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Rise of the Ronin Test - In diesem alten Japan steckt viel mehr Assassin's Creed als Nioh drin

Schönheit ist eh überbewertet. Oder so.

Nioh goes Assassin's Creed und das nicht ohne Charme. Technisch aus der Zeit gefallen, aber spielerisch trotz und manchmal gerade dank seiner Verfehlungen der KI sehr unterhaltsam. Dazu ein spannendes Szenario und viele Mechaniken, die gut ineinander greifen.

Na, da wollte aber jemand mal aus seiner Nische ausbrechen. Nach zwei Mal Nioh, das die Souls-Klientel durchaus kompetent bediente, wollte Team Ninja mal so gucken, wie es im Bereich des Mainstreams so aussieht. Wer sich nicht wandelt, bleibt zurück, also brechen sie mit Rise of the Ronin ihre vertraute Formel auf. Was herauskam, ist eines der Spiele, bei denen es auf jeden Fall Liebe auf den zweiten Blick ist. Und Liebe ist vielleicht auch zu großes Wort, doch ja, es hat gedauert, aber Rise of the Ronin und ich, wir fanden dann noch zusammen.

Nicht, dass ich nicht den ganzen Tag über einzelne Aspekte von Rise of the Ronin schimpfen könnte und den offensichtlichsten können wir auch gleich zum Start abhandeln. Wer auch nur einen Trailer gesehen hat, ahnt es schon, dass Rise of the Ronin optisch kein echtes PS5-Spiel ist. Das Design des alten Japans, das sich sehr nah an die Realität von 1850 anlehnt, ist gelungen und so stimmig wie stimmungsvoll, da gibt es nicht dran auszusetzen. Alex fasste die Lage in einem Gespräch gut zusammen: „Die Landschaft ist schön, wenn man sich all die Details dazu denkt, die nicht da sind“. Dem kann ich mich nur anschließen, denn ihr dürft nie zu genau hinschauen.

Das ist umso beschämender, wenn man bedenkt, dass wir dabei schon über den Ray-Tracing-Schönheitsmodus sprechen. Dem kann man noch das Ray-Tracing abziehen, was allerdings keine großen Auswirkungen hat, weder in der Optik, noch in der Performance. Und dann gibt es den Leistungsmodus, der Rise of the Ronin fast und meistens flüssig laufen lässt, aber auch nicht so richtig. Dafür sieht es dann aus wie PS4. Hässliche Texturen, billige Landschaftseffekte, undetaillierte NPCs, es ist ein Trauerspiel, wenn man bedenkt, wie ein Spiel in dem schönen Setting bei einem sagen wir mal technisch versierterem Team ausgesehen hätte. Rise of the Ronin ist kein Spiel, bei dem man für die Grafik die Konsole einschaltet.

Aber wofür dann? Vielleicht für den eigenwilligen Mix aus einem Souls-Game, das sich in ein Assassin's Creed verirrt hat. Während der ersten ein, zwei Stunden dachte ich wirklich, dass das Spiel viel näher an Nioh als an einem üblichen Open-Worlder sei. Dass Rise of the Ronin kleine Szenarien wie in einem Sekiro mit ein wenig Platz dazwischen auffüllt, aber sich in seinem Herzen treu bleibt.

Das wandelt sich dann mit der Zeit, wenn ihr auf der Karte immer mehr Schnellreisepunkte freischaltet, eine Art Gleitanzug bekommt und Erkundung schnell mehr in den Fokus rutscht. Und hier glänzt Rise of the Ronin, denn wo manch andere Open-Worlder viel zu groß und überladen wirken, kommt hier Japan relativ kompakt daher. Man wird nicht zugeballert mit tausend irrelevanten Dingen, sondern beschränkt sich auf ein paar kleine Sammeleien, die sogar ganz niedlich gemacht sind. Wer will nicht maunzende Katzen finden und streicheln. Viel netter als Federn. Ein paar Schreine für einen kleinen XP-Boost, ein paar Zufallsbegegnungen, aber immer mit etwas Kontext. Ob nun Reisender in Not oder ein gesuchter Schwerverbrecher, der in einem alten Tempel unterkam, es fühlt sich weniger nach Gießkanne und relativ natürlich an. Auch, weil sich euer Ronin so zügig bewegen kann, schnell Pferd, Greifhaken und Gleiter bekommt und die Landschaft euch nie zu viele Hindernisse in den Weg stellt. Und wenn sie das doch mal tut, gibt es gute Gründe dafür.

Rise of the Ronin Test - Screenshots

Die Story-Struktur, die anfangs noch sehr simpel scheint, verliert sich dafür manchmal etwas zu sehr in den Feinheiten. Im Grunde dreht es sich um den Wandel in Japan und wie es mit dem zunehmenden Einfluss des Westens umgeht. Das und ein wenig Rache darf im Mix nicht fehlen, vor allem aber um die Agenden der zig NPCs, die sich um ebendiese Umbruchzeit Japans drehen. Rise of the Ronin ist kein Spiel, bei dem ihr es allen Seiten recht machen könnt und euch auch aus Missionen aussperrt oder sie sehr unterschiedlich erlebt, je nachdem, für welche Agenda ihr unterwegs seid. Ohne Frage, das steigert den Widerspielwert massiv, aber manchmal wurde es mir auch ein wenig viel des Guten. „Wer bist du noch mal und warum sollte mich das interessieren?“, waren Fragen, die ich mir etwas häufiger stellte, als es gut ist.

Die lange Entwicklungszeit schlägt sich aber nicht nur hier nieder. Es gibt zig Mechaniken des Levelns, Verbessern von Items, der Herstellung neuer Items, Forschungswege und vieles mehr. So viel, dass ich auch hier mitunter vergaß, dass es das ja auch noch gibt und ich mir das Leben einfacher kann. Dazu wieder kommt, dass es einen schlimmeren Item- und Sammel-Overkill als in Diablo gibt. Ihr sammelt Tonnen an Waffen und Rüstungen aller Art. Wortwörtlich Hunderte und die einzige Art, dem Herr zu werden, war beim Händler oder Schmied alles zu filtern, was nicht die höchste Seltenheit hat und einfach ungesehen in einem Rutsch loszuwerden. Ein kleiner Rat an Entwickler: Wenn jede einzelne Kategorie 3000 Slots hat und dann noch mal ein paar Tausend mehr in der Kiste in der Basis, dann hat der Held die Kontrolle über sein Leben verloren. Habe ich zig praktische Boni, die ich von ansonsten schrottigen Waffen hätte extrahieren können, so vernichtet? Garantiert, aber es war mir ganz schnell sowas von egal.

Überhaupt der Waffenwahn, der sich aus Nioh rübergeschleppt hat. Ihr habt fast ein Dutzend Waffengattungen. Jede spielt sich zwar irgendwie ähnlich, hat aber eigene Timings, Affinitäts-Boni und Haltungen. Diese müsst ihr auch je nach Gegner anpassen, um möglichst Effektiv gegen welche Waffe auch immer der hat zu sein. Das ist hier nicht annähernd so wichtig wie bei Nioh, wo ihr mit der falschen Waffe beim Boss nicht mal auflaufen musstet, aber auf dem hohen Schwierigkeitsgrad von Rise of the Ronin ist es auch nicht unwichtig. Und da ihr neue Waffen immer ausrüsten müsst – nur zwei gleichzeitig sind erlaubt – hatte ich meist nicht den Eindruck mit maximaler Effizienz unterwegs zu sein.

Im Kampf zeigt sich dann, dass Team Ninja noch nicht den Weg vom Souls hin zu zum Beispiel Tsushima gefunden hat. Dessen Kampfsystem war nicht auf einzelne Gegner ausgelegt, sondern darauf mit präzisen Timings eine Gruppe schnell zu erledigen. Ronin dagegen, dass ihr einen gegnerischen Angriff präzise kontert, seine Ausdauer reduziert und dann tödliche Attacken einsetzt, ähnlich einem Souls-Spiel. Solange nur einer oder vielleicht zwei Gegner in Rise of the Ronin vor euch stehen, klappt das auch gut. Wenn es aber mehr sind, bricht das ganze zusammen. Schlicht, weil ihr euch dann ohne Lock-On bewegen müsst, um den Angriffen aus allen Richtungen Herr zu werden, das Kampfsystem und seine Timings aber darauf ausgelegt sind, dass ihr einem Feind direkt gegenübersteht.

Insoweit lernt ihr schnell, dass ihr euch nicht Gruppen hineinstürzt, sondern die soliden Stealth-Mechaniken nutzen müsst, um entweder Gegner direkt von hinten oder oben zu meucheln oder sie zumindest möglichst einzeln vor euch zu haben. Das Spiel gibt das wirklich her, ihr habt so viele Möglichkeiten auf diese Weise zu spielen. Dank Greifhaken und ganz soliden Klettermechaniken verbrachte ich mehr Zeit damit, Feinde auszumanövrieren als mit Gruppen-Gemetzeln herumzuärgern und hatte dabei viel Spaß. Wobei ich mir nicht sicher bin, ob ein anderer Aspekt von Ronin diesen Spaß förderte oder eher hinderlich war: Die Frage bei den Gegnern in Rise of the Ronin ist nicht, ob ihr sie cheesen könnt, sondern auf wie viele Arten.

Die Gegner-KI ist unterirdisch. Nicht im Kampf, da passt alles. Sie haben spannende Angriffsmuster, die studiert werden wollen, nutzen diese konsequent und machen euch das Leben auf die beste Art zu Hölle. Das einzige Problem, dass ich im direkten Kampf hatte, war, dass die Timings im schönen Grafikmodus ganz schön leiden. Durch die niedrigere Framerate geht der Schwierigkeitsgrad künstlich etwas hoch und das nervte, weshalb ich am Ende ausschließlich im Performance-Modus spielte. Aber davon abgesehen steht das Ganze den üblichen Souls-Größen im direkten Schlagabtausch wenig nach.

Und dieses Können der KI im Kampf ist das komplette Gegenteil von allem, was die Gegner außerhalb dessen tun. Ich habe mit einem Level-6-Helden und etwas Geduld eine Level-12-Basis ausgehoben, die eigentlich für mich noch nicht gedacht war. Ronin ist übrigens nett, was Erkundung angeht, ihr werdet nur selten künstlich aufgehalten und findet so auch früh Gegner und Basen, die deutlich höhere Level haben. Wie gesagt, im normalen Kampf hätte ich hier wenig Chancen gehabt. Aber dank einer günstigen Position auf einem Dach, die leicht erreichbar war, ein paar Kugeln extra im Inventar und mit ein klein wenig Geduld, konnte ich alle Feinde dort von hinten angreifen und den massiven Attentats-Bonus für diese Attacke mitnehmen. Dann schnell aufs Dach gerannt, für nicht mal 20 Sekunden verstecken und alle waren wieder auf Ausgangsposition. Kein Alarm-Modus, keine atypischen Bewegungsmuster bei der Suche nach dem Attentäter, gar nichts. Das ist schon ganz schön 2008.

Dazu kommt, dass weder die Begleiter-KI noch die der Gegner, die euch verfolgen, besonders gut mit Objekten in der Welt umgehen können. Sie bleiben ständig irgendwo hängen und laufen endlos dagegen. Oder vielmehr, nicht endlos, denn irgendwann sehen sie ein, dass es nicht weitergeht, lösen sich in schwarzen Rauch auf und springen so auf ihre Ausgangsposition zurück. Wenn ihr bei besonders heftigen Feinden dann wisst, wo das ist, könnt ihr manchmal dort schon auf sie warten und das Messer direkt zwischen die Rippen schieben, bevor ihr sie für eine neue Runde zwischen zwei Balken lockt. Ich habe keine Spielstunde ohne solche Begebenheiten und immer den Eindruck gehabt, dass das Spiel gerade noch so alles zusammenhält, damit die KI nicht einen kompletten Nervenzusammenbruch bekommt.

Ich muss aber auch ehrlich sein: Als jemand, der gerne die Schwächen einer KI erkundet und ausnutzt, war das hier ein pures Eldorado, mit dem ich viel Spaß hatte. Und das ist das Interessanteste an Rise of the Ronin. Wie ich eingangs erwähnte, ich kann den ganzen Tag so weitermachen, aber ich mag dieses Spiel wirklich und hatte mehr Spaß mit ihm als mit vielen anderen, vielleicht objektiv besseren Open-World-Spielen.

Es hilft dabei ungemein, dass Team Ninja nicht auf den Schwierigkeitsgrad eines Nioh beharrte. Ihr könnt auf einfach spielen und dann ist Ronin nicht schwerer als ein normales Assassin's Creed. Und auf den beiden höheren Leveln gibt es hundert Dinge, die ihr in jedem Kampf tun könnt, um euch das Leben leichter zu machen. Tränke, Buffs, Waffen-Effekte, alles habt ihr rauen Menge. Ihr dürft nicht endlos viele gleichzeitig mitnehmen, aber genug, um selbst harte Bosskämpfe deutlich in eure Richtungzu drehen. Das senkt die Frustgefahr drastisch, auch wenn hartgesottene Puristen das vielleicht als Affront empfinden werden. Selbst bei den Bossen könnt ihr euch mit genug Materialeinsatz ganz gut durchschummeln. Auch eine Art von Skill nehme ich an, aber etwas anders gelagert als bei Nioh.

Ihr könnt übrigens Koop spielen und das macht auch richtig Laune. Während ihr die offene Welt für euch erkundet, gibt es innerhalb der Story immer wieder geschlossene Missionen, bei denen ihr euch einen Freund oder einen Freund, den ihr noch nicht kennt, dazuholen könnt, um dann zu zweit loszulegen, statt euch mit den Unzulänglichkeiten der KI-Begleiter herumzuschlagen. Gerade, wenn ihr ein wenig koordiniert spielt und euch absprecht gewinnt das Ganze nochmal deutlich an Fahrt und Spielspaß und ich kann es nur empfehlen.

Also ja, das ist einer dieser Tests, wo jemand sagen wird, wie es denn sein kann, dass ein solches Bashing vier Sterne bekommt und ich verstehe das. Es ist bei Rise of the Ronin sogar noch schwerer zu erklären als bei manch anderen Kandidaten aus dieser Kategorie. Das Spiel ist nicht direkt hässlich, aber technisch doch aus der Zeit gefallen. Die Gegner-KI bettelt geradezu darum, auf hundert Arten ausgenutzt zu werden, der Item-Drop-Wahn nahm ebenso überhand wie der Feature-Overkill. Aber gleichzeitig lässt sich das handhaben und oft genug unterhaltsam ausnutzen, sodass ihr die schönen Aspekte von Rise of the Ronin genießen könnt. Die kompakte Welt lädt zur Erkundung ein, ohne dass es sich wie endlose Arbeit anfühlt. Die komplexen Story-Verzweigungen und die Missionsvielfalt zwischen Stealth und Attacke laden zum Experimentieren ein.

Dazu kommt, dass sich Rise of the Ronin nie unfair anfühlt oder euch mit absurden Bossen komplett ausbremst, sondern einlädt, euch Gedanken über all die Möglichkeiten zu machen und wie sie zu nutzen sind. Ich hätte nach den ersten zwei, drei Stunden nicht gedacht, dass ich diesen Satz schreiben würde: Team Ninja hat ihre ersten Schritte in eine größere, offene Welt erfolgreich geschafft. Nicht ohne hier und da zu stolpern und eine Fortsetzung hat viel Auswahl bei dem, was sie besser machen kann und sollte. Aber am Ende des Tages hat mich Rise of the Ronin mehr fasziniert und mir mehr Freude gemacht als so viele andere Open-World-Titel der letzten Zeit. Sicher, wahrscheinlich seid ihr jetzt erst mal mit Dragon’s Dogma beschäftigt und das zu Recht. Aber bitte, vergesst Rise of the Ronin nicht, wenn ihr dann damit fertig seid und gebt ihm eine Chance.

Rise of the Ronin
PROCONTRA
  • Kompakte, schlüssige offene Welt, ideal für Erkundungen
  • Spannendes Szenario mit komplexem Story-Verzweigungen, die viel Wiederspielpotential bieten
  • Guter Mix aus Stealth und Kampf und den Missionen
  • Zig Spiel- und Kampfarten, bei denen euch das Spiel sehr viel Freiheiten lässt
  • Im Koop gleich noch mal doppelt so spaßig
  • Die Gegner-KI lässt sich auf tausend Arten ausnutzen und Cheese wird hier noch ganz groß geschrieben
  • Technisch auf PS4-Niveau und nicht mal Naughty-Dog-PS4
  • Gegner-KI außerhalb der Kämpfe praktisch nicht vorhanden
  • Loot-Overkill: 98 Prozent der Waffen und Rüstungen sind irrelvant
  • Feature-Overkill: Zu viele verschiedene, aber dann doch im Kampf zu ähnliche Waffengattungen, die sich nicht schnell genug wechseln lassen, um sie ohne Umstände auszukosten
  • Die Gegner-KI lässt sich auf tausend Arten ausnutzen und Cheese wird hier noch ganz groß geschrieben

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Martin Woger Avatar
Martin Woger: Chefredakteur seit 2011, Gamer seit 1984, Mensch seit 1975, mag PC-Engines und alles sonst, was nicht FIFA oder RTS heißt.

Informationen zu unserer Test-Philosophie findest du unter "So testen wir".

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