Ruined King: Der erste interaktive Spaziergang durch Runeterra, mit vorgegebener Richtung und eigenem Weg
Eine League-of-Legends-Geschichte zum anfassen und selber spielen.
Endlich. Endlich gibt es das Rollenspiel zu League of Legends. Was habe ich gewartet, um mal selbst einen Fuß auf Runeterra zu setzen - so ganz ohne Kartenränder oder Schachbretter, die eine atmosphärische Erfahrung doch eher in Grenzen halten. Für richtiges Storytelling hatte LoL-Entwickler Riot Games bisher nur begrenzten Platz auf den Lore-Seiten der Champions oder versuchte den Spielern ihre Welt in kleinen Aktionen im Launcher näherzubringen, bei denen diese erfahrungsgemäß eher schlecht als recht mitmachten. Diesen Test schreibe ich also aus Sicht einer League-of-Legends-Spielerin, die sich über ihre neue kleine Erkundungstour durch Runeterra freut und weniger aus dem Blickwinkel einer Baldurs Gate suchtenden Hardcore-RPG-Spielerin.
Tolles Storytelling, das optisch umhaut
Jetzt gab es gleich mehrere Knaller. Neben Arcane, der Netflix-Serie, die sich mit vielen Geschichten in Piltover und Zhaun beschäftigt, steigen wir in Ruined King: A League of Legends Story in die düsteren Gegenden von Bilgewasser und den Schatteninseln ein. Das Spiel beginnt mit der Rahmenhandlung von Viego, einem König, der seine Frau und dazu seinen Verstand verlor. Danach schlüpfen wir in die Haut der Piratin Miss Fortune und tauchen in ihre ganz persönliche Story um Rache und Macht. Nach und nach lernen wir die anderen Mitglieder unserer sechsköpfigen Truppe kennen. Neben der rothaarigen Piratenkönigin schließen sich Priesterin Illaoi, der muskelbepackte Braum, der Schwertkämpfer Yasuo, Assassine Pyke und die Fuchsmagierin Ahri zusammen, um gemeinsam, aber auch für ihre eigenen Ziele gegen denselben Feind zu kämpfen. Andere Champions aus dem MOBA trefft ihr ebenfalls im Laufe des Spiels.
Überraschend tiefgründige Geschichten verpackt in einem zeitlosen und skizzenartigen Artstyle, der direkt an Arcane erinnert, haben mich mitgerissen. Im Gegensatz zu einigen anderen Rollenspielen, gibt es hier wirklich viele vom In-Game-Stil losgelöste Zeichentrick-Sequenzen und kleine Gespräche zwischen Pulverfässern und Goldtruhen. Trotz einiger Bewegungsfreiheiten werdet ihr recht strikt am roten Story-Faden entlang geleitet. Für mich war das sehr motivierend in kurzen und regelmäßigen Abständen mit einer Weiterführung der Geschichte belohnt zu werden.
Um euch auf den separaten kleinen Karten der einzelnen Gebiete zu bewegen, könnt ihr Tastatur, Maus und Controller nutzen. Immer nur kleine Bereiche eines Gebietes, wie etwa der Markt, ein Haus von innen oder eine Angelstelle werden geladen - die Ladezeiten sind glücklicherweise recht human. Wer die Maus für die Bewegung benutzt, dem fällt vielleicht ein kleines Easter-Egg zu League of Legends auf, denn der Cursor sieht genau wie im MOBA aus und löst beim LoL-Spieler ein heimisches Gefühl aus. Wisst ihr welches Konzept ebenfalls aus League of Legends übernommen und in Ruined King untergebracht wurde? Die drei Lanes, die wir auf der Karte der Kluft der Beschwörer finden. Kein Witz.
Man muss das Rad nicht immer neu erfinden
Diese findet ihr im Kampfsystem wieder. Mit bis zu drei Champions tretet ihr in rundenbasierten Begegnungen gegen unterschiedlichste Feinde an. Jeder eurer Kämpfer hat ein individuelles Skill-Set, das Parallelen zu den Fähigkeiten in LoL aufweist. Insgesamt könnt ihr für Braum, Ahri und Co. bis zu 15 aktive und passive Skills freischalten. Während eines Kampfes seht ihr eine Aktionsleiste mit der Reihenfolge aller noch eintreffenden Fähigkeiten. Seid ihr an der Reihe, könnt ihr euch aussuchen, in welcher der drei Lanes ihr den Zauber spielen wollt. Neben einer ausgewogenen normalen Leiste gibt es die Schadenslane, bei der eure Fähigkeit mehr Schaden anrichtet, dafür aber später im Kampfgeschehen ausgelöst wird und die Tempolane, bei der ihr etwas Schaden opfert, um den Zauber möglichst schnell auszuspielen - kein neues Konzept, aber äußerst wirkungsvoll in diesem Game. Da die Bildchen in der Anzeige etwas klein sind, ist es manchmal schwer, die Feinde darin auseinanderzuhalten. Abseits davon sehen die Kämpfe mit ihren schicken Animationen echt umwerfend aus.
Einige Gegner interagieren auch mit den Lanes und können beispielsweise zu bestimmten Zeitpunkten im Kampf nur Schaden erleiden, wenn ihr eure Spells in einer bestimmten Lane platziert. Besonders im späteren Spielverlauf werdet ihr merken, dass ihr häufiger auf passive Fähigkeiten der Gegner achten müsst, da ihr sonst gnadenlos krepiert. Apropos schwer: Ihr könnt einen von vier Schwierigkeitsgraden auswählen - ziemlich praktisch, wenn man auf Herausforderungen steht oder einfach gemütlich die Story genießen will. Das macht etwa einen Unterschied, wenn ihr einen Kampf verliert. Für gewöhnlich startet ihr am letzten Speicherpunkt und bekommt natürlich keine Belohnungen. Im Story-Modus tut das Spiel nach einer Niederlage einfach so, als wäre nichts passiert und schiebt euch unauffällig pfeifend Gold, Ressourcen und Erfahrungspunkte zu. Ihr könnt aber auch den Tod wählen.
Viel Flexibilität auf großzügiger Spieldauer
Bessere Ausrüstung, die teils auf den Items des MOBAs basiert, bekommt ihr gegen Gold beim Händler oder ihr könnt euer bestehendes Inventar verzaubern. Auch eure Runen und Fähigkeiten könnt ihr mit steigendem Level immer weiter aufbessern und ohne jegliche Kosten einfach hin und herschieben, wie es euch gefällt. So könnt ihr viele verschiedene Builds und Kompositionen ausprobieren, denn die Effekte einiger Champions harmonieren besser miteinander als andere. Eure Truppe könnt ihr allerdings nur an Rastplätzen ändern. Etwas ärgerlich, dass einem hier die Flexibilität fehlt. Alles Menüs sind leicht verständlich und werden beim ersten Öffnen sogar noch einmal erklärt. Oh, und euer Inventar gleicht dem Rucksack von Hermine aus Harry Potter - in meinem knapp 15 Stunden Spielzeit wurde ich nicht einmal darauf hingewiesen, dass ich langsam an meine Kapazitätsgrenzen stoße.
Im Storymodus seid ihr ungefähr nach 25 Stunden mit der Geschichte fertig, wenn ihr einfach jeden Kampf gewinnt oder überspringt - Tendenz eher steigend, immerhin müssen kleine Rätsel gelöst und das Angeln zumindest einmal ausprobiert werden (ich war davon weniger begeistert, da das Angelsystem nicht sonderlich intuitiv ist). Außerdem könnt ihr euch freiwillig um Kopfgelder kümmern und einen ordentlichen Haufen Zeit darein stecken, die vielen optionalen Kommentare der Seefahrer von Bilgewasser anzuhören. Und das für 30 Euro ist wirklich ein fairer Deal, zumal sich das RPG wirklich sehen lassen kann. Oh, und die gute deutsche Synchronisation möchte ich nicht unerwähnt lassen.
Fazit
Für mich hat Ruined King den Zauber von League of Legends ein wenig wiederbelebt. Dieses Gefühl, wenn man die Champions das erste Mal sieht und mehr über sie erfahren möchte. Für League-Veteranen ist das Rollenspiel die erste Möglichkeit selbst in die Geschichte einzusteigen und diese nicht nur durch Text und Bild zu konsumieren. Mit mehreren Profilen und Schwierigkeitsgraden bietet es trotz der recht geradlinigen Story viele kleine Freiheiten und individuelle Anpassungsmöglichkeiten. Die Kämpfe fühlen sich sauber und ausgewogen an, die Animationen sind zum Niederknien schön. Auch für nicht LoL-Spieler gibt der Titel einiges her - ebenso wie es Arcane geschafft hat viele Menschen zu begeistern, die vorher nichts mit dem Universum am Hut hatten.
Außer beim Angeln hatte ich das Gefühl gut durch das Spiel geführt zu werden. Ein kleiner Minuspunkt ist das lange Warten, bevor man endlich seine Gruppe neu aufstellen kann. Um neue Kompositionen auszuprobieren und von der Flexibilität profitieren zu können, wäre dieses kleine Feature doch wünschenswert gewesen. Insgesamt aber ein wirklich solides Rollenspiel, an dem man lange Freude haben kann.