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Sea of Thieves: Seekrank auf die beste Art

… weil ne Buddel voll Rum!

Ich hatte eigentlich nicht erwartet, dass mich Sea of Thieves allzu sehr fesseln würde. Jetzt ist es doch passiert und ich habe einige Stunden gerätselt, woran das liegen könnte. Die Antwort ist glaube ich, dass Sea of Thieves viele Mechaniken wie man sie von einem MMO kennt, gar nicht hat, sondern zum größten Teil schlichtweg auf die Interaktion der Figuren untereinander setzt. Es gibt keine Charakterentwicklung, stattdessen belohnt das Spiel seine Piraten mit Geld, für das sich Gegenstände kaufen lassen, die häufig nur eine kosmetische Auswirkung haben. Ihr wolltet schon immer mal einen vergoldeten Krug für euren Grog, mit dem ihr vor den Piratenkollegen angeben könnt? Dann fangt schon mal an zu sparen ...

Romantische Sonnenuntergänge sind bei Sea of Thieves keine Seltenheit.

Gleich vorweg, bei diesem Artikel handelt es sich nicht um den Test zu Sea of Thieves, denn das Spiel verschlingt zu viel Zeit, als dass man jetzt schon zu einem Urteil kommen könnte. Der Test kommt - aber erst Anfang nächster Woche. Es handelt sich vielmehr um den Ersteindruck von jemanden, der mit großer Skepsis an das Spiel herangegangen ist, nur um sich schließlich mit Unbekannten in einer Online-Welt mit Grog zu betrinken und dann zu versuchen, sich in einen Eimer zu übergeben, den einer der besagten Unbekannten hält. Ja, das geht in Sea of Thieves und es ist in der Spielwelt vollkommen sinnlos. Genauso sinnlos im Übrigen wie das gemeinsame Musizieren an Deck, aber auch das habe ich in beinahe jeder meiner zahllosen Partien erlebt.

Sea of Thieves fühlt sich zunächst sehr eigenwillig an. Ihr bastelt euch einen Piraten zusammen, der euch optisch gefällt und dann wirft euch das Spiel ohne jedes Tutorial in seine offene Welt. Wenn ihr Glück habt, kommt ihr mit den Kollegen auf einer Insel in einer Kneipe raus und könnt planen, was ihr tun wollt - mit etwas Pech landet ihr aber mitten in einer Mission. Auf einer Galeone, die gerade unter Beschuss steht beispielsweise oder auf einer, die gerade eine Insel anfährt, um dort einen legendären Schatz auszubuddeln. Welches Schiff ihr steuern wollt, könnt ihr allerdings immerhin wählen - entweder besagte Galeone, ein größeres Schiff, dessen Besatzung aus drei oder vier Spielern bestellt oder eine Schaluppe, die ihr auch zu zweit gut steuern könnt. Oder alleine, aber das macht in Sea of Thieves nun wirklich keinen Spaß.

Vor jeder Mission solltet ihr am Kartentisch prüfen, wohin ihr überhaupt segeln müsst.

Eure Missionen holt ihr euch in einem Hafen von einer von drei verschiedenen Fraktionen ab. Da gibt es die Goldsammler, bei denen es hauptsächlich darum geht, Goldschätze auszugraben und zu verkaufen. Der Seelenorden ist dagegen am ehesten noch mit einem Voodoo-Kult zu vergleichen. Seine Vertreter verkaufen euch Schatzkarten, wenn man ihnen Totenschädel bringt, die man untoten Piratenkapitänen abschlagen muss, die als Skelette gemeinsam mit ihrer Crew ihr Unwesen treiben. Schließlich gibt es noch den Handelsbund, eine freie Vereinigung von Kaufleuten, die euch für einfache Logistikaufgaben belohnt, sprich den Transport von Schweinen, Hühnern, Bananen oder Kanonenkugeln. Erfüllt ihr für eine dieser Gruppierungen genug Aufträge, steigt ihr in deren Ansehen und schaltet so wieder neue Aufträge frei, für die es nach und nach immer wertvollere Belohnungen gibt. Zusätzlich zu den gewöhnlichen Aufträgen gibt es bestimmte Events: Eine Totenkopfwolke am Horizont ist beispielsweise das Signal dafür, dass sich dort eine Festung befindet, die von Skeletten bewacht wird, im Inneren gibt's einen Schatz. Wer als erster da ist, gewinnt - und wie das so ist mit der Untoten-Apokalypse: Am schlimmsten sind eigentlich die anderen Menschen, die den Schatz ebenfalls wollen. Mikrotransaktionen waren in der von mir gespielten Version übrigens noch nicht integriert, sollen aber wohl kommen - wenn auch nicht in Form von Loot Boxen, sondern nur für kosmetische Items. Wenn das so kommt: Sei's drum. Euch selbst seht ihr die meisten Zeit ohnehin nicht, ihr spielt aus der Egoperspektive.

Bei Fraktionen wie dem Goldsammlern erhaltet ihr neue Aufträge.

Was bei Sea of Thieves letzten Endes Spaß macht, ist auch weder der Kauf irgendwelcher Gegenstände, noch die Befriedigung nach dem Abhaken irgendwelcher Aufträge. Es ist das Gameplay selbst. Allein eine Fahrt mit der Galeone von einer Insel zur anderen kann eine kleine Geschichte erzählen. Denn obwohl es sich in seiner Comic-Optik, mit seinen betrunkenen Piraten und seinen Skelettfeinden nun wirklich nicht ganz ernst nimmt: Bei der Reise auf hoher See fühlt es sich schon fast an wie eine Simulation. Vergleichbar ist es noch am ehesten mit Star Trek: Bridge Crew. Nur, wenn alle Spieler erfolgreich zusammenarbeiten, ist eine einigermaßen störungsfreie Schiffsreise überhaupt möglich. Im Unterschied zu Bridge Crew haben eure Piraten jedoch keine festgelegten Rollen, jeder macht irgendwie alles, weshalb es umso mehr darauf ankommt, dass ihr euch gut absprecht. Der Voice Chat ist daher zumindest auf der Xbox One unverzichtbar, auf dem PC ist zumindest auch Text-Chat möglich - weil aber PC-Spieler mit One-Spielern gemeinsame Crews bilden, hat darauf in meinen Partien so gut wie nie jemand zurückgegriffen. Ich hab es mal ausprobiert: In meiner Crew war ich als der, der den Voice Chat nicht benutzt, der Außenseiter. Meine Kameraden, zwei Amerikaner und ein Österreicher, bezichtigten mich zuerst, ich sei ein russischer Spion und anschließend, ich sei Donald Trump höchstselbst. Komischer Humor, aber der Fall zeigt: Verzichtet besser nicht auf den Voice Chat.

Wenn mal nichts zu tun ist: Gemeinsames Musizieren an Deck.

Es ist auch wirklich besser, schnell etwas zu sagen, als stehenzubleiben und etwas zu tippen. Die Segel müssen gesetzt werden, der Anker gelichtet, der Kurs korrigiert. Gerade bei der Kurskorrektur ist eine schnelle und direkte Absprache unabdingbar, denn die Karte liegt unter Deck, während der Steuermann natürlich oben steht. Also brüllt der unten zu dem nach oben, wohin er lenken muss, um am Ziel anzukommen. Nützlich kann es zusätzlich sein, wenn sich jemand ins Krähennest setzt, der kleinere Hindernisse wie Felsen erspähen kann. Kollidiert ihr mit denen, reißen sie euch nämlich schon mal den Rumpf auf, was dann zur Folge haben sollte, dass jemand tunlichst mit einem Brett das Leck wieder zunagelt. Gleichzeitig sollte ein anderer mit einem Eimer das Wasser aus dem Schiff bringen, denn sonst geht euer Kahn schlichtweg unter und ihr seid Futter für die Haie. Wenn es ganz blöd kommt, trefft ihr auf ein anderes Schiff, das euch beschießt, dann wiederum müsst ihr die Kanonen bemannen und den Munitionsnachschub organisieren, soll heißen: Jemand muss die Kugeln von unten nach oben tragen.

Wenn ihr sterbt, landet ihr in dieser Jenseitswelt - aber nur kurz. Kein Pirat ist für immer tot.

Es kann also schnell hektisch werden an Bord - muss es aber auch nicht. Sea of Thieves schafft es aber interessanterweise, in beiden Fällen ein heimeliges Gefühl der Kameradschaft zu vermitteln. Eure Crew fühlt sich tatsächlich wie eine Einheit an, selbst dann, wenn ihr mit Wildfremden spielt. Wenn der Weg gerade frei, das Wetter gut und keine Feinde in Sicht sind, trinkt ihr eben gemeinsam einen Grog oder musiziert ein bisschen. Oder ihr unterhaltet euch einfach. Nur daher weiß ich jetzt beispielsweise, dass der oben erwähnte Österreicher vorhat, in ein paar Monaten eine Nordamerikareise zu unternehmen. Er will zuerst nach New York, dann nach Washington, D.C. und am Ende will er noch eine Rundreise durch Ontario machen. Keine wertvollen Informationen, klar, aber dass ich sie jetzt habe, zeigt doch, dass man sich in Sea of Thieves schnell sehr vertraut miteinander vorkommt. Oder, wie einer der oben erwähnten Amerikaner sagte: „It's like you're hanging out with people."

Und sicher, Sea of Thieves hätte noch etwas mehr Fleisch vertragen. Eine Charakterprogression auf der einen Seite, eine Geschichte auf der anderen hätte dem Spiel vielleicht ganz gutgetan. Ein Tutorial habe ich gerade zu Beginn schmerzlich vermisst, ich musste einfach selbst herausfinden, wie das Spiel funktioniert. Aber erstens ist ein Online-Spiel wie dieses nie ein vollendetes Werk. Entwickler Rare wird sich die Chance nicht nehmen lassen, in den nächsten Monaten und womöglich Jahren noch viel nachzupatchen und zu ergänzen. Zweitens aber haben all diese Faktoren dazu geführt, dass ich wirklich genötigt war, mich mit meinen menschlichen Mitspielern auseinanderzusetzen.

Forts wie dieses sind besonders wehrhaft.

Das ist auch der Grund, warum Sea of Thieves letzten Endes mit seiner Community stehen oder fallen wird. Ich bin auf viele freundliche und hilfreiche Spieler gestoßen, ja. Aber auch auf solche, denen ihre Mitspieler völlig egal waren. Rare hat einige Mechanismen eingebaut, die allzu exzessives Trollverhalten eindämmen sollen. So ist es innerhalb einer Crew generell nicht möglich, sich gegenseitig zu verletzen. Gegen Felsen fahren geht aber eben doch und die ganze Munition einfach ins Wasser zu ballern funktioniert ebenfalls. Vor allem aber traf ich auf viele Spieler, die die Missionsstruktur gänzlich ignoriert haben und einfach auf irgendwelchen Inseln hinter Hühnern und Schweinen hergelaufen sind. Warum das Spaß macht, werde ich wohl nie verstehen, aber wie bei jedem kooperativen Multiplayer-Titel gilt daher bei Sea of Thieves umso mehr: Besser ist es, wenn ihr mit Leuten spielt, die ihr kennt.

Dann aber fühlt sich Sea of Thieves großartig an. Wenn euer Teamwork funktioniert, nehmt ihr euch selbst als gut geölte Maschine war, als gut funktionierendes Uhrwerk. Beinahe wie ein Teambuilding-Event, nur, dass es nicht nervt. Also, liebe Unternehmen, die ihr eure geschätzten Mitarbeiter gerne mal zum Wildwasser-Rafting scheucht oder sie durch einen Klettergarten hetzt: Es gibt jetzt eine günstigere Alternative. Installiert auf euren Arbeitsrechnern Sea of Thieves. Mit seiner simplen Comic-Grafik ist es nicht besonders fordernd für die Hardware, das sollte klappen. Und die Kollegen werden danach so gut miteinander arbeiten wie nie zuvor. Sie könnten höchstens eine ungesunde Vorliebe für Grog entwickeln.


Entwickler/Publisher: Rare/Microsoft Studios - Erscheint für:PC, Xbox One - Preis: etwa 60 Euro - Erscheint am: erhältlich - Gespielte Version: PC und Xbox One via Cross-Play - Sprache: deutsch - Mikrotransaktionen: Angekündigt

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Markus Grundmann Avatar
Markus Grundmann: Seine ersten Videospiele konsumierte Markus auf dem Game Boy. Heute spielt er so ziemlich alles, bei dem er auf Knöpfe drücken kann – mit besonderer Vorliebe für Nintendo und extravagante Indie-Titel.
In diesem artikel

Sea of Thieves

PS5, Xbox One, Xbox Series X/S, PC

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