Risen
Aka Gothic 2.5
Da vorne, ein ekliges Insekt! Als der Spieler näher kommt, blitzt in Risen der Humor auf, der schon die Gothic-Reihe zierte. Der Name des surrenden Flugviehs lautet doch tatsächlich „Ekliges Insekt“. Wenige Momente später liegt der Spieler tot vor den Fühlern seiner Bekanntschaft. Wieder einmal.
Für einige Leser mag das ein Schock sein, aber das heiß erwartete Rollenspiel Risen gibt sich wahrlich alle Mühe, es umgehend zu verteufeln. Der Spieleinstieg gestaltet sich in der Tat so geschmeidig wie eine Radtour über eine schlecht gepflasterte Straße. Böse formuliert ist Risen ein virtueller Ausflug in die Designfehlerhölle der 90er-Jahre. „Häufiges Speichern ist sinnvoll“, verkündet ein Ladebildschirm im Spiel. Das ist untertrieben. Wer nicht vor jeder Aktion speichert, darf garantiert bald eine große Passage wiederholen. Der namenlose Held ist nämlich eine Pfeife. Selbst an sich harmlose Kontakte mit jungen Stachelratten, hungrigen Wölfen oder schnuckligen Gnomen enden anfänglich schnell mit dem Bildschirmtod.
Die Grafik in Risen erinnert zudem an einen Vampir: Berührt ein Sonnenstrahl euren Bildschirm, zerfällt sie zu Staub – genauer gesagt, seht ihr nichts mehr. „Die Entwickler hätten es am Liebsten, wenn man ohne Fackel nachts im Spiel wirklich nicht mehr die Hand vor Augen sieht“, hatte im Juli Daniel Oberlerchner, der bei Herausgeber Deep Silver Verantwortliche für die Marke, gegenüber Eurogamer noch halb scherzhaft erklärt. „Wir haben da gegengesteuert.“ Nicht genug offenbar. Selbst in verdunkelten Räumen ist das Bild ständig zu duster. Einstellmöglichkeiten dafür existieren an der Xbox 360 nicht, beim PC lässt sich das Manko zumindest noch etwas durch exzessive Gamma-Korrektur ausgleichen. Schön ist etwas anderes. Obendrein gibt es auf dem PC nicht einmal eine Option für Antialising (Kantenglättung).
Überhaupt fühlt man sich als Spieler in Risen wie Kevin allein zu Haus. Hilfestellung leistet das Spiel nur widerwillig. Auf den detailarmen Karten sind Quest-Geber in einem Untermenü versteckt, die Steuerung lässt sich auf der 360 nicht belegen (am PC schon), bei Gesprächen sieht man nicht, wie viel Gold man noch im Beutel hat (blöd, wenn man etwas zahlen soll) und so weiter. Selbst das Rätseldesign geizt mit Komfort. Wer in einem Gespräch den Hinweis auf einen Geheimschalter erhält, läuft vermutlich trotzdem drei Mal an dem guten Stück vorbei, weil man seine Spielfigur millimetergenau davor platzieren muss.
Die 360-Fassung kämpft dabei natürlich mit niedrig aufgelösten Texturen, eingeschränkter Weitsicht und Rucklern. Sogar zu einer Zeitlupenattacke kam es während des Tests. Da hat sich Wizarbox, das französische Studio, das für die Konsolenumsetzung verantwortlich zeichnet, zu wenig Mühe gegeben. Aber auch am PC gibt es technisch Besseres. Seit mindestens zwei Jahren!
Doch dann plötzlich passiert das Wunder. Denn wer all diese Schikanen erträgt, sich nach und nach auf die holprige Benutzerführung einlässt und an die Macken gewöhnt, für den entfaltet sich mit zunehmender Stärke des Helden ein ausgeklügelter Rollenspiel-Leckerbissen. Für machen Spieler mag diese Wandlung von der Raupe zum Schmetterling zu spät kommen, doch es lohnt sich durchzuhalten. Bald steckt man mitten in einer Intrige um Macht, Gold und Magie. Nicht so spannend inszeniert wie ein Hollywood-Film und zudem mit einigen „Hole, Töte, Bringe“-Quests gestreckt, aber dennoch unterhaltsam. Besonders, weil ihr euch frei fühlt.