Rise of the Ronin ist Shogun und Assassin’s Creed in einem und das Timing könnte nicht besser sein
Der ultimative Samurai-Simulator?
Ich bin wohl nicht der Einzige, der gerade Shogun auf Disney Plus verschlingt, als hinge sein Leben davon ab. Gleichzeitig bin ich neugierig, wie Ubisoft Assassin’s Creed ins ferne Japan verlegen und dabei authentisch rüberkommen will. Da kommt mir Rise of the Ronin gerade recht, das uns schon diesen Monat ins (nicht ganz so) alte Japan des 19. Jahrhunderts transportiert. Es bedient meine Serien-getriebene Szenario-Sehnsucht und nimmt ein wenig von dem vorweg, was die Attentäter-Reihe mit Assassin’s Creed Red wohl als Nächstes versuchen wird.
Wobei man direkt vorneweg sagen sollte, dass Rise of the Ronin definitiv sein eigenes Ding ist. Anders als Assassin’s Creed, das eher auf den Massenmarkt zielt, geht Rise of the Ronin den ersten Stunden nach zu urteilen mehr in die Tiefe, will gewissermaßen ein detaillierter Samurai-Simulator sein. Alles auf dem Fundament anspruchsvoller, gefährlich wirkender Nahkämpfe mit Katana, Speer und anderen Klingenwaffen. Von Team Ninja erwartet man auch nichts anderes und ich muss sagen: Das Spiel zieht daraus einen besonderen Reiz. Insbesondere, weil es sich umso mehr lohnt, ein gegnerisches Lager vorher schleichend zu dezimieren.
Rise of the Ronin ist kein Souls. Aber trotzdem fordernd
Kurzum, das ist schon ziemlich knackig und ich habe die Option, einen Bosskampf zu verlassen, um vielleicht erst mal ein wenig aufzuleveln oder meine Vorräte an Heilmitteln sowie Buff- und Debuff-Gegenstände aufzustocken, gern und oft genutzt. Durch punktgenaue Paraden, auf die das Spiel mehr setzt, als auf exzessives Blocken versetzt man Gegner in Panik und platziert dann in einer kurzen Lähmphase kritische Treffer. Es ist ein offensives Kampfsystem, bei dem man die Angriffsmuster der Gegner studiert und sich gut überlegen muss, ob man die eigene KI-Leiste (im Grunde Ronins Ersatz für die Ausdauer in anderen Spielen) verbrauchen soll, um eine besonders knifflige Kombo per Block zu fressen. Oder ist der Zeitpunkt ja doch reif, das Risiko einzugehen, die einzelnen Schläge der Serie zu parieren?
Ich habe dieses Abwägen sehr genossen und sehe viele Möglichkeiten, diese Kämpfe mit minimalistischer Eleganz zu gewinnen. Gleichzeitig war ich dankbar, im Notfall mit Mittelchen, umkonfigurierter Ausrüstung oder ein paar eingeschobenen Nebenaufträgen den Herausforderungsgrad nach meinem Bedürfnis zu beugen. Und dass die vier Skilltrees von Reflektieren von Geschossen bis hin zu einigen akrobatischen Einlagen so einiges für Schönspieler bereithalten bedeutet, dass für Ehrgeiz und Gemütlichkeit gleichermaßen Platz in Rise of the Ronin ist. Ich habe mich jedenfalls auch trotz der Möglichkeiten, an meinen Gegnern vorbeizuleveln, in viele Feindbegegnungen regelrecht verbissen. Sehr cool und packend.
Zusammen für das Shogunat. Oder dagegen. Wie ihr wollt.
Mehr als nur nett ist auch, dass man das Spiel komplett im Koop erleben darf und der Hauptcharakter – sollte man nicht an Gesellschaft interessiert sein – ein Netzwerk an NPCs kennenlernt, die ihn auf Missionen begleiten können. Man darf sogar auf Tastendruck zu ihnen wechseln, um sich zum Beispiel ihren individuellen Kampfstil zunutze zu machen. Rise of the Ronin zeigt nämlich an, ob der Stil eines Gegners eurer aktuellen Art zu kämpfen liegt. Drei Stile könnt ihr zugleich ausrüsten und per Button und Stick zwischen ihnen hin- und herschalten. Aber es kommt vor, dass ihr einen Style noch nicht beherrscht, den einer eurer Begleiter schon längst drauf hat, was euch natürlich zugutekommt.
Überhaupt sind die Rollenspielanteile nicht zu verachten. Ihr entscheidet mit, wie die Geschichte verläuft, indem ihr Aufträge für oder wider das Shogunat erfüllt und stärkt eure Bindung nicht nur zu einzelnen Chrakteren und Fraktionen, sondern auch zu Gegenden. Letzteres ist zwar nicht selten mit vertrauten Open-World-Aufgaben verbunden, hier aber durchaus motivierend, weil das Loot und andere Belohnungen nur so aus dem Spiel herausrieselt.
Die Ausrüstung, die ihr massenweise einfahrt, formt unterdessen euren Charakter entschieden mit. Geht ihr auf einen Set-Bonus oder pickt ihr euch eure Perks so zusammen, wie ihr es für richtig haltet? Außerdem dürft ihr beim Schmied gegen Geld und Rohstoffe einzelne Eigenschaften von Waffen auf eine andere übertragen. Und wenn euch eure Kleidung nicht gefällt, ihre Attribute aber zu gut sind, um sie nicht zu tragen, dürft ihr das Aussehen eures Aufzugs im Lager auch unabhängig von den eigentlich getragenen Kleidungsstücken einstellen. Ein fantastisches Feature, das gerne jedes andere kommende Rollenspiel ebenfalls übernehmen darf.
Technisches Mittelmaß – bei derartigen spielerischen Ambitionen ist das ok
Sehr cool ist auch, dass es zwei Arten von Erfahrungspunkteleisten gibt. Die normalen XP und die Karma-Punkte. Die normalen Erfahrungspunkte lassen euch im Level aufsteigen und generieren Skill-Punkte. Die Karmaleiste wird beim Erreichen einer Fahne – das Äquivalent zum Souls-Lagerfeuer – in spezifische Kraft-, Geschick-Charme oder Intelligenz-Punkte für die unterschiedlichen Skilltrees umgemünzt, die dann Kraft, Geschick oder Charme und so weiter priorisieren. Erledigt euch ein Gegner, verliert ihr an ihn nur die Punkte auf eurer Karma-Leiste. Besiegt ihr ihn im nächsten Versuch, bekommt ihr sie zurück. Es steht also etwas auf dem Spiel, aber auch nicht so viel, dass ein Bildschirmtod euch allzu sehr zurückwerfen würde.
Ansonsten muss man sagen, dass die Open World, in die es euch hier hinauszieht, zwar in ihrer Größe überzeugt, in Sachen Zivilisten- und Gegner-KI und Detaildichte aber nur mit Wasser kocht. Man sieht, dass Team Ninja seit Mitte der 2010er an diesem Spiel arbeitet und im direkten Vergleich wirkt Ghost of Tsushima deutlich hübscher. Und doch ist Rise of the Ronin von einem spröden Charme, der dafür sorgt, dass man gerne hier unterwegs ist. Wirklich kritisch sehe ich bis jetzt nur die Bildrate. Die ist nämlich im Performance-Modus extrem wackelig und im Qualitätsmodus mit um die 30fps nicht annähernd hoch genug für die Sorte Präzision, die man hier theoretisch einfließen lassen könnte. Zudem erschwert die stramme Gegneraufschaltung bei ausschweifenden, schnellen seitlichen Bewegungen manchmal ein wenig die Übersicht. Ich hoffe, an diesen Dingen arbeitet Team Ninja noch, um sie mit einem kommenden Patch zu richten.
Dieses hier hatte ich nicht auf dem Zettel. Das war ein Fehler
Aber sonst? Abgesehen von den paar technischen Problemen und der recht traditionell wirkenden Open World hat mich Rise of the Ronin jetzt schon entschieden länger beschäftigt, als ich es erwartet hätte. Das Kampfsystem und die Freiheiten machten es mir schwer, das Spiel aus der Hand zu legen und die Extraportion Draufgängertum, die Team-Ninja-Spiele so oft auszeichnet, ist auch hier überdeutlich vorhanden und wirkt trotz gewisser technischer Limitationen schwer attraktiv. Als hätte ich mit Dragon’s Dogma 2 nicht diesen März schon genug zu tun…