Call of Juarez
Western mit Persönlichkeitsspaltung
Das Western-Genre ist voll von simplen Geschichten um Rache, Selbstjustiz und wortkarge Helden, die eigentlich nicht mehr so richtig in die moderne Zeit passen. Erst in den Neunzigern gelang es der Western-Legende Clint Eastwood mit gebrochenen, alternden Charakteren und einer desillusionierenden Story die alten Geschichten in die Realität zurück zu holen – Erbarmungslos. Die Figuren zeigten auf einmal Angst und Selbstzweifel, die Grenze zwischen Gut und Böse wurde immer schmaler und das Leben der Cowboys war voller Entbehrungen und harter Arbeit. Eine Entwicklung, die am Ende bei einer homosexuellen Geschichte zwischen zwei Viehtreibern landete, die vom einstigen Mythos nur Trümmer übrig ließ – Brokeback Mountain.
Doch im Videospielbusiness ticken die Uhren anders. Wenn hier eine Story erzählt wird, gibt es kaum Raum für komplexe Figuren und fragwürdige Ziele. So haben die Western-Shooter der letzten 10 Jahre wenig mit den modernen Mythen eines Clint Eastwoods gemeinsam, sondern erzählen Geschichten aus dem düsteren Zeitalter der Macho-Western. Call of Juarez macht da keine Ausnahme. Es geht um einen Schatz, einen einsamen Rächer und einen unschuldigen Jungen, der auf der Suche nach der Wahrheit ist. Keine Zweifel, keine Grauzone und keine Gnade. Hier siegt, wer zuerst den Colt zieht und dann Fragen stellt. Allein bei der Erzählweise wählt Techland einen neuen, erfrischenden Ansatz.
Gott segne meinen Revolver
Doch reicht diese eine gute Idee, um ein ganzes Spiel zu tragen? Diese Frage musste man sich schon bei der PC-Fassung von Call of Juarez stellen, die im letzten Jahr zumindest ein wenig Abwechslung in die üblichen Weltkriegs- und Science-Fiction-Szenarien brachte. Während bei der Konkurrenz der klassische Weg eines einsamen Helden gewählt wurde, erzählt Call of Juarez die Geschichte von zwei ganz unterschiedlichen Charakteren. Auf der einen Seite der ehemalige Revolverheld Reverend Ray, der nach seiner mörderischen Karriere zu Gott gefunden hat und Priester geworden ist. Und auf der anderen Seite Billy Candle, ein Waisenjunge, der seine Stiefeltern verliert und nun vor dem Gesetz fliehen muss.
Denn Reverend Ray hat den jungen Billy dabei erwischt, wie er sich über die blutenden Leichen seiner Eltern beugt und wird als einziger Verdächtiger von der rechten Hand Gottes gnadenlos gejagt. So spielt man im Anschluss abwechselnd Jäger und Gejagten und erlebt dabei die Geschichte aus zwei ganz unterschiedlichen Perspektiven. Denn während der schmächtige Billy nur wenig Schüsse aushält, dafür aber enorm gelenkig ist, brilliert Revrend Ray als Gottes Todesengel, der mit Zeitlupe und Schnellfeuerfunktion die Schurken gleich im Dutzend erledigt.
Gott verfluche die Steuerung
Am besten lassen sich Billy's Abschnitte mit Splinter Cell vergleichen, nur das Techland auf diesem Gebiet kaum Erfahrung hat. Egal ob Klettereinlagen oder Schleichaktionen alles spielt sich irgendwie schwerfällig und kompliziert. Oft weiß man noch nicht mal, wohin man muss und sucht verzweifelt nach einem Ausweg. Während Revrend Ray herrlich überdreht aus der Bibel vorlesen kann und seine Gegner dann verdutzt auf einen Kopfschuss warten, vermisst man bei dem Waisenjungen eingängige Moves und vernünftige Schleich-Anzeigen.
So spannend der Perspektiven-Wechsel auch ist, die schwache Umsetzung der Schleich-Hälfte sorgt immer wieder für gigantische Motivationslöcher. Da hilft auch keine schicke Grafik und eine stimmige Story, Call of Juarez wirkt teilweise einfach unausgegoren. Es ist zwar schön, dass die Entwickler die letzten Monate dazu genutzt haben, die Performance-Probleme der PC-Version in den Griff zu bekommen und das Szenario noch weiter aufzuhübschen, doch an das Gameplay haben sie sich leider nicht heran getraut. Die Steuerung der Reitabschnitte ist deshalb noch genauso schwerfällig wie der Einsatz von Peitsche und Bogen. Auch nerven die Gegner noch immer mit gottgleichen Treffsicherheit und ihrem Röntgenblick, der die Kämpfe mit dem schwachbrüstigen Billy zu einer Katastrophe macht.
Schade, Schade: Dank dem genialen Perspektivenwechsel und dem unverbrauchten Szenario hätte Call of Juarez wirklich erstklassig werden können. Gerade Reverend Ray garantiert unkomplizierten Ballerspaß und erstklassige Duell-Szenen, die man bei Konkurrenten wie GUN so schmerzlich vermisste. Auch ein erträglicher Multiplayer bietet eigentlich genug Stoff für einen würdigen Western-Epos, doch leider geht Call of Juarez bei der anderen Hälfte der Atem aus.
Kaum übernimmt Billy das Ruder, sorgen viele kleine Unstimmigkeiten für Frust. Ständig stürzt man ungewollt ab, wird beim Schleichen erwischt oder aus drei Kilometer Entfernung abgeschossen. Auch wäre mit der Physik-Engine mehr drin gewesen als Kistenstapeln und Türen eintreten. Techland hat seine Chance, die Fehler der PC-Fassung auszumerzen, leider nicht genutzt und nur einen guten Shooter abgelegt, bei dem man sich durch die Hälfte der Levels quält. Trotzdem sollten gerade Western-Fans einen Blick darauf werfen, schließlich bekommt man solch ein Szenario nicht alle Tage geliefert und die Idee mit dem Perspektivenwechsel ist wirklich einmalig.
Seit dem 26. Juni darf man bei Call of Juarez auch auf der Xbox 360 die Revolver qualmen lassen.