderen, viel mächtigeren Problem werden? Eine mögliche Erklärung dafür mag im starren Ablauf der Kampagnen-Level liegen, die euch stellenweise mit Untoten zuspammen. Hier sitzt kein AI-Director mitten im Spielcode, der den Verlauf durch flexibel reagierende Regie auf wechselnde Gegebenheiten anpassen könnte, weshalb jede Begegnung mit einem robusteren Feind nur in austarierten Arenen erfolgen darf. Auf der Suche nach dem einen Punkt, an dem die identischen Mob-Spawns zum Erliegen kommen, begibt man sich teilweise Hals über Kopf in riskanteste Situationen - oder man tarnt sich einfach mit Vector und versucht so, den unsichtbaren "Aus"-Knopf des Gammler-Spenders zu überlaufen.
Gerade, wenn es in tunneligen Labors gegen einen Tyrant geht, ein Gefecht, das man im Rückwärtsgang führt, nervt es einfach, wenn beim Durchqueren des gleichen Raumes wieder neue Parasiten und Walker aus den gleichen Löchern gekrochen kommen. Und überhaupt: Gerade die Fights gegen die mächtigeren Bio-Waffen, ziehen sich teils ewig in die Länge, während man rückwärtswatschelnd und feuernd um einen Schulbus Ringelreihen tanzt. Hier verliert man regelmäßig den Glauben an seine Waffen. Man bremst größere Gegner durch die Treffer nicht, sondern wartet nur darauf, dass sie nach einem in den Schädel entleerten Magazin ihre "Aua"-Animation abspulen, damit man wieder Abstand nehmen kann, um dieselbe Taktik x-Mal zu wiederholen.
Regelmäßig wird man in solchen Scharmützeln auch noch zwischen Gegnern, den nicht durchlässigen Mitspielern und dem Level-Interieur eingekeilt, weil vermutlich jeder der Söldner in der Umbrella-Schule den Spring-Unterricht geschwänzt hat. Wenn einem ein Karton zum Verhängnis wird, man selbst die Laderampe eines Lagerhauses nicht herunterspringen darf und man sogar um halbhohe Deckung noch herumlaufen muss, ist in einem Third-Person-Shooter tieffliegendes Hartplastik vorprogrammiert. Die untere Hälfte seiner Figur sieht man schließlich genau so wenig wie den unmittelbar umliegenden Boden, sofern man den Blick vor den sabbernd herannahenden Menschenfressern nicht abwendet.
Das ist nicht der einzige Bedienungs-Bock, der die gesamte Spieldauer über für Zähneknirschen sorgt. Für jegliche Interaktion und das Aufsammeln von Waffen und anderen Ressourcen muss eine Aktionstaste gedrückt werden, die immer leicht zeitverzögert ein- und oft genug unversehens wieder ausgeblendet wird. Man sieht das Sturmgewehr, die Granate oder die Munitionskiste vor sich liegen, muss aber warten, bis "A" eingeblendet wird. Dass dabei schon mal das Falsche passiert, wenn nah an dem Objekt der Begierde noch ein anderes interaktives Element liegt - Ehrensache! Oft musste ich mehrmals zum Kugelbuffet rennen, weil mein erster Befehl, sich den Rucksack mit Patronen voll zu machen, einfach zu früh erfolgte und ich in der Hitze des Gefechts diese Lapsus nicht bemerkte.
Eines der klügsten Features des Spieles steht übrigens in keiner Pressemeldung: Es gibt doch tatsächlich einen alternativen Bewegungs- und Feuermodus. Hier wechselt ihr aus der normalen Schulterperspektive zu einem höheren Blickwinkel und lasst die Pistole wie in einem Twin-Stick-Shooter mit eleganten Animationen um euren Söldner kreisen. Perfekt, um schnell einen Raum nach Gegnern zu scannen, denn fährt euer Laservisier bei der Kreisbewegung des rechten Sticks über einen Feind, beginnt eure Spielfigur von selbst, auf diesen zu schießen. Das wertet die Einhänder, die standardmäßig eure größere Primärwaffe ergänzen, deutlich auf und verschafft Übersicht. Schade, dass nahe Zombies grundsätzlich verfehlt werden. Gun-Kata-Einlagen eines Equlibrium sind daher nicht möglich. Trotzdem ein erstaunlich cleveres Feature, das das Spiel ruhig noch direkter hätte kommunizieren dürfen.
Das versprach sich aber wohl mehr von der Tatsache, dass häufig drei Parteien gegeneinander kämpfen. Und ja, der Konflikt, Regierung gegen Zombies gegen Umbrella, verleiht dem Spiel einen Anstrich, den wenige andere aufweisen, vor allem wenn man vier gegen vier spielt und einige der BOWs auch umprogrammiert werden können, um auf der Seite einer der Fraktionen zu stehen. Es läuft zwar trotzdem mehr auf gediegenes Chaos hinaus, in einigen Situationen aber gezielt die menschlichen Gegner zu verletzen, damit die kannibalischen Horden sich ihnen zuwenden, hat aber durchaus etwas. Schade, dass man so selten Gelegenheit bekommt, diesen Herdentrieb wirklich kontrolliert einzusetzen, weil man sich die meiste Zeit aus allen Winkeln gegen die Massen wehren muss. Das automatische Deckungssystem ist übrigens eines der schwächsten, die mir je untergekommen ist, was gerade in Begegnung mit zielgenauen menschlichen Kontrahenten ärgert. Zum einen muss man nicht selten wertvolle Sekundenbruchteile aufrecht gegen einen der schützenden Gegenstände laufen, bevor die Spielfigur den Schädel einzieht, zum anderen verfügt die Deckung seitlich über keinerlei Begrenzung, was bedeutet, dass man oft versehentlich links oder rechts aus ihr hervorläuft und getroffen wird. Zum Abgewöhnen.
"REORC ist letzten Endes redlich bemüht, aber längst überholt von Spielen, die schon seit Jahren draußen sind. Das muss man erst einmal hinbekommen."
Im Gegeneinander lebt das Spiel kurz auf. Aber es reicht nicht mehr. Trotz kluger Capture-the-Virus Idee, der interessanten Jagd auf Serien-Charakterköpfe im Helden-Modus oder dem guten Gedanken, zwei Viererteams beim "Survivor" die Aufgabe zu stellen, den rettenden Helikopter möglichst zuerst zu erreichen, leidet der Titel im Grunde die ganze Zeit bitterlich unter seinen strukturellen und spielerischen Schwächen. Als würden die nicht reichen, ist zudem auch die Ausgestaltung der Level arg beliebig ausgefallen. Zwar erkennt man ein paar Schauplätze aus RE 2 und 3, von den Finessen in der Dramaturgie, die diese Spiele oder gar eine durchschnittliche Left-4-Dead-Kampagne kennzeichnen, ist hier allerdings nie etwas zu sehen.
Dass überdies mit der Hexane-Engine nicht Capcoms hauseigenes und hochpotentes MT Framework genutzt wurde, tut der Optik nicht gut. Es sieht passabel aus, nicht mehr, ruckelt aber dort, wo man es nicht erwarten würde. Ein viel zu milder Gewaltgrad für diese Sorte Spiel lässt außerdem eure Waffen und Gegner deutlich zu zahm, geradezu zahnlos erscheinen. Die internationale Fassung dürfte aber zumindest dieses "Problem" restlos beheben. Der in der USK-18-Version weitgehende Verzicht auf Gore, wie man ihn selbst im Fernsehen und in allen Vorgängern schon saftiger zu sehen bekam, schadet dem Spiel jedenfalls.
Ich weiß nicht, wem ich diesen Titel ernsthaft empfehlen sollte. Wer ihn schon mit einem Rudel treuer Waffenbrüder im Viererpack vorbestellt hat und immer weiß, dass zuverlässige Mitspieler immer nur eine Spieleinladung weit entfernt sind, der darf Resident Evil: Operation Raccoon City gerne noch das Prädikat "Durchschnittlich" anheften. Wer weiß, vielleicht nimmt Slant Six ja sogar noch dem däumchendrehenden Matchmaking, den bipolaren Interaktions-Hotspots und dem nervigen Spawn-Verhalten der Gegner per Patch den Schrecken?
So wie sie ist, wirkt diese in ihren Grundlagen okaye Ballerei jedenfalls so archaisch wie die beiden Klassiker, deren Timeline sie um den Blickwinkel der Bösen zu ergänzen versucht. Bemüht, aber längst überholt von Spielen, die schon seit Jahren draußen sind. Das muss man erst einmal hinbekommen.