EyeToy: Lemmings
Sentimentale Todessehnsucht
Oh No! - Viele kennen diesen markerschütternden Ausruf noch aus ihrer Jugend. Ein Ausruf, den man nur lieben oder hassen konnte. Als ich noch jung war und Lemmings zum ersten Mal spielte, dachte ich sogar, diese selbstzerstörerischen Wesen wären ein Fantasyprodukt der Entertainment-Industrie. Mangelndes Allgemeinwesen, wie sich heraus stellte – die Viecher gibt's wirklich! Satte 15 Jahre ist das her und der Flair der ollen Amiga-Tage hat mich wieder gefangen. Verantwortlich ist die aktuelle EyeToy-Version für die PlayStation 2. Keine Frage, dass eine Rettungsmission für suizidgefährdete Nager umgehend eingeleitet wurde!
Am altbewährten Spielprinzip hat sich natürlich nichts geändert. Die PS2-Fassung bietet eine 1:1-Umsetzung der PSP-Version aus dem Vorjahr. Enthalten sind das Komplettprogramm der Urversion sowie des Nachfolgers Oh No! More Lemmings!. Demnach gibt es insgesamt 156 Klassiker-Level, was ja schon mal nach ziemlich viel Spaß klingt. Doch Sentimentalität allein wird die Käufer nicht an die Ladentheke treiben. Deshalb spendiert Sony der Portierung ein EyeToy-Feature, mit dem sich der Spieler quasi ins Geschehen beamt. Na ja, zumindest eine Kopie ihres mehr oder weniger astral-geformten Körpers.
Kribbel, Krabbel!
In speziellen EyeToy-Levels wird Euer Selbstbildnis in das Geschehen projiziert und kommt für verschiedene Aktionen zum Einsatz. Brücke vonnöten? Kein Problem. Während die Lemminge auf den gähnenden Abgrund zumarschieren, spielt Ihr in aufopferungsvollem Selbstversuch lebendes Bauwerk. Jetzt nur keinen Fehler machen, auch wenn die Hände zittern und das Kreuz sich knirschend meldet. Immer schön darauf achtend, ja keine Lücke zwischen Klippe und Hand aufkommen zu lassen, wandern die Viecher an Händen, Armen, über den Kopf auf der anderen Seite wieder auf sicheres Gelände. Puh, geschafft!
Das klappt besser als gedacht und die sonst eher pingelige Pixel-Abfrage beim Bau von Brücken erweist sich als milde gestimmt. Ihr ersetzt auf diese Weise wichtige Features des Spiels, tragt die Lemminge auf Euren Extremitäten und spielt Fahrstuhl. Allerdings solltet Ihr die Agilität dabei nicht übertreiben. Grobe Körperwackler oder motorische Aussetzer führen zum Absturz der Rettungsbedürftigen und zum altbekannten "Oh No!". Inklusive Splatter-Tod und Blutspritzern. Yummy!
Im EyeToy-Modus ersetzt Ihr außerdem mit Gesten einige rudimentäre Steuerfunktionen, aktiviert händerudernd Schalter oder beschleunigt den Zeitablauf. Und kommt dabei ins Schwitzen, Ächzen und manchmal auch Fluchen. Da fühlt man sich fast wie Johnny Mnemonic. Aber nur ein bisschen, denn zu viel körperlicher Einsatz ist nicht gefordert. In spielerischer Hinsicht, bzw. beim Leveldesign gibts aus Gründen der Vereinfachung einige Abstriche: Komplizierte Knobel-Rätsel stehen Euch nicht bevor. Die gibts dafür in den „regulären“ Lemming-Levels zur Genüge.
Immer schön die Ruhe behalten!
Aber halt - sollte es tatsächlich noch Spieler geben, denen das Lemmings-Prinzip überhaupt nichts sagt. Kein bisschen? Habt Ihr in den letzten 15 Jahren hinterm Mond gelebt? Na gut: Stellt Euch vor, Ihr passt auf eine Rasselbande unzurechnungsfähiger kleiner Balge auf. So an die 100 Stück pro Level. Sie tun nichts lieber, als einfach immer nur geradeaus laufen und dabei in Abgründe zu segeln, von Lava verglüht werden oder zu ertrinken. Und da die putzigen Viecher uns so leid tun, hindern wir sie eben heldenhaft daran. Einen Überlebensinstinkt haben unsere kleinen Freunde nicht. Wir sind dafür verantwortlich, dass sie lebend das rettende Ufer erreichen. Oder die nächste Etage per sanftem Fall oder gewagter Klettereinlage. Oder heil am Lavasee vorbeikommen. Hört sich ganz einfach an, entpuppt sich aber mitunter als Nervenschlacht.
Mit Spezialfertigkeiten manipuliert Ihr die Lemminge und bringt sie dazu, nach Eurer Pfeife zu tanzen. So macht Ihr aus den suizidalen Klippenspringern plötzlich tolle Freeclimber, Fallschirmspringer mit Regenschirmen, geniale Brückenbaumeister, Grubenbuddler oder sogar Bremsklotz-Dummies. Die lenken den im Blindflug befindlichen Schwarm in die entgegengesetzte Richtung um und sorgen so zur Not für einen Stau auf der Lemming-Einbahnstraße. Auf diese Weise erkauft sich der clevere Lemingologe Zeit. Zeit, die manchmal an allen Ecken und Enden fehlt. Links plumpsen immer mehr Nager in den Lavasee und rechts bringt euch eine Falle ins Schwitzen. Hilfe – Panik!
Ist es zu schwer, seid ihr zu …
Manchmal sind die einfachsten Missionen die schwersten. So zerbricht man sich etwa ewig den Kopf, wie die zehn Lemminge überleben sollen, die einen Weg entlanglaufen und in den sicheren Tod stürzen. Außer Graben können sie nix. Doch schon der nachfolgende Lemming stürzt durch das gebuddelte Loch in den Tod - platsch. Ach Menno, wie kann das sein? Des Rätsels Lösung: Jeder der kleinen Fratze hat gefälligst sein eigenes Loch zu buddeln, um den Sturz zu überleben. Arggh! Wie einfach war das denn?! Oft sehen die wilden 2D-Szenarien, die vor 3D-Hintergründen stehen, unüberwindbar aus. Sind sie aber natürlich nicht.
Weil Ihr quasi die Erziehungsberechtigten der suizidgefährdeten Nager seid, dürft Ihr sie bei allem Eifer nie aus den Augen lassen. Dabei helfen Euch die Schultertasten, mit denen Ihr schnell im Level hin und herspringt und so im aufkommenden Tohuwabohu alles im Blick behaltet. Meistens jedenfalls. Damit bei Euren Rettungsbemühungen die Lemminge nicht ausversehen in den Tod plumpsen, dürfen eure Brücken nicht die kleinste Lücke zum Abgrund aufweisen. Eine praktische Erfindung ist die Zoomfunktion. Sie erleichtert das Handwerkerleben und hilft die Entstehung von todbringenden Mini-Spalten zu verhindern, durch die unsere Gehirn-Einzeller sonst gerne einmal fallen. Und uns so zur Verzweiflung treiben. Ein kleiner Fehler, eine Unaufmerksamkeit, ein Tod zu viel und ihr müsst von vorne beginnen. Eine ABM-Maßnahme beim Roten Kreuz ist nichts dagegen!
Technisch dürfen keine Wunder erwartet werden. Der Look & Feel der Amiga-Version wurde fast eins zu eins ins Jahr 2006 gerettet, dementsprechend angestaubt kommt auch die Grafik daher. Das macht aber bei so einem Spiel den Speck nicht madig, schließlich gehts hier um mehr als tolles Aussehen. Dasselbe trifft auf den Sound zu: die hassgeliebten Todesschreie und der Soundtrack alter Tage versetzen uns quasi in eine Spiele-Zeitmaschine. In eine Zeit, in der Gameplay noch etwas zählte und Grafik Mittel zum Zweck war. Und nicht umgekehrt.
Lemmings kann auch 15 Jahre nach seiner Erstveröffentlichung noch für zahlreiche amüsante Stunden sorgen. Natürlich ist das alles ein wenig angestaubt, altbacken und nicht mehr ganz taufrisch. Aber vielleicht macht das gerade den Flair aus. Die Konzentration aufs Wesentliche, angereichert mit dem aktuellen EyeToy-Feature sorgt sogar noch für neue Spielerkenntnisse. Rein "objektiv" betrachtet würde das Spiel vielleicht nicht unbedingt eine 8/10 rechtfertigen. Da ich aber schon immer sentimental veranlagt war gibts trotzdem eine Aufwertung in diese Kategorie. Diskussion zwecklos!
EyeToy: Lemmings ist ab 18. Oktober im Handel erhältlich.