RPG 2017: Die Kleinen, die Großen und was dazwischen liegt
Kein Jahr für großartige Beschwerden.
Auch in diesem Jahr sind Würfel und Wundheilsalbe wichtige Werkzeuge während wohliger Wanderschaft. Wir werden Hunderte Höhlen auskehren, Hunderte Truhen plündern, die Problemchen Hunderter NPCs lösen, hoffentlich ein paar davon spannend ausdiskutieren und Monster schlachten. Was man in Rollenspielen so tut. Von denen erscheinen 2017 nicht wenige, falls sie alle pünktlich dran sind. Was ein Ding der Unmöglichkeit ist. Man kennt das ja. Das ist kein Anspruch auf Vollständigkeit erhebender Ausblick und einige wilde Spekulation sind auch dabei.
Zumindest was den Termin von Nioh angeht, haben diese keinen Bestand mehr. Nach über zehn Jahren Entwicklungszeit erscheint Team Ninjas im Dark-Souls-Windschatten so richtig aufgeblühtes Action-Rollenspiel am 9. Februar. Dass es cool wird, vermute ich mal ganz vorsichtig nach dem, was zu sehen war. Ein weiterer schon Release-fein gemachter Kandidat heißt Torment: Tides of Numenera und könnte anstrengend werden, stürzt man erst aus Tausenden Metern runter auf etwas, das unsere Erde Milliarden Jahre in der Zukunft darstellen soll. Während euch ein textlicher Schwall aus Lore nachfliegt und keinen Zweifel daran lässt, dass Entwickler Inxile ein erstarktes Mitteilungsbedürfnis aufweist.
Auf neckische Weise überfrachtet zeigte sich die Beta letztes Jahr. Kann sein, dass das Studio beim Einstieg inzwischen in entschärfender Mission unterwegs war, glaube ich aber nicht, und wieso auch? Selbst im Original-Planescape-Torment kam man über kurz oder lang zu Dhall, und das endete in einem Gespräch allumfassender Ausmaße. Ist es das, was ihr von einem Rollenspiel erwartet - mehr verbale als physische Schläge -, dürfte Tides of Numenera schon mal lose ins Beuteschema passen. Es ist kein Kurz-einlegen-und-zwanzig-Minuten-überbrücken-Spiel. Wie im geistigen Vorgänger muss man Dialoge als valide Handlungsoption schätzen, nicht als wegklickbares Beiwerk verteufeln, das sich "eh niemand komplett durchliest". Ohne viel zu schmökern wird das nichts. Welche Wellen Numenera außer den namensgebenden Tides schlägt, erfahren wir ab dem 28. Februar zum Release für PC, PS4 und Xbox One.
Keine zwei Wochen später, am 10. März, erscheint Nier Automata von Platinum Games. Nach dem Anfang der Woche überraschenderweise eingestellten Scalebound - ein Projekt, das vier Jahre in der Entstehung war - kann man nur die Daumen drücken, weiterhin den durchgestylten und üblicherweise tadellos spielbaren Wahnsinn der Japaner erleben zu dürfen. Unabhängig von der Frage, ob ihr Mass Effect als RPG definiert oder als handlungsbetonten Deckungs-Shooter mit offenem Universum, Dialograd und romantischer Gefährtenbindung - was auch immer es ist, ihr bekommt es am 24. März. Hoffentlich. Auf jeden Fall wird das Universum von Mass Effect: Andromeda ein größeres, als man es in der vergangenen Trilogie gesehen hat. Wieder da ist unter anderem ein Fahrzeug für Touren oberhalb der Laufgrenze, und mit ihm gern topografische Herausforderungen auf den einzelnen Planeten, während man die früher etwas zu kurz gekommene Erkundung fremden Wohnraums nachholt. Genug Übung darin konnte Bioware mit Dragon Age: Inquisition sammeln. Daneben sicher auch Erkenntnisse, was dabei nicht so gut klappte.
Dieses Jahr wird auch ein spannendes für das deutsche Studio Piranha Bytes, das den ständigen Gothic-Vergleich mitschleppen muss wie einen lästig gewordenen Hinkelstein. Aber wem kann man es verübeln? Spätestens in den frühen Zehnerjahren verlor die Truppe für mich das spezielle Etwas, oder genauer: schien nicht mehr so ganz zu wissen, wieso das einst anders war. Die Risen-Reihe? Zu lieb, zu süß, zu wenig Hintergrund und zu zersplittert im Wettbewerb mit den endlosen Open-World-Hausnummern. Gleichzeitig zu entkernt, um wie Gothic 1 und 2 in seinem eigenen Kosmos relevant zu sein.
Elex will hier einhaken und die Balance zwischen "banal" und "bananenstark" finden, wenn es voraussichtlich im Sommer erscheint. Da Bananen keine auffälligen Kerne haben, bin ich eher für pfirsich- oder kürbisstark. Was auch immer dem Spiel am meisten dient. Hauptsache Piranha Bytes glückt wieder eine nicht aus dem Stegreif zu beherrschende Welt mit steilerer Lernkurve. Gebaut ist sie natürlich von Hand und lässt sich nieder in einem Setting zwischen Fantasy- und Science-Fiction-Einflüssen. Inhaltlich ist das für Piranha-Bytes-Verhältnisse weit draußen. Hoffen wir, dass sie mit Elex zu alter Form finden. Und wenn nicht ganz, dann wenigstens den Weg dorthin.
Erfreulich wäre es. Die Konkurrenz schläft nicht, zum Beispiel die aus Tschechien. Ambitionen sind nicht das Thema bei Kingdom Come: Deliverance, schaut man sich die To-do-Liste des Entwicklers Warhorse an. In einer hinreißend offenen Welt soll ihr historisch begründetes RPG bitteschön spielen, mit einem von sabbelig bis kämpferisch reichenden RPG-System unterlegt, dazu möglichst kleinteilige Tagesabläufe in einer "lebendigen Welt" und sowieso all das, womit gefühlt jedes Rollenspiel beworben wird. Nur sieht es in dem Fall nach viel mehr aus als nach ein paar Buzzwords.
Das Abnabeln von Fantasy-Gewohnheiten hin zur historisch in Europa verankerten Grundlage macht woanders aus dem Effeff kommende Säurepfeile auf einen Schlag unbrauchbar. Trotzdem - oder genau deswegen, je nachdem - soll das hier der heißeste Shice seit Tubenkäse werden. Nach dem, was ich sehen und spielen konnte, habe ich wenig Zweifel am Können und Rüstzeug des tschechischen Entwicklerstudios. Die ziehen das wirklich durch. Hoffen wir, dass ihre Qualitätssicherung vorher den schlimmsten Boss eines jeden Rollenspiels besiegt. Besonders wenn es zeitgleich für Konsolen noch in diesem Jahr erscheinen soll.
Ob Pillars of Eternity 2 diesen Sprung schafft, ist reine Spekulation. Ein Zwei-/Zweieinhalb-Jahre-Turnus wäre durchaus denkbar für ein Spiel dieser Art, besonders da die Welt hintergründig bereits etabliert ist. Außer Obsidian will mit der Fortsetzung die epische Breite von Baldur's Gate 2 schlagen, wo sie doch im Vorgänger schon Anflüge landschaftlicher Leere verarbeiten mussten. Das darf in Pillars 2 gern konzentrierter ablaufen. Ebenso wie das ständige Volldröhnen mit Backer-NPC-Geschichtchen, sollte es in diesem Jahr noch eine Crowdfunding-Kampagne geben.
Bard's Tale 4, die Rückkehr ins virtuelle Skara Brae, köchelt schon eine Weile bei Inxile vor sich hin. Erneut geht es um einen aus der Tiefe gehobenen Dungeon als eigentlichen Star. Erneut ist das Überwinden seiner Fallen, Puzzles und Gegner kräftezehrende Heldenprüfung für eine mehrköpfige Abenteurergruppe. Und erneut ist nicht nur die Beute, sondern auch hart erkämpfter Fortschritt die Motivation, sich einem alles verschlingenden und nur weniges wieder hochwürgenden Verlies zu stellen. Im Grunde eine Machbarkeitsstudie über die heutige Genießbarkeit von Ego-Dungeon-Crawlern, die Legend of Grimrock schon vor vier Jahren leistete und mit seinem Nachfolger 2014 verfeinerte. Zu mehr von dieser Sorte kann man nur schwer "nein" sagen.
Vor allem nicht, wenn uns der Dungeon zum "MacGyver einer Fantasy-Welt" befördert. Wie bei Underworld Ascendant, doch was ist eigentlich damit? Nicht dass die Mannen um Ex-Looking-Glass-Chef Paul Neurath trotz Generationen definierender Spiele wie System Shock und Thief je viel Rampenlicht hatten. Unter dem Banner des neuen Studios Otherside Entertainment hat sich daran wenig geändert. Im Stillen arbeiten sie weiterhin an ihrem First-Person-RPG, das die Handlungsmöglichkeiten von Ultima Underworld aufgreift, dazu einen klassischen Dungeon über mehrere Stockwerke und eine Ökonomie in Form verschiedenster Interessensgruppen.
Wie im Vorbild soll man in jeder gegebenen Situation verschiedene Optionen haben, sie zu meistern, etwa indem man eine Spinne beschwört und sich an sie klammert, während sie einen Fluss überquert. Oder man findet einen anderen Weg in dem nichtlinearen Verlies. Falls man lange genug überlebt. Der vor zwei Jahren angesetzte Termin Ende 2016 ist verflossen, was Underworld Ascendant zu einem fast sicheren Kandidaten für die kommenden elfeinhalb Monate macht. Wie sich das Spiel so anstellt, das können Crowdfunding-Unterstützter voraussichtlich im Februar mit einem neuen Prototypen erschnuppern.
Divinity: Original Sin 2 macht mir ein bisschen Angst. Der Vorgänger ist eines der gemächlichst ablaufenden und komplexesten Old-School-RPGs aus der ersten Kickstarter-Welle, besonders wenn man die Konsolenversion zur Betrachtung bittet. Couch-Koop in einem Rollenspiel, in dem sich die möglichen Aktionen nicht im Hauen und Sammeln erschöpfen. Beide Spieler können sich autonom bewegen, selbst über Ladebildschirme hinweg. Einer kann stundenlang auf dem Marktplatz Handel treiben, während der andere "mal eben" die Hauptquest löst oder aus Langeweile einen Kampf mitten in der Stadt vom Zaun bricht. Von einigen Schlüsselpunkten abgesehen können beide in gegensätzlichen Ecken unterwegs sein und ihr Ding durchziehen, was immer das heißen mag. Wenn man sich nun vorstellt, dass Teil zwei auch all das hat und noch viel mehr, unter anderem die Möglichkeit, in einer Vierergruppe zu spielen, kann man nur Bewunderung empfinden. Und Hoffnung für die Konsolenversionen, falls es irgendwann welche geben sollte.
Hoffnung darf man auch bei Cyberpunk 2077 haben, dort jedoch nicht, weil derzeit irgendwas auf eine Schieflage hindeutet. Wenn überhaupt, dann dass die Ankündigung nun bereits über vier Jahre auf dem Buckel hat. Aber genau genommen deutet hier gar nichts, niemand, nirgendwo, weder hin noch zurück. Entwickler CD Projekt ist uns weiterhin Spielszenen schuldig und tut, was er am besten kann: jahrelang Geld und Talent auf eine Produktion werfen und mit dem eigenen, fantastischen Backkatalog absurde Erwartungen schüren. Meine Güte, wir wissen rein gar nichts über das neue Spiel, doch keiner erwartet weniger als alles. Dieses Jahr noch? Mit ziemlicher Sicherheit nicht, Platz für Cyberpunk muss trotzdem immer sein. Und wen kümmert es, solange das Endergebnis dem entspricht, was CD Projekt nach The Witcher zweifellos zu leisten imstande ist.
Was mir als Erstes zu The Surge einfällt: In einem Jahr ohne Soulsborne-Infusion drückt man sich eben, was dieser am nächsten kommt (besonders da Nioh schon, oder eher endlich, im Februar ansteht). Mit Lords of the Fallen hat Deck 13 die Gesellenprüfung außerhalb der Adventure-Kommission geschafft, ohne durch übermäßigen Einfallsreichtum aufzufallen. The Surge möchte das ändern. In einem Sci-Fi-Szenario kämpft ihr gegen Roboter oder etwas, das aussieht wie Menschen in Mech-Anzügen. Ihr achtet auf die Ausdauer beim Schlagen, den Abstand zum Gegner, gebt euch mit weniger zufrieden, als zu viel auf einmal zu wollen. Klingt bekannt und interessant? Auf jeden Fall.
Auch die japanische RPG-Ecke hat einiges zu feiern, darunter den überfälligen Release von Persona 5. Im Herkunftsland schon seit Spätsommer vergangenen Jahres zu haben, kommt die Mischung aus Rundenkampf und sozialer Alltagssimulation am 4. April in europäische Regale. Außerdem und ohne konkreten Termin lauern Dragon Quest 11, mit Glück das Final-Fantasy-7-Remake und Ni No Kuni 2. Letzteres wird sicher so süß und malerisch, wie ich den Vorgänger in Erinnerung habe. Ach, und da ist Tales of Berseria, sogar schon in zwei Wochen am 27. Januar. Ich habe ehrlich gesagt noch nie davon gehört, aber das muss bei der Tales-of-Serie nichts heißen. Wie viele Teile hat die inzwischen? Fragt nicht mich, hier ist einer mehr.
Noch nicht wirklich auf dem Radar von irgendwem befindet sich Dauntless, was aber nicht verwundern sollte. Das Koop-Action-Rollenspiel von Ex-Bioware-Leuten wurde erst im Dezember 2016 angekündigt und soll Ende 2017 als Free-to-Play-Version für PC erscheinen. Mehr als den nett aussehenden Trailer gibt es im Moment nicht.
Und mehr brauchen wir mit so einer Vorauswahl zunächst auch nicht. Das ist alles noch schön weit weg. Egal, ob ihr auf die Expedition-Erweiterung für das fantastische, im Untergrund verhaftete Underrail wartet oder die 8-Bit-Ultima-Hommage Unknown Realm: The Siege Perilous ins Auge gefasst habt. Egal, was "eure" RPGs sind, die schnellen voller Action oder die langsamen voller Gequatsche, die mit süßen Reitdrachen, dicken Schlachtrössern oder abgetrennten Köpfen. Es gibt keinen Grund, nicht wenigstens milde vorfreudig ins Rollenspieljahr 2017 zu starten.