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Ruiner - Test

Auch Cyberware hat mal Startprobleme

Hotline Miami trifft auf 3D-Cyberpunk und braucht nur ein halbes Dutzend Stunden, um zu sich zu einem guten Action-Massaker zu entwickeln.

Man muss Devolver dafür lieben, dass sie Spiele wie Ruiner ermöglichen, aber die Liebe zu diesen Spielen ist, was manchmal schwerfällt. Ruiner hat alles: Twinstick-Action, Cyberpunk wie aus Shadowrun, einen elektronischen Hämmer-Soundtrack und Tonnen an Waffen und Fertigkeiten. Was kann schon schiefgehen?

Nun, nichts so richtig und doch für lange Zeit alles. Ihr habt hier ein etwa drei Stunden langes Spiel, dass von euch erwartet, zehn Stunden mit ihm zu verbringen, weil es euch gerne umbringt und alles drei bis fünf Mal spielen lässt. Das kann motivierend und fordernd sein und sogar anspornend, siehe ungefähr jedes gute Shoot 'em up der 90er und auch "moderne" Dinge wie Super Meatboy oder Hotline Miami. Dort war aber immer klar, warum ihr gestorben seid, ihr saht, woher die Kugel und der Tod kamen und werdet motiviert zurück in das Massaker geworfen.

Feuer und Grau mit etwas Neon, die Welt ist sehr generisch dystopisch.

Hier seid ihr vor allem in den ersten Stunden schlecht gerüstet von einem halben Dutzend Typen mit unterschiedlichen Waffen umschwärmt, manche landen mit ihren schweren Keulen One-Hit-Kills, andere schaffen das mit einer Shotgun über den halben Screen und bereits Level drei von 14 war der Moment, wo ich einfach keine Lust mehr hatte und unter allen anderen Umständen mich über meinen Kauf geärgert und zu einem anderen Spiel gewechselt wäre. Hotline Miami zum Beispiel, ein weit besser designter Titel mit weit besserer Musik - wobei letzteres absolut Geschmackssache sein dürfte, aber obwohl hier ein Indie-Elektro-Star-Cast aufgefahren wurde, es klingt für mich etwas zu einmütig, Dunkel-Technoid. Aber jedem seins, das ist halt nicht meins.

Aber das ist das Leben des Kritikers, man beißt sich halt durch und siehe da, Ruiner wurde immer besser. Ihr bekommt Schilde, Minen, bessere Schussfrequenzen, mehr Munition in einem Magazin und vieles, vieles andere. Das sogar bis zu einem gewissen Grad gleichzeitig, denn ihr dürft eure Skill-Punkte immer hin- und her schubsen, um auf neue Feindgruppen und vor allem die extrem haltbaren Bosse besser oder überhaupt reagieren zu können. Das große Problem dabei ist, dass die Wechsel keinen Spaß machen, zum einen weil ich keine Loadouts definieren kann und immer in einem mäßig übersichtlichen Menü herumturnen muss, zum anderen... Das gleiche noch mal, schlimm genug, in einem Spiel, dass sich durch Herzschlagtempo definiert. Es ist einfach nervig. Die Idee, Taktiken anpassen zu müssen, ist fast immer gut. Die, den Spieler lange und ausdauernd und zwei bis drei Mal pro Stage in ein Menü zu schicken eher mäßig.

Kurz, knackig und wegdrückbar, so lobe ich mir meine Action-Game-Zwischenszenen.

Dazu kommt der Stil, der zwar zu Recht annimmt, dass eine Zeitlupe praktisch ist, aber es dauert ewig, bis sich so langsam erschließt, wann diese einsetzt - selten, wenn ihr von drei Feinden in eine Ecke gedrängt und massakriert werdet -, wie lange sie hält und was das Spiel euch damit sagen will. Oft genug nämlich nehmt ihr eine Waffe auf, die ziemlich gut gegen einen bestimmten Gegner passt, diesen - mitunter auch schon außerhalb des sichtbaren Bereichs - aber dann zu identifizieren und anzugehen, braucht viel Routine, die ihr euch mit vielen, vielen, selten fairen Toden erarbeiten müsst. Dann nehmt ihr wieder eine andere Waffe auf oder schraubt die Kill-Kombo nach oben und es kommt keine Zeitlupe. Gut, dass diese auf Knopfdruck eines der auch schnell freischaltbaren Features ist.

Die gute Nachricht ist, dass sich all diese Mühe lohnt. Wenn ihr nämlich endlich und nach einem Dreiviertel des ersten Durchgangs hochgelevelt seid und Zugriff auf die allermeisten Fertigkeiten in brauchbaren Ausbaustufen habt, dann beginnt das Ganze, selbst auf den hohen Schwierigkeitsgraden richtig durchzustarten. Elegant huscht ihr durch den Raum, lasst die Feinde zur Abwechslung mal in eure Fallen tappen und fühlt euch gut dabei, einen extrem harten Mob dank überlegener Taktiken nach drei Anläufen dann zu schaffen. Ein Gefühl, dass ihr in den unterpowerten ersten Stunden selten hattet und immer nur dankbar wart, dass dieser Abschnitt nun hinter euch liegt und ihr euch auf die nächste Runde an Demütigungen einen Raum weiter freuen dürft.

Ich will damit nicht sagen, dass ich zu verweichlicht bin, um Ruiners Härte zu schätzen. Es waren nicht mehr als drei oder vier Anläufe selbst an schwierigen Stellen, die es brauchte, um dann doch weiterzukommen. Das ist bei gefühlt tausend Rücksetzpunkten und zwei Sekunden Ladezeit nach dem Ableben nicht zu viel. Wenn man aber das Gefühl hat, dass das Spiel seine besten Qualitäten noch nicht zeigen möchte, nur um mehr Aufleveln zu bieten, dann hat es vergessen, dass erst der Spaß und dann das Leveln kommen sollte.

Der kleine Hub-Slum sorgt für Ambiente, aber erwartet bloß nicht zu viel Story.

Habt ihr es dann weit genug geschafft, dreht sich langsam das Spielgefühl. Im Prinzip war es zuvor auch fair, aber jetzt fühlt es sich auch so an. Ihr werdet nicht viel seltener sterben, aber die Schuld nicht mehr dem Chaos geben, sondern der eigenen Unfähigkeit, dieses mit den ja vorhandenen Möglichkeiten zu managen. Oder, weil ihr zu faul wart, schon wieder im Menü die Fertigkeiten zu shuffeln. Davon aber abgesehen, an diesem Punkt hatte ich nichts mehr dagegen, dass ich immer noch oft genug sterbe, weil ich weiß, dass ich die Fehler machte, und nicht dass sich das Spiel wie ein Arsch benahm. Auch wenn es oft genug genau so mit euch redet.

Die Story ist die, dass ihr Typ X seid, der eine Maske mit einem LED-Display auf dem Kopf hat - was ist es mit Devolver und Masken? - der ferngesteuert wird. Erst von einem bösen Typen, danach von einem netten Hipster-Mädchen. Irgendwer hat euren Bruder entführt, sie ist so nett, euch in die richtige Richtung zu schicken. Und fies genug, euch mit bestenfalls drei oder vier nervigen Sprüchen nach eurem Ableben zu verspotten. Diese eher übersichtliche Story hat neben kleinen Zwischenszenen auch noch eine vage an einen Shadowrun-Slum erinnernde Neon-Dreck-Dystopie zu bieten, in der ihr herumlaufen und mit zwielichtigen Gestalten reden dürft. Nichts davon ist sonderlich substanziell oder ausgearbeitet - einige Handlungsstränge scheinen im Laufe der Entwicklung angefangen und dann in Vergessenheit geraten zu sein - aber als Abwechslung vom üblichen Kill-Rhythmus nahm ich es immer gern mit. Abrechen darf man auch alles, ihr werdet also weder länger von der Action ferngehalten als ihr möchtet, noch verpasst ihr dank der belanglosen Geschichte allzu viel. So mag ich meine Arcade-Action-Games. Und ich meine das nicht ironisch.

Wenn ihr dann das Tempo gefunden habt, kommen weder Screenshots noch Gegner mit.

Grafisch ist das, was auffällt - neben gelegentlichen kurzen Stotterern auf den Konsolen - die Tonnen an Blut, Gehirn und Eingeweiden. Ist halt ein Devolver-Spiel, die sind halt der Meinung, dass Mortal Kombat ein solider Anfang war und sie auf der Quest nach dem Ende dieser Fahnenstange sein sollten. Es ist aber steriles Unreal-3D-Blut, das schockt wohl niemanden mehr und sonst schwankt es zwischen kurzen Einsprengseln visueller Brillanz in einzelnen, kleinen Ideen und viel generischer Cyberpunk-Langeweile. Alles ganz nett, nichts was im Hirn hängenbleibt, ist der Powerbutton erst mal wieder gedrückt. Zumindest die Sound-Effekte donnern ganz nett, aber auch nicht so richtig, dass es sich nach einer guten Shotgun anfühlt, selbst wenn sie den halben Screen leerfegt. Über die Musik hatte ich mich ja schon geäußert, ist okay als Ambiente, einiges sehr spannend, aber nach den beiden Hotline Miamis bin ich hier scheinbar nicht ganz der Richtige. Macht euch selbst ein Bild, hier ist eine ganze Playlist auf Youtube.

Ruiner hat das Problem, dass es mit Hotline Miami ein Spiel gibt, das zeigt, wie das schnelle Live-Die-Repeat als Blaupause besser funktioniert und auch, dass es keinen Mangel an guten bis sehr guten Twin-Sticks gibt, die einfach fairer und ehrlicher laufen und vor allem nicht mehrere Stunden brauchen, um endlich den richtigen Gang zu finden. Davon abgesehen, ist Ruiner für das Thema brachiale Arcade-Action mit Extrablut sicher ein würdiger Auftritt, der seinen Charme und Spaß hat. Es ist ein Spiel, bei dem ich und es uns über Stunden gegenseitig gequält haben, bevor wir dann doch zueinander fanden und zu dem ich nun lieber zurückkehre, als ich es initial überhaupt für möglich gehalten habe. Wenn ihr diese überstilisierte brachiale Splatter-Action sucht, dann beißt euch durch. Schaltet frei, was Ruiner zu bieten hat und erlebt ein vielleicht nicht großartiges, aber schnelles, hartes und dann auch nicht nur faires, sondern sich auch fair anfühlendes Spiel, das euch fordert und schließlich auch mit all dem Guten belohnt, das es zu bieten hat. Hauptsächlich Blut und satte Kills dank der Skills.

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Martin Woger Avatar
Martin Woger: Chefredakteur seit 2011, Gamer seit 1984, Mensch seit 1975, mag PC-Engines und alles sonst, was nicht FIFA oder RTS heißt.

Informationen zu unserer Test-Philosophie findest du unter "So testen wir".

In diesem artikel

Ruiner

PS4, Xbox One, PC

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