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Return of the Obra Dinn - Test: Mysterien auf hoher See

Die Wahrheit ist da draußen

Eurogamer.de - Empfehlenswert Badge
Enorm spannendes Adventure in monochromer 3D-Grafik. Knifflig, aber nie unlogisch oder unfair. Tolle Geschichte im Großen wie im Kleinen.

Es ist manchmal schwer, mehr in einem Spiel zu sehen als sein offensichtlichstes Feature. Return of the Obra Dinn ist so ein Spiel. In Screenshots fällt vor allem die Grafik auf, die seltsam monochrome Pixelmatsche, die am ehesten noch an alte Apple-Rechner erinnert. Entwickler Lucas Pope lag dieser Stil wohl am Herzen, nicht umsonst könnt ihr die Farbgebung auch umstellen und euch etwa entscheiden, das Spiel im Stil eines alten IBM-Rechners zu konsumieren - nicht mehr in schwarz und weiß, sondern in hell- und dunkelgrün. So sehr dieser Grafikstil ins Auge fällt, so wenig ist er wirklich Zentrum des Spiels. Er ist eher Mittel zum Zweck, Lucas Pope hat hier im Alleingang ein Schiff in 3D kreiert und hat sich dafür einen Stil herausgesucht, der möglichst surreal wirkt. Denn das, was ihr an Bord erlebt, fühlt sich auf herrliche Art und Weise an wie ein Abenteuerroman aus dem 19. Jahrhundert.

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Die namensgebende Obra Dinn ist ein Handelsschiff der Ostindien-Kompanie. Im Jahr 1802 ist es in See gestochen, dann war es plötzlich verschwunden. Fünf Jahre später taucht es plötzlich wieder an der Küste auf. Und wen verkörpert ihr? Ausgerechnet einen Versicherungsmitarbeiter, der jetzt an Bord gehen muss und herausfinden, was an Bord passiert ist. Im Gegensatz zu den Versicherungsmitarbeitern wie wir sie heute kennen, seid ihr allerdings mit einer Art magischen Taschenuhr ausgerüstet, unerklärterweise übrigens. An Bord stellt ihr fest, dass keines der Besatzungsmitglieder noch am Leben ist, Leichen säumen die Decks. Richtet ihr die Uhr nun auf die Leiche, präsentieren euch die Entwickler eine Aufnahme des Todeszeitpunkts: einen kurzen Dialog und dann die Szene selbst, in der ihr euch bewegen könnt. Darin analysiert ihr die anwesenden Figuren und versucht Verbindungen herzustellen.

Feuer frei! Wer hier wohl gestorben ist? Genau das müsst ihr herausfinden. (Return of the Obra Dinn - Test)

Heißt also: Wird hier gerade jemand beim Namen genannt? Spricht eine Figur mit einem bestimmten Akzent oder benutzt er ein Wort in einer bestimmten Sprache? Erwähnt er eine andere Figur und offenbart so ein Verwandtschaftsverhältnis? All diese Faktoren sind Puzzleteile und euer Ziel ist es, sie zu einem großen Ganzen zusammenzufügen. Im Verlauf des Spiels müsst ihr für jedes der über 50 Besatzungsmitglieder der Obra Dinn herausfinden, wie sie ums Leben gekommen sind und durch wen. Das Abenteuer beginnt mit einer der letzten Szenen und arbeitet sich dann mit diversen Zeitsprüngen durch die Geschichte. In einem Buch wird jede eurer gefundenen Hinweise notiert. In besagtem Buch gibt es außerdem Bilder von der Crew. Solange ihr nicht wisst, wer jemand ist, erscheinen dessen Bilder verschwommen, wisst ihr dagegen, um wen es sich handelt, werden sie scharf.

Die Information, dass dieser Herr hier mit dem Messer im Mund vom Dach springt, könnte später nochmal wichtig werden. (Return of the Obra Dinn - Test)

Return of the Obra Dinn verwirrt euch, weil es euch nicht sagt, worauf ihr achten müsst. Die Antwort ist aber relativ einfach: auf alles. Alles kann ein Hinweis sein. Die Klamotten, die jemand trägt, das, was jemand gerade in der Hand hält und letzten Endes sogar das, was ihr möglicherweise erst entdeckt, wenn ihr eine Todesszene wirklich eingehend untersucht und beispielsweise auch mal nachseht, was außerhalb der Kajüte geschieht, in der ihr euch gerade befindet. Lucas Pope will, dass ihr zum Detektiv werdet, der diese Spielwelt in vollem Umfang wahrnimmt. Es gibt keine hervorgehobenen Items, jede Kleinigkeit kann ein Beweis sein. Wenn ihr etwas richtig geraten und in eurem Buch eingetragen habt, sagt euch das das Spiel auch nicht, dass ihr auf der richtigen Fährte seid. In jedem Kapitel müsst ihr erst mehrere Tode korrekt aufklären bevor das Spiel fortschreitet.

Bestimmte Figuren im Spiel könnt ihr mit dem Bildern in eurem Buch relativ leicht in Verbindung bringen. (Return of the Obra Dinn - Test)

Return of the Obra Dinn macht einen Heidenspaß und das liegt vor allem daran, dass ihr immer wieder was Neues entdeckt. Das Spiel ist angefüllt mit Hinweisen, immer wieder fällt euch etwas auf und ihr seht vor eurem geistigen Auge, wie sich das Puzzle immer mehr zusammenfügt. Bis es plötzlich knackt und ihr auf einmal wisst, wie etwas stattgefunden hat. Wer von diesem Riesenkalmar ins Meer gerissen wurde und wer derjenige war, der kurz vorher jemanden mit seiner Machete den Hals durchgeschnitten hat. Und vor allem: Warum. Ebenso wie die einzelnen Todesfälle fügt sich auch die große ganze Geschichte des Spiels nach und nach zusammen, je länger ihr spielt, desto mehr wisst ihr. Das Ergebnis ist abenteuerlich, letzten Endes gibt es aber nicht den einen großen Twist, der euch noch Tage später darüber nachdenken lässt. Return of the Obra Dinn funktioniert wirklich nur während ihr es spielt.

Wessen Tod bereits aufgeklärt ist und von wem ihr noch nichts wisst, könnt ihr jederzeit in eurem Tagebuch nachsehen. (Return of the Obra Dinn - Test)

Da fällt aber auf, was das Spieldesign von Lucas Pope allgemein auszumachen scheint: die Bürokratie. Der Entwickler wurde bekannt durch sein Spiel Papers, Please, in dem ihr einen Grenzbeamten spielt, der festzustellen hat, ob jemand einwandern darf oder nicht. Papers, Please war schon schrecklich bürokratisch, hart an der Grenze des Genießbaren - ein Spiel, das hauptsächlich dadurch überzeugt hat, dass seine Aussage so stark war und dass es Spaß gemacht hat, herauszufinden, wie viele verschiedenen Enden es gibt und was passiert, wenn ihr euch wie im Spiel entscheidet. In Return of the Obra Dinn könnt ihr entspannt knobeln, der Titel ist schon allein deshalb deutlich zugänglicher. Was aber bleibt, ist der Verwaltungsakt: Peinlich genau notiert ihr in eurem Buch, wer wann was gemacht hat. Pope schafft es aber, dass euch das Spaß macht. Mit dem genauen Pseudo-Perfektionismus eines Oberstudienrats vervollständigt ihr euer Buch, verbindet A mit B, freut euch über C und jubelt, wenn sich auch noch D mit C verbindet. Return of the Obra Dinn ist Traum und Albtraum gleichermaßen für alle Zwangsneurotiker.

Nur bedienen lässt sich diese Neurose leider nicht allzu komfortabel. Jede Erinnerung muss über eine virtuelle Tür verlassen werden, dann müsst ihr wieder die nächste Szene anwählen. Habt ihr das einmal getan, müsst ihr die Szene auch eine gewisse Zeit erleben bevor ihr automatisch wieder aus ihr herausgeworfen werdet. Das trägt nichts zum Charme des Spiels bei und hätte daher besser gelöst werden können, zumal euer Notizbuch durchaus diverse Querverbindungen zwischen den einzelnen Figuren enthält. Oft nur nicht die, die ihr gerade gerne hättet.

Oktopussalat, aber zu groß. (Return of the Obra Dinn - Test)

Return of the Obra Dinn ist im Kern ein Detektivspiel und ein ziemlich gutes noch dazu. Und ich finde, ihr solltet es spielen. Es ist aber auch ein seltsames Beispiel dafür, dass Spiele teilweise nur deshalb funktionieren, weil sie irgendwelche grotesken Urinstinkte in uns wecken. Es macht uns Spaß, Listen zu vervollständigen und Bilder gradezurücken, es ist uns Menschen eine Freude, wenn Schränke und Bilder symmetrisch zueinander an der Wand hängen. Letztlich ist Return of the Obra Dinn genau das: Ihr bringt Ordnung ins Chaos. Ihr räumt auf. Aber aufräumen hat noch nie so viel Spaß gemacht wie in diesem Spiel.


Entwickler/Publisher: Lucas Pope/2909 - Erscheint für: PC - Preis: 16,79 Euro - Erscheint am: erhältlich - Getestete Version: PC - Sprache: englisch - Mikrotransaktionen: Nein

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Markus Grundmann Avatar
Markus Grundmann: Seine ersten Videospiele konsumierte Markus auf dem Game Boy. Heute spielt er so ziemlich alles, bei dem er auf Knöpfe drücken kann – mit besonderer Vorliebe für Nintendo und extravagante Indie-Titel.

Informationen zu unserer Test-Philosophie findest du unter "So testen wir".

In diesem artikel

Return of the Obra Dinn

PS4, Xbox One, PC, Mac, Nintendo Switch

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