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Sapienza ist der vielleicht beste Hitman-Level der Reihe

Genau das richtige Maß.

Fast zu schön, um Schädel zu spalten oder sie mit explosiven Golfbällen in die Luft zu jagen. Die seit letzter Woche erhältliche Hitman-Episode spielt im fiktiven italienischen Küstenstädtchen Sapienza und hat einen stichigen Kontrast vorzubringen. Im Freien traumhafter Sonnenschein ohne eine einzige Wolke am Himmel. Unterhalb des protzig über den Gässchen aufragenden Anwesens die Erforschung einer tödlichen Biowaffe. Dazu zwei Zielpersonen für den unters Volk gemischten, wandelbaren Attentäter und ich müsste lügen bei der Behauptung, es anders haben zu wollen. Das hier sind wirklich, wirklich böse Leute, der falschen Seite der Wissenschaft verschrieben. Grund genug, einen Weg zu finden, sie aufhalten zu wollen. Wobei "Weg" gleichbedeutend ist mit "Guck halt mal, ob du als Kiffer durchs Vordertor kommst, und verkleide dich andernfalls als Blumenbote oder mach einfach, wonach dir ist".

Die bewachten Mauern der Villa voraus, ein kleines Städtchen drumherum, so viele Möglichkeiten und Wege. Sapienza ist der Paris-Episode noch ein Stück voraus.

Wenn Entwickler Io etwas gemeistert hat, dann das Gefälle zwischen dem Schein an der Oberfläche und dem darunterliegenden Schlund. Es ist nun mal so: Während die Leute in den Straßen Sapienzas den Tag genießen, am Strand brutzeln, angeln und mit Strickjacke um die Lenden spazieren gehen, ist in und vor allem unter der Nachbarschaft der größte Abschaum zugange. Die Stimmung pendelt zwischen Urlaubsschlendrian aufblasbarer Krokodile am Wasser und widerlicher Dekadenz inmitten des Anwesens mit seinen verschwenderisch eingerichteten Zimmern. Gleichwohl bedient Io bewusst das Klischee schwatzhafter Gangster, die eigentlich "ganz nette Typen" sind und nur den falschen Job haben.

Sapienza ist eines der größten jemals von diesem Studio gestalteten Levels. Das zu infiltrierende Grundstück allein hat mehrere Gebäude mit verschiedenen Etagen, Höfen, einer Sternwarte, alles unterkellert, mit riesigem angrenzenden Garten, Golfplatz und begehbaren Turmruinen im Hintergrund. Dazu die kleinstädtischen Gassen mitsamt betretbarer Geschäfte von Friseur bis Fleischerei, eine Kirche mit Friedhof und Gewölbe, Schleichwege an den Klippen. Wer Brechstange oder Dietrich im Gepäck hat, kann sogar in Boutiquen, Weingeschäfte oder Apartments einbrechen. Und wer meine schräge Obsession für Türen teilt, darf sie oft genug ausleben.

Ich war richtig überrascht, als ich plötzlich von außerhalb den Höhlenzugang zum Labor entdeckte, ganz ohne Codekarte und Sicherheitstür in den Tiefen der Villa. Einfach nur gucken, wohin die Wege führen, was die eine oder andere Stunde in Anspruch nehmen kann. Mehr noch als in der guten eröffnenden Paris-Episode (siehe Hitman-Test) findet man sich in einem Mikrokosmos wieder, den es so mühevoll ausgestaltet in keiner Open-World zu sehen gibt. Der Schritt hin zu kleineren, aber dichter gefüllt in sich geschlossenen Abschnitten war das Beste, was Io mit dem neuen Hitman tun konnte. Mit Sapienza haben sie ihre bisher vielleicht beste Arbeit abgeliefert. Nahezu jeder Raum lässt sich von mehreren Seiten betreten, Sackgassen gibt es kaum, alles ist verbunden, "der eine" Weg existiert nicht.

Mit der Größe kommt das Ausprobieren im Hinblick auf die mörderischen Möglichkeiten und man spürt deutlich die Auslegung des Spiels darauf. Das Spielen in einem Rutsch, ohne großartig Speicherpunkte anzulegen, ist schwer, wenn man nicht wie ein lebensmüder Idiot und unter Ausnutzung der Schwächen im Figurenverhalten durchs Level torkeln will. Und warum man ein Kanonenrohr im Garten mit Kugel und Schießpulver durchladen kann, erschließt sich erst nach ausgiebigem Studium der Laufrouten der Zielpersonen. Möglichkeiten darüber hinaus hat man genug. Man kann sich sogar als Golflehrer ausgeben, eine Kirchenglocke lösen oder sich an einen abgehalfterten Privatdetektiv dranhängen. Kronleuchter und Gift-Cocktail sind wohl noch aus Gewohnheit dabei, scheint es.

Natürlich steht auch wieder eine Küchennummer mit auf der Liste. Kein Hitman, ohne nicht wenigstens einmal irgendwelches Essen zu vergiften oder einen Unfall am Herd herbeizuführen.

Dass die KI dumm ist, liest man immer wieder, wenn es um die holzschnittartig auf Vorgänge um sich herum reagierenden Wachen geht. Einzeln und für sich gesehen sind sie tölpelhaft und abgehackt, das stimmt, aber ich weiß nicht, ob man dem Spiel damit nicht unrecht tut. Es herrscht hier so manche Abstufung in Sachen Alarmierung und Aggressivität, Gegner, die fallen gelassene Waffen verwundert wegschaffen und Leichen in Säcken abtransportieren. Sie müssen auf Verkleidungen reagieren, einen Blumenboten nach gefährlichen Gegenständen abtasten, wenn er den Strauß schon selbst reinbringen will, und es gibt Hierarchiesysteme dahingehend, wer wen erkennt.

Eine Menge Zeug, dessen Zusammenspiel das scheinbare Chaos zusammenhält. Hitman wird in seiner Komplexität nie das Umgänglichste, Polierteste oder Zugänglichste sein. Aber, und das macht besonders Sapienza deutlich, eine ganz eigene Marke in Sachen Sandbox und Gestaltung virtueller Welten. Man darf gespannt sein, wie es mit den kommenden Episoden weitergeht.

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