Ron Gilbert sagt: Die Spieler haben Monkey Island zu etwas gemacht, das es gar nicht ist.
Und warum er das bewusst ignoriert - das große Interview, Teil 1.
„Ich glaube, nach Monkey [Island] 2 hatte niemand von uns gedacht, dass jemals wieder irgendjemand ein Monkey-Island-Spiel machen würde“, sagt Dave Grossman, der an zahlreichen Lucasfilm-Games- sowie Telltale-Titeln gearbeitet hat, darunter The Secret of Monkey Island, Day of the Tentacle und The Walking Dead. Gemeinsam mit ihm sitzen mir Rex Crowle und Ron Gilbert gegenüber – wenn auch nur im Bild einer Video-Übertragung, über die ich im Rahmen der gamescom mit den Entwicklern sprechen konnte.
Schade, dass ich weder dem Kult-Entwickler noch seinen Kollegen die Hand geben kann. Aber natürlich freue ich mich, dass es dieses Interview überhaupt gibt! Das ist wohl einer der Pluspunkte, die uns das VirusTM beschert hat. Und das Trio hat eine Menge zu erzählen. Als kleiner Ausblick sei an dieser Stelle nur erwähnt, dass Rex Crowle derjenige ist, der als Art Director für den heiß diskutierten Zeichenstil verantwortlich ist...
Doch warum gibt es Return to Monkey Island eigentlich? Weshalb haben sich Ron Gilbert und Dave Grossman gerade jetzt zusammengefunden, um eine Fortsetzung zu machen, an die in dieser Besetzung vermutlich kaum noch ein Fan geglaubt hat? Das ist meine erste Frage und als Gilbert zu erzählen beginnt, ahne ich bereits, dass dies trotz der Distanz zu den Entwicklern und des lauten Messetrubels um mich herum ein sehr angenehmer Termin sein wird. Er hat es nämlich überhaupt nicht eilig. Entspannt in seinen Stuhl gelehnt spricht er mit einer ansteckenden Gemütlichkeit, als würde er sich an einen erholsamen Urlaubstag erinnern.
Warum also gerade jetzt? Weil Gilbert schon lange wieder zu Guybrush und LeChuck zurückkehren und jenen „WTF-Moment“ auflösen wollte, mit dem er Teil zwei einst enden ließ. Sie hatten „noch etwas zu erledigen“, wie Grossman es nennt, und eine Sache war deshalb von Beginn an klar: Return to Monkey Island würde genau dort beginnen, wo Monkey Island 2 aufgehört hatte. Deshalb handelt es sich nicht um eine Fortsetzung der späteren Episoden. Es musste endlich Klarheit her, was auf dem Rummelplatz genau geschehen war!
Bleibt die Frage, warum es diese Aufklärung erst jetzt gibt und einen entscheidenden Anteil daran hat die Tatsache, dass Gilbert nicht alleine über das Schicksal der Serie entscheiden konnte. „Mit Disney und Lucasfilm [...], das wird schnell kompliziert“, umschreibt er die Situation. Er habe immer wieder mal eine Möglichkeit gesucht, aber erst der jetzige Publisher Devolver ermöglichte den entscheidenden Schritt. „Sie hatten Beziehungen zu Disney und als wir anfingen uns zu unterhalten, dachte ich: ‚OK, das könnte tatsächlich funktionieren‘“, erinnert er sich und fügt hinzu, dass es sich um ein rein geschäftliches Problem gehandelt habe. An Ideen beziehungsweise Kreativität habe es nicht gemangelt.
Wobei er gleichzeitig klarmacht, dass er direkt im Anschluss an den Vorgänger durchaus mit seinem Werk abgeschlossen hatte. Zum einen wollte er sich damals beruflich weiterentwickeln, weshalb er Lucasfilm Games verließ, um seine eigene Firma Cavedog Entertainment (Total Annihilation) zu gründen. Zum anderen weist er darauf hin, dass Monkey Island damals vor allem nicht der Kulthit war, zu dem es sich im Laufe der Zeit erst entwickeln würde. Er schüttelt den Kopf und hebt die Schultern, wenn er meint: „Es war einfach nur ein Spiel.“
„Es ist nicht so, dass wir diesen überwältigenden Millionenseller erschaffen hatten und dann einfach gegangen sind“, so Gilbert. Einige hätten die Serie natürlich gemocht und sie habe sich „okay“ verkauft. Doch wie Grossman an dieser Stelle eben unterstreicht, hat keiner der Entwickler damals gedacht, dass es jemals damit weitergehen würde.
Hoffnung und Wirklichkeit
Heute ist das freilich anders. Heute sind Viele mit Möchtegern-Pirat Guybrush Threepwood und Bösewicht LeChuck aufgewachsen, haben gute Erinnerungen an ihre Abenteuer und längst auch ihren Nachwuchs damit bekanntgemacht – was die Entwicklung eines Nachfolgers in den Händen dieses Teams vor eine knifflige Herausforderung stellt. Immerhin müssen Gilbert, Grossman & Co. jetzt irgendwie dieser gewaltigen Erwartungshaltung gerecht werden.
Oder auch nicht. Laut Gilbert haben viele Fans die Serie nämlich zu etwas gemacht, dass sie gar nicht ist und dem kein Nachfolger dieser Welt gerecht werden kann. Grossman fügt hinzu: „Man hat es nicht nur mit den Erinnerungen der Leute zu tun, sondern mit Erinnerungen, die durch unrealistische Nostalgie aufgeblasen wurden. Es ist unmöglich diese Perfektion zu erreichen.“
Die Lösung? Laut Grossman ist es „am besten, sich darüber keine Gedanken zu machen“ und auch Gilbert zufolge gibt es gar keine andere Möglichkeit. Denn würde man sich hauptsächlich damit beschäftigen die Fans zufriedenzustellen, käme ein „grundlegend uninteressantes Spiel“ dabei heraus. Also haben die Kreativköpfe entschieden, sich über mögliche Erwartungen nicht den Kopf zu zerbrechen und auch keine Marktforschung zu betreiben, sondern genau wie damals, als Monkey Island noch kein Phänomen der Popkultur war, „lediglich ein wirklich gutes, spaßiges Piraten-Adventure namens Monkey Island“ zu machen.
Vermutlich haben aber weder Gilbert noch Grossman oder Art Director Rex Crowle mit den Wutbürgern gerechnet, die nach der Enthüllung der ersten Bilder über den neuen Zeichenstil schimpfen würden – auf eine Art und Weise, die weit über das Äußern konstruktiver Kritik hinausging. Dabei trudelten auch früher schon verärgerte Briefe bei Lucasfilm Games sowie anderen Studios ein, wenn auch erst Monate nach der Veröffentlichung eines Spiels. Und genau deshalb sei die Intensität heute deutlich höher: Erboste Fans können viel schneller reagieren und hätten manchmal sogar regelrecht Spaß am ungehobelten Aufschrei.
Das sei unvermeidbar und man müsse es gelassen hinnehmen, meint Gilbert: „An einem gewissen Punkt sagt man: ‚Wisst ihr, wir haben ein Spiel gemacht, das wir wirklich lieben. Wir lieben den Stil, wir lieben die Benutzeroberfläche, wir lieben die Rätsel‘ – und arbeitet in Ruhe weiter."
Wobei sich Crowle zu Beginn der Entwicklung nicht einmal Sorgen um das Artdesign gemacht hatte. Jeder Teil der Serie hätte schließlich komplett anders ausgesehen. „Würde es diesen einen Stil geben und wäre Ron dann auf mich zugekommen, um zu fragen: ‚Willst du vielleicht in diese Richtung gehen?‘, dann hätte ich wohl gesagt, dass das etwas zu weit geht.“ So aber ließ er verschiedene Elemente aus allen Vorgängern in das aktuelle Design einfließen – die Art und Weise, mit der die Hintergründe in Monkey Island 2 gezeichnet wurden, sei zum Beispiel nahezu identisch mit dem, wie er und seine Kollegen es heute tun. „Der Unterschied ist nur, dass wir sie anschließend nicht einscannen und herunterskalieren [...], sondern sie direkt ins Bild zeichnen“.
Abgesehen davon ist Crowle, der zuvor übrigens bei Media Molecule an LittleBigPlanet und Tearaway Unfolded sowie für Tim Schafer an Psychonauts 2 beteiligt war, ohnehin davon überzeugt, dass das Aussehen keine so große Rolle spielt, wie es momentan vielleicht den Anschein hat. Er glaubt jedenfalls daran, dass man Return to Monkey Island erst einmal spielen müsse und dann ganz von selbst und wie früher in dessen Welt gezogen wird, ein Gefühl für die Charaktere bekommt und mit Spannung das Abenteuer verfolgt, das sie erleben.
Ich will noch wissen, aus welchem Grund sich Crowle für genau dieses Artdesign entschieden hat, was er zwar nicht direkt beantwortet, aber die endgültige Form wurde wohl von zwei Tatsachen wesentlich beeinflusst. Da ist zum einen die Anekdote, dass Gilbert über einen längeren Zeitraum eine Doodle-Zeichnung als Desktop-Hintergrund verwendete, die Crowle vor mehr als zehn Jahren online gestellt hatte. Als es darum ging, einen Stil für das aktuelle Spiel zu finden, hätten er und Gilbert sich deshalb unterhalten und anschließend damit begonnen, die damalige Idee weiterzuentwickeln.
Zum anderen mussten sie natürlich überlegen, was sowohl auf einem großen Bildschirm gut aussieht, aber auch auf dem Handheld-Display der Switch erkennbar ist. Gleichzeitig sollen die Figuren Emotionen vermitteln, also ausdrucksstark animiert sein, „ohne dass wir uns vollständig in langwieriger Detailarbeit wie dem Erstellen der Krähenfüße neben ihren Augen oder etwas Ähnlichem verlieren.“ Ein wichtiger Punkt sei außerdem, das Guybrush & Co. harmonisch in die Kulissen passen, ohne in ihnen unterzugehen.
„Zudem war es wirklich interessant von Ron und Dave zu lernen, wie viele Details man in diese Hintergründe stecken sollte.“ Als Künstler sei er immer dazu geneigt, etliche Feinheiten hinzuzufügen – was hier allerdings dazu führen könne, dass Spieler einen so gestalteten Raum nie verlassen würden, weil sie sämtliche bedeutsam aussehenden Pixel nach interaktiven Möglichkeiten abgrasen. In einem klassischen Point-and-Click-Adventure ist weniger also offenbar mehr.
Gab es eigentlich Überlegungen 3D-Grafik statt zweidimensionaler Bilder zu verwenden? Interessanterweise lacht Crowle zunächst als Antwort auf die Frage, bevor Gilbert übernimmt und meint, dass er darüber nachgedacht, sich letztlich aber dagegen entschieden hat, weil man mit dem Einsatz stark stilisierter dreidimensionaler Charaktere schnell im Uncanny Valley lande. Er würde das trotzdem gerne mal probieren! Nur gibt er eben zu bedenken: „Ihr denkt, der aktuelle Stil ist kontrovers? Dann wartet mal ab, bis jemand eine 3D-Version von Monkey Island macht.“
An dieser Stelle endet der erste Teil unseres Interviews, in dem es vor allem um das Erbe des großen Namens geht. Weiter geht es im zweiten Teil, in dem Ron Gilbert, Dave Grossman und Rex Crowle unter anderem auf die neue Benutzeroberfläche eingehen, einen interessanten Teil des Entwicklungsvorgangs beschreiben und Gilbert erklärt, worum es ihm eigentlich geht, wenn er ein Adventure wie Return to Monkey Island macht.