Rise of Venice - Man kennt es, man mag es.
Oder auch nicht. Aber zumindest weiß man ganz genau, was man bekommt.
Ascaron ist nicht mehr. Es lebe Gaming Minds Studios. Jetzt endgültig. Die gute alte Wirtschaftssimulation dürfte nach zwei Stunden im Angesicht von Rise of Venice gerettet sein. Denn dieses nächste Projekt nach dem guten, aber doch noch etwas zu simpel gestrickten Port Royale 3 sieht so aus, als wäre es, wenn schon vielleicht nicht das definitive Mittelalter-Handels-Game, dann doch immerhin ein solider Meilenstein auf dem Weg dahin.
Womit auch schon eine ganze Menge über das Spiel selbst verraten wäre und solltet ihr auf gewaltige Überraschungen hoffen, reicht ein Blick auf die Spielkarte, um euch das auszutreiben. Sie ist schöner, das Mittelmeer um Italien und Griechenland bis hinunter nach Nordafrika glitzert schön blau und Wölkchen zieren den Himmel aus eurer Satelliten-Perspektive, aber grundsätzlich kommt einem das schon sehr vertraut vor. Schiffe ziehen ihre Bahnen, Städte - ihrer 25 insgesamt - säumen die Küstenlinien und jeder scheint darauf aus, reich zu werden.
Die Regeln des Warenerhaltungssatzes
Nun, fast jeder. Eure Figur ist noch mehr darauf erpicht, in den Rat der Zehn von Venedig zu kommen und so dem eigenen Vater nachzueifern. In der Politik mitzuspielen, mag das Ziel sein, der Weg dorthin ist aber natürlich Geld, womit sonst sollte man den Erzfeind Genua ausstechen können? Also müsst ihr mit den 22 gegebenen zeitgenössischen Waren handeln. Ihr kennt das Spiel: teuer kaufen und billig verkaufen, um der Gesellschaft was Gutes zu tun und den Schwierigkeitsgrad angemessen nach oben zu treiben. Nein, natürlich ist es andersherum, aber nach 30 oder mehr Jahren WiSims bin ich schon versucht, es mal mit frischen Ansätzen zu versuchen.
Der Warenkreislauf von Rise of Venice bietet jedoch wirklich eine kleine Eigenheit insoweit, als dass eine erst einmal produzierte Ware nie einfach so verloren geht. Selbst wenn Piraten eine Ladung erbeuten, liegt diese noch irgendwo in deren Versteck herum und kann von euch zurückgeholt werden. Auf diese Weise soll ein vollkommen geschlossener und damit perfekt nachvollziehbarer Warenkreislauf entstehen. Wo viel von etwas liegt, fallen die Preise, wo es rar ist, steigen sie. Entsprechend baut ihr eure Schiffhandelsrouten auf, das Konzept ist bekannt, soll dank der wasserdichten Kreisläufe nun jedoch von der internen Logik her fehlerlos sein. Ihr müsst sie nur durchdringen, schon seid ihr reich. Hm, so anders ist es vielleicht dann doch nicht.
Eine Sache, die ich in den vorigen Spielen wie eben Port Royal nie wirklich verstand, war, dass ein Großeinkauf einer Ware den Preis plötzlich explodieren ließ. Wer eine Einheit Weizen kauft, zahlt Summe X, wer alle Einheiten kauft, zahlt pro Einheit den vielfachen Preis. Machte für mich wenig Sinn, denn obwohl nach meinem Kauf ja eine Knappheit entstehen kann und die Preise steigen, müsste es während des Einkaufs ja noch einen stabilen Preis geben. Aber, mann muss alles nur einmal richtig erklären: Bis zu einer gewissen Grenze an Einheiten, wie viele die Stadt auch immer zu bieten hat, bleibt der Preis wirklich stabil. Diese Waren sind die, die der Händler auch wirklich zum Verkauf ausliegen hat. Wollt ihr darüber hinausgehen, müsst ihr es euch so vorstellen, dass ihr dem Händler die Order gebt, nicht nur alles, was er hat, sondern auch alles, was er sonst irgendwie und egal zu welchem Preis auftreiben kann, heranzuschaffen. Das wird natürlich immer schwieriger, je näher ihr an „alles, was es überhaupt in der Stadt gibt" herankommt und so explodiert auch der Preis. Ok, verstanden, macht Sinn, funktioniert auch in Rise of Venice so.
"Man will euch den Handel zwischen den Städten nicht mehr ganz so leicht machen. "
Schluss mit dem automatischen Reichtum
Man will euch den Handel zwischen den Städten aber nicht mehr ganz so leicht machen. Durch diesen geschlossenen Kreislauf beginnen die Waren mit der Zeit, sich in einem gewissen Rahmen automatisch umzuverteilen. Städte verändern sich und damit ihre Bedürfnisse und eine eben noch lohnende Route eignet sich nun nicht mehr ganz so sehr, da es ich in der Regel schneller Handeln lässt, als die Stadt mit der Produktion hinterherkommt. Die Funktion aus Port Royale 3, dass eure Kapitäne die idealen Käufe allein entscheiden können und sich das Spiel so praktisch selbst spielte, wurde entfernt und nun durch mehr, aber eben manuell justierbare Optionen erweitert. Ihr müsst in Rise of Venice wieder aktiver eingreifen. Dank einer dezenten aber gezielten Überarbeitung der Menüs sollte das kein Problem sein, Rise of Venice wirkt ausgesprochen aufgeräumt.
Der Eindruck verstärkt sich noch dadurch, dass man endlich auf eine eigene und vor allem eigens zu ladende Stadt-Ansicht verzichtete. Es gibt nur die große Karte, die ihr jedoch bis auf Straßen-Niveau heranzoomen könnt. So dürft ihr einen Blick auf den Schiefen Turm werfen oder den Tauben auf dem Markus-Platz zugucken, all diese schönen Orte gab es zu der Zeit, in der gespielt wird - um 1450 -, nämlich schon. Man scheint sogar um historische Genauigkeit bemüht, denn die drei Masten, die auf dem berühmten Platz seit 1480 stehen und die Fahnen der Stadt tragen, waren 1450 noch nicht zu sehen. Ich bin gespannt, ob sie 30 Spieljahre später auftauchen werden. Also, trotz des Mangels an einer eigenen Stadt-Ansicht gibt es keinen Mangel an den kleinen Feinheiten.
Diese ziehen sich bei den Schiffen nicht ganz so durch, denn nicht alle der 12 Schifftypen sind historisch akkurat. Der Typus der Fregatte war zu der Zeit noch nicht ganz so etabliert, wie es hier suggeriert wird, aber damit lässt es sich sicher leben, denn wer will schon kein schnelles und wendiges Schiff als Geleitschutz haben, wenn es in die Schlacht geht? Diese sehen ganz nett aus, waren in der gezeigten Version aber noch alles andere als fertig und so verlief das auf Wunsch auch stets per Wahrscheinlichkeiten berechenbare Gefecht zwischen einigen Schiffen eher chaotisch. Man arbeitet noch daran. Fest steht jedoch schon, dass Wind eine wichtige Rolle spielt und so die Galeeren einem sehr gelegen kommen können. Weiterhin spielen Untiefen eine Rolle, die Zahl der Matrosen an Bord und so weiter. Das System wirkt nicht gänzlich neu, aber tiefgehend genug, um spannende Schlachten bieten zu können, sodass ihr nicht immer einfach nur das Ergebnis auswürfeln lassen werdet.
Die Kapitäne sollen dabei eine größere Rolle als zuvor erhalten. Ihr könnt Erfahrungspunkte auf eine Reihe von Eigenschaften aus den Gruppen Handel, Schiffsführung oder Kampf legen und euch so Spezialisten heranzüchten. Gut so, denn zuvor war ein Kapitän meist kaum mehr als ein Name. Jetzt ist er ein erfahrener Händler, ein diplomatisch veranlagter Edelmann, ein echtes Kampf-Raubein oder ein erfahrener Schiffsbauer.
"In jeder Katastrophe soll eine Chance für geschickte Händler liegen."
Exkommunikation und andere Katastrophen
Weitere Persönlichkeit fließt durch den besagten Rat der Zehn von Venedig in das Spiel ein, den ihr immer für und gegen euch haben könnt. Einen der zehn Räte habt ihr praktisch immer auf eurer Seite - euren Vater - alle anderen haben ihre ganz eigenen Interessen, die nicht leicht zu balancieren sein sollen. Der eine will eine Kirche sehen, der andere, dass ihr in den ihm wichtigen Städten für wirtschaftlichen Aufschwung sorgt und sie alle geben euch kleinere und größere Aufträge, mit denen ihr um ihre Gunst buhlt. Der Sinn des Ganzen ist natürlich der eigene politische Aufstieg, möglichst bis zum Dogen von Venedig. Dazu könnt ihr taktisch heiraten, euren Kindern wichtige Posten zuschanzen und eine Reihe politischer Ränkespielchen betreiben. Nur mit dem Papst in Rom solltet ihr es euch nicht völlig verscherzen. Er kann nämlich ganze Städte exkommunizieren und das kommt im Italien des 15. Jahrhunderts wirklich nicht gut an.
Es wird auch weniger spirituelle Katastrophen geben, die die Städte treffen können: zwei aktive Vulkane melden sich von Zeit zu Zeit in Italien - Vesuv und Ätna -, Hungersnöte können genauso wie Seuchen das Land heimsuchen, Waldbrände vernichten Ressourcen und Erdbeben in Zentralitalien das, was ihr aufgebaut habt. Es soll aber in jeder Katastrophe auch eine Chance für geschickte Händler liegen, indem ihr auf die neu entstandenen Bedürfnisse reagiert. Eine eben noch holzreiche Region verliert diese Ressource durch ein großes Feuer, also strickt ihr schnell ein paar Routen um, damit die Leute an Holz kommen. Zu einem gewissen Pries natürlich. All das sollte helfen, damit euch in einer der bis zu 30 Stunden dauernden Runden nicht langweilig wird.
Eine solche Mammut-Sitzung wird auch im Multiplayer des nur für den PC geplanten Spiels möglich sein, wenn ihr ein paar Freunde habt, mit denen ihr so ein Vorhaben koordinieren könnt. Alle Mechaniken vom Warenkreislauf bis zum Rat der Zehn werden wohl im Mehrspieler ihren Platz haben, aber solltet ihr es etwas eiliger haben, könnt ihr auch auf eine schnelle Runde mit definierten und in einer Stunde erreichbaren Zielen zurückgreifen.
Rise of Venice wird eine sichere Sache. Es muss schon wirklich mit dem Teufel zugehen, wenn das hier nicht das durchdachte, hochwertige und unterhaltsame Handelsepos wird, nach dem es aktuell aussieht. Gaming Minds riskiert dabei denkbar wenig, man hält sich an die Prämise, die man kennt und beherrscht und setzt vor allem auf viele Verfeinerungen und Schliffe, statt auf eine Revolution. Ehrlich gesagt habe ich damit überhaupt kein Problem. Einmal im Jahr spiele ich gerne genau so einen eher entspannten, aber doch komplexen Titel. Während es jedoch mit dem „komplex" bei Port Royal 3 zuletzt ganz schön haperte, wirken die zarten Neuerungen des dynamischen, geschlossenen Warenkreislaufs, der politischen Möglichkeiten und der angestrebten Verbesserungen vieler Details in Rise of Venice ideal zugeschnitten. Es ist das, was man von diesem Studio erwartet und wie es aussieht liefern sie voll ab.