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Retrospektive: Ultima IX - Ascension

Unvollendet. Ungeliebt. Unvergessen.

Was bisher wie ein Traum für Fans und eine gutes Game für alle anderen klingt, entpuppte sich schnell als Alptraum. Meine erste Version des Spiels, voller Gier für sehr viel Geld erbeutet, die US 1.0, stürzte praktisch permanent ab und wenn sie mal lief, zwang sie meinen für die Zeit gar nicht mal üblen PC komplett und nachhaltig in die Knie. Ich hatte eine hübsche Packung in der Hand, eine schicke Stoffkarte und zwei CDs, auf denen sich nichts befand, was man mit Würde und Genuss spielen konnte.

Und ich war damit weiß Gott nicht allein auf der Welt. Ein paar Patches und Wochen später entschärfte sich die Lage deutlich, aber bis dahin waren die Testergebnisse eh draußen und der Ruf ruiniert. Zwei Monate mehr Entwicklung hätten hier das Schlimmste verhindern können. Der seinerzeit ungebändigte Hardwarehunger hat allerdings heute einen Vorteil: Das Spiel sieht selbst über zehn Jahre später immer noch hübsch aus und läuft sogar im Win98-Kompatibilitätsmodus von Windows 7.

Neben diesen dramatischen Patzern gab es aber ein gewaltiges inhaltliches Problem. Es lässt sich angesichts der veröffentlichten Informationen nicht mit letzter Sicherheit feststellen, wer dafür verantwortlich war, aber es gab einen ursprünglichen Plot, der einen würdigen Schlussstrich unter die Saga gezogen hätte und einen, der wesentlich zurückhaltender war und dann auch den Weg in das fertige Spiel fand.

Der Wagen der Zigeunerin gehörte natürlich in IX dazu, wie bei jedem anderen Ultima auch.

Beware, here be Spoilers: Eigentlich sollte es ein großes, dramatisches Finale werden. Lord British und der Avatar schaffen es, den Guardian zu besiegen. Die Türme gruben sich aber schon zu weit in die Welt hinein. Also werden die Bewohner auf eine magisch fliegende Insel evakuiert, die Glyphen sollen sie schützen und Lord British spricht einen letzten Spruch, den Armageddon-Spell und vernichtet Britannia, sich selbst und vor allem den Guardian. Der Avatar, seine Aufgabe erfolgreich erfüllt, erreicht Göttlichkeit und steigt auf eine höhere Seins-Ebene auf. Ascension. Ein perfektes, angemessenes Ende.

Stattdessen sah das fertige Spiel ein sehr halbherziges Finale. Der Guardian ist eigentlich die böse Hälfte des Avatars und solange er auf Erden weilt, wird auch das Böse da sein. Also stellt er den Guardian, kapselt sich mit ihm ein und vernichtet sich mit dem Armageddon-Spruch. In Britannia ist alles Eierkuchen und der Avatar steigt auch hier irgendwohin auf und nimmt damit den Guardian mit. Ascension Light.

Sehen wir davon ab, dass dieses Finale dramaturgisch weit, weit hinter dem ersten zurückbleibt, dann bleibt immer noch die Tatsache, dass es im Kanon der Figur des Avatars und der Spielwelt systeminhärent einfach keinerlei Sinn machte! Wenn der Guardian das Böse ist, dass der Avatar bekämpfen muss, und zu diesem Zweck überhaupt erst auf die Welt gesandt wird, wie kann das Böse, dass sich als ein Teil von ihm herausstellt, vor ihm da sein? Warum ist es überhaupt? Hat es einen Bus früher genommen? Und warum kommt es auf die nächste, göttliche Ebene mit? Sollte es nicht dableiben? Nach vielen, insgesamt sehr schönen, teilweise zum Weinen berührenden Landschaftmomenten – zumindest für einen Ultima-Nerd – war der Abgang ein schamvolles, belangloses Blah-Blah der niederen Art.

Hasste ich Ultima IX dafür? Sicher. Aber noch mehr liebte ich es für seine zahllosen Momente in einer der Spielwelten, die ich bis heute zu den intensivsten überhaupt zähle. Nacht in Moonglow, die Inseln von Buccaneers' Den, all das war und erstaunlicherweise ist immer noch eine Reise wert, die selbst von den eher mauen Dungeons kaum geschmälert wird.

Warum gibt es heute keine Stoffkarten mehr...?

Es sind viele bessere Spiele aufzählbar, es gibt viele Gedankenspiele, wie es besser hätte enden können – zum Beispiel so, wie es geplant war –, aber am Ende und all das aufgewogen bleibt immer noch ein in vieler Hinsicht zu Unrecht geschmähtes und beschimpftes episches Projekt, das nicht alles wurde, was es hätte sein können und stellenweise hätte sein müssen. Es bleibt aber immer noch mehr als genug übrig, um Ultima IX für mich zu einem Meilenstein auf dem Weg zu einer geschlossenen, glaubwürdigen Welt zu machen.

Was ist die historische Hinterlassenschaft von Ultima IX? Schwer zu sagen. Nur wenige Spiele stürzten sich mit solcher Detailfreude in ihre Welt und was das angeht, fällt mir nicht so viel ein. Sicher nicht GTA oder die anderen Action-Open-Worlder. Auch nicht Rollenspiele wie Dragon Age oder Final Fantasy, die ihre Spielwelt in einzelne Highlights zerreißen und dort nicht einen Bruchteil der Detailverliebtheit aufbringen. Am nächsten kommen wohl die Fables, die ihre massiven dramaturgischen Mängel auch mit einer erstaunlich fein gezeichneten Spielwelt voller Möglichkeiten kompensieren. Sie lassen ihre Welt jedoch auch nicht in einem Stück und vielleicht bleibt mir Ultima IX deshalb bis heute so gut und trotz des schwachen Finales positiv in Erinnerung. Und was das angeht: Ich halte es hier wie bei Highlander. Es gibt nur einen und das echte Ende von Ultima IX ist das geplante. Die störenden Tatsachen anders gearteter Veröffentlichungen verdränge ich einfach und gut ist.

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Martin Woger Avatar
Martin Woger: Chefredakteur seit 2011, Gamer seit 1984, Mensch seit 1975, mag PC-Engines und alles sonst, was nicht FIFA oder RTS heißt.
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