Ron Gilbert über Monkey Island: Es ist kein Gameplay, wenn man auf jedes Verb klicken muss
Deshalb denkt Guybrush jetzt mit - das große Interview, Teil 2.
Obwohl ich in einer relativ ruhigen Ecke des Business Center vor dem Bildschirm sitze, über den das Online-Meeting mit Ron Gilbert, Ko-Autor Dave Grossman und Art Director Rex Crowle stattfindet, ist auch hier der gamescom-Trubel unüberhörbar – was zum Glück aber niemanden der Beteiligten davon abhält, mit viel Ruhe über Return to Monkey Island zu sprechen, das in wenigen Tagen veröffentlicht wird und das schon kurz nach seiner Ankündigung eine Kontroverse überstehen musste. Mehr dazu lest ihr im ersten Teil unseres Interviews.
Im zweiten Teil soll es eher um das eigentliche Spiel und seine Entstehung gehen, denn auch dazu habe ich die drei Entwickler befragt. Immerhin erinnert sich Grossman, dass er wie in früheren Jahren gemeinsam mit Gilbert ein Spiel erschaffen wollte, das allerdings nicht wie Thimbleweed Park an vergangene Zeiten erinnern, sondern moderner sein soll. Was genau heißt das? Inwiefern unterscheidet sich Return zu Monkey Island von seinen Vorgängern und was hat es zum Beispiel mit der neuen Benutzerführung auf sich, die in Beschreibungen erwähnt, aber zum Zeitpunkt des Interviews noch nicht ausführlich vorgestellt wurde?
Nun, zunächst einmal haben die Entwickler das System mit den Verben selbstverständlich nicht gedankenlos vom Tisch gewischt. Für Alle, die damals nicht dabei waren, vielleicht die Erklärung, dass man in Monkey Island und seinem Nachfolger zunächst eins von zahlreichen Verben anklicken musste, um das ausgewählte Objekt auf die gewünschte Art zu benutzen – ein System, das im dritten Teil auf drei Interaktionsmöglichkeiten reduziert wurde, nämlich „Benutzen“, „Reden“ und „Ansehen“.
Doch weder das Eine noch das Andere schien Gilbert inzwischen zeitgemäß. Unter anderem möchte er nämlich die ebenso zeitaufwändige wie inhaltslose Beschäftigungsmaßnahme loswerden, bei der Spielerinnern oder Spieler gedankenlos alle Verben anklicken, um durch profane Fleißarbeit irgendwann die vom Rätsel geforderte Aktion auszulösen. „Für uns es kein Gameplay, wenn man auf jedes Verb und jedes Objekt klicken muss, um herauszufinden, was davon funktioniert“, erklärt er seine Abkehr von den Verben.
Das kontextsensitive „Benutzen“ soll es also sein – welches in seiner ursprünglichen Form jedoch nicht besonders aussagekräftig sei. Und so sieht man jetzt immer beschrieben, welche Aktion Guybrush mit einem ausgewählten Objekt auszuführen versucht. Dabei handele es sich allerdings nicht einfach um alternative Verben, sondern um die Gedanken, die Guybrush beim Ansehen des Objekts durch den Kopf gehen. Als simples Beispiel nennt Gilbert die Überlegung: ‚Ganz schön dunkel. Das hier könnte Abhilfe schaffen‘, wenn es darum geht Licht anzumachen. Auf diese Weise will er der Geschichte und ihrem Protagonisten eine zusätzliche Ebene verleihen und natürlich werde sich auch der eine oder andere Gag in den Gedankenblasen verstecken.
Nun hat sich in den vergangenen Jahren im Bereich der Adventures ohnehin einiges verändert; Grossman selbst war bei Telltale unter anderem an The Walking Dead beteiligt, das das Rätseln fast komplett über Bord geworfen und sich auf Dialoge und die Erzählung konzentriert hat. Ist dieses Fokussieren auf die Geschichte für die klassischen Adventure-Macher interessant oder fühlen sie sich mit den bekannten Kopfnüssen wohler?
Tatsächlich stand die Geschichte für Ron Gilbert stets im Zentrum seiner Spiele. Kein Wunder: Schwebte ihm als Kind doch eine Laufbahn als Regisseur vor. Als er irgendwann Computer und Videospiele entdeckte, war es deshalb auch deren Fähigkeit Geschichten zu erzählen, die ihn anzog. „Mein Wunsch Filme zu machen, der Aspekt des Geschichtenerzählens, das hat sich quasi auf Spiele übertragen. Die Rätsel sind sehr wichtig, sie sind der spielerische Kern, aber die Geschichte hatte für mich immer die größte Bedeutung“ erinnert er sich, bevor Grossman das Bild ihres Konzepts vervollständigt: „Die Rätsel sehe ich als strukturierendes Element an. Sie sind das Werkzeug, mit dem Spieler die Handlung voranbringen und die Kontrolle darüber haben, was geschieht.“
Vom Funken zur Idee
Dabei wussten die beiden im Detail noch gar nicht, in welche Richtung sie die Erzählung und das Spielerische entwickeln wollten, als sie das Projekt in Angriff nahmen. Sie hatten zwar freie Hand, aber zunächst keinen Plan, wie ein neues Monkey Island aussehen sollte. Fest stand nur, dass sie am Ende von Monkey Island 2 ansetzen würden.
Es gab also keine zentrale Idee, auf der die Fortsetzung aufbaut? Gilbert meint, dass das so nicht funktioniert. Es sei nicht so, dass man ein Spiel aus einer Idee heraus entwickeln würde. „Ideen tauchen nicht in ihrer endgültigen Form auf. Es ist nicht so, dass man plötzlich feststellt: ‚Oh, ich habe eine Idee für ein Spiel‘, und dann besteht die Arbeit daraus diese Idee auszubauen. Die Arbeit besteht vielmehr daraus, diese Idee erst zu entwickeln.“ Dieses schrittweise Herausschälen sei zudem der Grund dafür, dass sich auch die Geschichte erst im Laufe dieses Vorgangs quasi selbst erzählt und nicht am Anfang eines Spiels oder Drehbuchs stehen würde.
Es wäre übrigens auch gar nicht möglich gewesen, Return to Monkey Island um Einfälle herum zu strukturieren, die Gilbert oder jemand anderes in den letzten 30 Jahren gekommen sind. Schließlich hatte der Serienvater unter anderem mal vor, nach einem Geisterpiraten LeChuck und einem Zombiepiraten LeChuck auch einen Dämonenpiraten LeChuck ins Spiel zu bringen. Nur ist das in einem der Nachfolger freilich schon geschehen. Außerdem habe er Guybrush in die Hölle schicken wollen, aber auch das war inzwischen längst passiert.
Als die beiden so über die Entstehung sinnieren, frage ich sie schließlich noch, ob es eigentlich einen Teil der Entwicklung gibt, an dem sie am liebsten gearbeitet haben, woraufhin Grossman beschreibt, wie sie zunächst die grundlegenden Themen zusammengetragen, den Einstieg strukturiert, die grobe Geschichte in Kapitel unterteilt und anschließend Puzzles eingefügt haben. „Und dann gibt es eine Phase, in der wir das gesamte Spiel quasi aus Skizzen erstellen, sodass wir Hand anlegen und es spielen können.“ Mithilfe von Platzhaltern – selbst die Texte beschreiben dort lediglich, dass Guybrush sauer ist oder einen Scherz macht – käme das Spiel auf diese Art zum ersten Mal zusammen, was er den Höhepunkt der Entwicklung nennt.
Auch Art Director Rex Crowle fand die ersten Monate am spannendsten, zumal die Arbeit an Return to Monkey Island eine Abkehr von seinen früheren Projekten darstellt. Denn während es sich dabei meist um actionorientierte Abenteuer gehandelt habe, die relativ spät als spielbares Ganzes zusammenkamen, hätte er hier schon früh alles wie eine Art Text-Adventure erleben können, bei dem man sich durch die Datenbank klickt und über einen Hyperlink in den nächsten Raum gelangt. „Daraus dann im Handumdrehen Skizzen zu erstellen und sie bereits früh ins Spiel einzubinden, um es zu spielen […], ist eine sehr angenehme Art ein Spiel zu entwickeln.“
So könne man größere Teile eines Projekts erstellen und sie schmerzfrei wieder herauszuwerfen, falls sie zum Beispiel das Tempo negativ beeinflussen oder man die dort vorgestellten Schauplätze oder Charaktere nicht mag, ergänzt Gilbert schließlich. „Man wirft es einfach raus, weil man noch nicht viel Arbeit hineingesteckt hat.“ Zu Zeiten des ersten Monkey Island fiel das nämlich noch bedeutend schwerer: „Steve Purcell oder Mark Ferrari haben unheimlich viel Zeit damit verbracht Hintergründe zu zeichnen. Und wenn das Spiel aus irgendeinem Grund nicht funktioniert hat, tat es wirklich weh, sie rauszunehmen.“ Jetzt seien die Charaktere in der von Grossman erwähnten Testphase noch nicht einmal animiert – dafür würde man aber schon früh einen Eindruck davon erhalten, wie es sich anfühlt das entstehende Spiel zu spielen, und könne es entsprechend anpassen.
Dauerbrenner oder Einzelstint?
Als sich meine Zeit mit Gilbert, Grossman und Crowle langsam dem Ende zuneigt, interessiert mich schließlich noch ein Ausblick in die Zukunft: Wird Return denn nun ihr letztes Monkey Island sein oder können sie sich vorstellen an weiteren Episoden zu arbeiten, falls diese erfolgreich und die Entwickler damit zufrieden sind?
„Ich glaube nicht, dass es am Erfolg liegen wird. Ich denke es wird eher damit zu tun haben, ob Dave und ich noch etwas zu sagen haben. Für mich ist es hauptsächlich eine kreative Frage: Ist die Entwicklung eines [neuen Spiels] auf kreativer Ebene interessant?“ Und es komme noch ein ganz anderer Aspekt hinzu: „Nach jedem Spiel, das ich gemacht habe, war ich erst mal ausgebrannt.“ Er brauche deshalb Zeit, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen und in Ruhe darüber nachzudenken.“ Mit anderen Worten: Er könne die Frage im Moment gar nicht beantworten.
Und so ist es also ein bisschen wie nach Monkey Island 2, als Gilbert und Grossman nicht gleich im Anschluss schon Pläne für einen Nachfolger geschmiedet hatten, sondern erst einmal ein wenig Zeit ins Land ziehen musste, bevor sie dafür bereit waren. Die sei ihnen auf jeden Fall gegönnt! Sollte es ihnen allerdings ein weiteres Mal in den Fingern jucken, dauert es diesmal ja vielleicht keine 30 Jahre, bevor sie ihren Guybrush erneut auf die Piste schicken dürfen.