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Saints Row 4 und Charakterentwicklung - Ein unerwartetes Vorbild

Was andere Spiele von den Figuren des Klamauks lernen können.

Es ist schon ein wenig paradox. Da sammelt man stundenlang Power-ups oder Erfahrungspunkte und merkt, wie die eigenen Fertigkeiten mit der Zeit steigen, doch bleibt diese Wandlung der Figur selbst meist aus. Obwohl wir immer häufiger gute Geschichten in Videospielen erleben, sieht man gute Charakterentwicklung viel zu selten. Die Kräfte der Figur steigen bis zum Ende an, eine innere Veränderung erfolgt allerdings nicht.

Denkt an die letzten Spiele zurück, die euch mit ihrer Handlung überzeugen konnten. Haben sich die Figuren wirklich gewandelt oder diverse Ansichten geändert? Sind nicht nur ihre physischen Kräfte gewachsen? Haben die Erlebnisse im Spiel realistische Spuren im Charakter hinterlassen?

Wenn ich ernsthaft darüber nachdenke, fallen mir nur wenige Titel des vergangenen Jahres ein, in denen ich eine echte Charakterentwicklung mit ansehen durfte. Darunter ein ganz besonderes Spiel, von dem ich im Voraus niemals gedacht hätte, dass es mich so stark an seine Figuren bindet: Saints Row 4.

Das wohl beste Beispiel für gute Charakterentwicklung dürfte Clementine aus The Walking Dead sein.

Von einer Serie, die vorwiegend für den lila Dildoschläger und die Dubstep-Gun bekannt ist, erwartet man nun einmal kein gutes Skript, das selbst im abgefahrensten Szenario reale Emotionen der Figuren abliefert. Immerhin sprechen wir von einem Spiel, das euch in einer von Alien erschaffenen Simulation Superkräfte verleiht und abgefahrene Wrestlingmoves an jedem unschuldigen Passanten ausüben lässt. Nein, von Saints Row 4 hatte ich mir vieles erhofft, nur keine gute Charakterentwicklung. Vor allem, da der Vorgänger viel zu beschäftigt damit war, sein Image als verrücktes Spiel zu beweisen, um die nötige Zeit in seine Figuren zu investieren.

Saints Row 4 befasst sich dagegen wesentlich intensiver mit seinen Charakteren. Beispielsweise Shaundi, deren Optik und Persönlichkeit sich stark von ihrer Darstellung in Saints Row 2 unterscheidet. Eine Tatsache, die der dritte Teil nie so richtig aufgriff und Saints Row 4 daher korrigieren möchte. In Shaundis Loyalitätsmission trefft ihr auf ihre alte Persona, Fun Shaundi, die wie eine Vereinigung der schlimmsten Hippiestereotypen wirkt. Shaundi bezeichnet ihr vergangenes Ich als faul, nutzlos und naiv, während Fun Shaundi ihre aktuelle Version als nervige Spießerin ansieht. Beide bekriegen sich über die gesamte Mission hinweg, erkennen im Kampf gegen ihren Exfreund aber kleinere Gemeinsamkeiten.

Letztendlich führt der langsame Wandel zu einer Art beidseitigem Entgegenkommen. Durch die Zusammenarbeit mit ihrem früheren Ich lernt Shaundi, ihre Vergangenheit zu akzeptieren und entdeckt darüber hinaus positive Seiten, die sie vielleicht in ihrer Wandlung zu sehr unterdrückte. Die eigentliche Aussage mag recht simpel wirken. Und vielleicht ist sie das auch. Viel wichtiger sind allerdings die Auswirkungen auf Shaundi als Figur, die sich durch die Auseinandersetzung mit ihren alten Persönlichkeitsmerkmalen einem Wachstum unterzieht. Es ist nicht nur ein Informationsfetzen, den ihr über die Figur erhaltet, sondern vielmehr eine Weiterentwicklung des Charakters.

"Von einer Serie, die vorwiegend für den lila Dildoschläger und die Dubstep-Gun bekannt ist, erwartet man nun einmal kein gutes Skript, das selbst im abgefahrensten Szenario reale Emotionen der Figuren abliefert."

Selbst ein GTA 5 schafft es nicht, zumindest eine der drei Hauptfiguren einem Wandel zu unterziehen.

Aber auch euer spielbarer Protagonist erfährt eine vergleichbare Entwicklung am eigenen Leib. Immer wieder macht er sich über sein Crewmitglied Matt Miller und dessen Obsession mit dem fiktiven Charakter Nightblade lustig. Die fiesen Witze und Sticheleien kumulieren schließlich in einer Loyalitätsmission, bei der ihr zusammen mit Matt seine Fan-Fiction zu Nightblade nachspielt. Die anfänglichen Reaktionen eures Protagonisten überraschen kaum. Zum wiederholten Male packt er die alten Sprüche aus und lacht über Matts Hobby.

Doch je mehr Matt über die Geschichte von Nightblade erzählt und der Protagonist sie innerhalb der Mission erlebt, desto größer wächst seine Neugier. Der Hauptcharakter stellt plötzlich weitere Fragen über Nightblade und akzeptiert Stück für Stück Matts Liebe zur Figur. Am Ende des Auftrages gibt er sogar zu, dass er selbst vielleicht ein Fan von Nightblade hätte sein können. Durch dieses Verständnis baut sich zwischen beiden Figuren eine engere Freundschaft auf. Der Wandel von Ansichten führte so zu einer kleinen Veränderung, die jedoch große Auswirkungen auf den Umgang der Verbündeten zeigt. Denn im Anschluss erfolgen keine blöden Anmerkungen mehr und Matt vertieft auch im weiteren Verlauf der Handlung seine Integration in die Gruppe.

Im gesamten Spiel finden sich überall solche Szenen, die nicht bloß zusätzliche Informationen über die Charaktere vermitteln, sondern stets ihre Entwicklung beeinflussen. Das mag sich alles unglaublich offensichtlich anhören, doch finden sich derartige Elemente in Spielen viel zu selten. In manchen Fällen kann es sogar unglaublich peinlich wirken, wie etwa bei der Uncharted-Serie. Dort scheint man jegliche Entwicklung bei jedem neuen Teil auf den Ursprung zurückzusetzen, was die Charaktere nicht unbedingt glaubhaft gestaltet.

Es ist also ein unheimlich wichtiger Bestandteil guter Erzählungen. Und gerade von Saints Row 4 hätte ich sie nicht erwartet. Dies sollte anderen Titeln deutlich aufzeigen, dass es keine Ausreden für platte Figuren gibt, die am Ende ihrer Reise nur ihre körperlichen Fertigkeiten verbessert haben. Denn wenn es ein Spiel mit lila Dildoschlägern und Analsonden schafft, dann sollte es auch jeder andere Titel hinbekommen.

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