Secretlab TITAN Evo Test: Ein hochwertiger Gaming-Stuhl, den man trotzdem dringend probesitzen sollte
Es wird Zeit, dass sich ein paar Bürostuhlstandards im Gaming-Segment durchsetzen.
Vor wenigen Wochen hielt ich noch ein Plädoyer für solide Bürostühle – auch wenn der damals getestete Flexispot BS11 Pro in einigen eher nachrangigen Belangen enttäuschte –, diesmal muss ich zurückrudern, wenn auch nur etwas: Nachdem der Markt für Gaming-Stühle jahrelang von Billig-Ramsch überflutet wurde, setzt sich langsam ein wenig Qualität durch. Es gibt also ein paar, die man durchaus kaufen kann, ohne sich zu schämen.
Wie ich in den vergangenen fünf Wochen mit Secretlabs TITAN Evo feststellen durfte, gibt es also tatsächlich auch gute Gaming-Stühle, zumindest was die Verarbeitung und Aufmachung angeht. Und dieser hier macht in der Ausführung mit sogenanntem SoftWeave-Stoff – die Standardvariante kommt in Kunstlederausführung, die ich nicht beurteilen kann – in meliertem Schwarz vom Fleck weg einen guten ersten Eindruck.
Das beginnt schon beim Zusammenbau, denn der enorme Karton ist idiotensicher strukturiert. Die farbige, hochglänzende Anleitung ist einseitig und so groß wie der Karton selbst, sodass man sie, wenn sie auf dem Boden liegt, problemlos aus dem Stand lesen kann, während man die gewaltige Rückenlehne aus der Pappe hievt.
Das ist die Sorte kleiner, aber smarter Einfall, die signalisiert, hier hat sich jemand viele Gedanken ums Benutzererlebnis gemacht. Selbstverständlich liegen alle benötigten Werkzeuge bei und sind sogar so hochwertig, dass man sie nach der Benutzung nicht direkt in die Tonne kloppen möchte. Es gibt sogar eine Kindersicherung für den großzügigen Kippmechanismus. Ich muss sagen, trotz der schweren Einzeleilteile – das Paket wog fast 35 Kilogramm! – war schon der Zusammenbau dieses Stuhls ein angenehmes, durchdachtes Erlebnis.
Das nächste, was einem ins Auge fällt, ist die ausgezeichnete Verarbeitung. Jede Naht ist wahnsinnig sauber gesetzt, für die Verschraubung der Lehne mit dem Sitz liegen per Magnet angebrachte Blenden bei und alle Verstell-Elemente führen sauber ins Innere der Basis des Stuhls, anstatt, wie zuletzt, beim Flexispot, von außen sichtbar zu sein. Ist der Stuhl komplett montiert, sind die Knöpfe zum Justieren der Armlehnen in Höhe, Breite, Länge und Gierung (ob die Lehnenfront nach außen oder innen zeigen soll) und die Hebel für Sitzwinkel und -Höhe ein satt einrastender Traum. Wer mag, kann die PU-Schaum-Armpolster gegen Aufpreis auch durch Memory-Schaum-Varianten eintauschen. Auch das geht, ohne zu schrauben, weil auch hier mit Magneten gearbeitet wurde. Für mich fühlen sich die mitgelieferten Polster aber durchweg richtig an.
Natürlich habe ich als Erstes die um 165 Grad nach hinten geneigte Liegeposition ausprobiert und wäre zu meiner Überraschung am liebsten so verharrt. Mit dem ebenfalls dank unsichtbarer Magnete an der Rückenlehne haftenden, samtweichen Memory-Schaum-Kissen ist das eine schöne Lage für die rettenden 15 Minuten Nickerchen, die einem übermüdeten Mittvierziger eine abendliche Spiele-Session retten können. Aber auch mit Switch und Steam Deck fand ich mich oft im Liegemodus wieder. Ich hätte nicht gedacht, dass ich ihn so cool finde.
Die Lordosenstütze dürft ihr ebenfalls in Ausprägung und Höhe ziemlich stark variieren. Ich fand schnell meinen bevorzugten Unterstützungsgrad, muss allerdings sagen, dass sie unter Belastung ein wenig knirscht, wenn man sie sehr weit herausdreht. Wer nur eine mittlere Unterstützung der Lendenwirbelsäule wünscht, wird das aber nicht bemerken. Das ist der einzige Punkt in Sachen Verarbeitung, in dem der Stuhl nicht komplett überzeugt.
Weniger begeistert bin ich vom eigentlichen Sitzerlebnis. Das ist schon in Ordnung und vor allem dem ersten Eindruck nach überrascht die gewagt feste Polsterung doch positiv. Immerhin weiß man ja, dass ein fester Sitz tendenziell gesünder ist. Und ich mag, dass ich auf der breiten Sitzfläche auch bestens im Schneidersitz zocken kann. Da aber leider eine Synchronmechanik fehlt und sich die Sitzfläche bei der verbauten Standard-Wippmechanik stets 1:1 der Lehne hinterher bewegt, könnten anspruchsvolle Rücken (und Hintern) mit dem Titan Evo ihre Probleme haben. Ich weiß das, weil es mir so erging. Der starre Winkel zwischen Sitz und Lehne sowie Festigkeit des Polsters, die der Hersteller als “mittelfest” beschreibt, ich aber als eher hart empfand, führten bei mir am Ende eines langen Tages zu mehr Ermüdungserscheinungen in unterem Rücken und Hüfte, als ich eigentlich gewohnt bin.
Das muss euch nicht so gehen, wenn ihr nicht schon Mitte vierzig, von guten Bürostühlen verwöhnt und Freund dynamischen Sitzens seid. Aber es bedeutet auch, dass ihr diesen Stuhl dringend ausgiebig probesitzen solltet und im besten Fall regelmäßig aktiv selbst eure Sitzposition verändert. Ein wenig Recherche hat ergeben, dass Secretlab mit dem Verzicht auf die Synchronmechanik alles andere als allein in diesem Segment ist, ein paar Konkurrenten, die erkannt haben, dass es besser geht, gibt es aber doch. Diverse Backforce- und Gamechanger-Modelle sowie der Recaro Rae kommen mit diesem rückenschonenden Unterbau daher. Mir fehlte sie hier sehr. In meinem Haushalt – und für meinen Rücken – ist der Titan Evo eben einer der weniger gemütlichen Stühle, wenn ich ihn nicht gerade komplett nach hinten geklappt habe (wo er zugegebenermaßen plötzlich zu meinem Lieblingsort im ganzen Haus wird).
Ebenfalls wissen sollte man, dass sich die Sitztiefe des Titan Evo nicht einstellen lässt. Secretlab umgeht das Problem damit, dass der Stuhl in drei Größen angeboten wird und ich halte das für eine gangbare Lösung, sofern man den Titan nicht mit jemandem teilen möchte, der entschieden kleiner ist als man selbst. Über die Wahl der Rollen muss man sich unterdessen beim Titan Evo keinerlei Gedanken machen: Die performen sogar auf dem scheußlichen, weichen PVC in Kiefernoptik, den mir die Vormieter im Arbeitszimmer hinterließen, wie auf der Rennstrecke.
Secretlabs’ hübschen Gaming-Stuhl gibt es im beim Hersteller in vielen verschiedenen Ausführungen: Secretlabs Titan Evo ab 524 Euro kaufen.
Secretlab TITAN Evo Test – Fazit:
Wie bewerte ich das also? Aufbau, Look und Verarbeitung sprechen für ein absolut empfehlenswertes Produkt, das auch in Sachen Funktion seine Häkchen an viele der wichtigsten Kästchen macht. Mir gefallen die Liegeposition und das stressfrei positionierbare, komfortable Nackenkissen enorm. Überdies ist der Titan Evo im Rahmen des für einen Gaming-Chair ästhetisch Möglichen ein schöner Stuhl, der sich offensichtlich großer Beliebtheit erfreut. Ein sympathisches und qualitätsbewusstes Stück Ausrüstung.
Und dann ist da die Tatsache, dass ich am Ende eines langen Tages wirklich merke, auf welchem Stuhl ich gesessen habe: Habe ich meinen Arbeitstag im Titan Evo zugebracht, ist mein Rücken müder und steifer. Ich sitze absolut nicht schlecht, aber auch nicht wirklich entspannt. Damit ist dieses insgesamt überlegt designte, Vertrauen erweckende Gaming-Möbel etwas, das man besser nicht unbesehen und ungetestet kauft. Wie vermutlich alles im Leben, das mit einer gewissen Investition verbunden ist und das man bei Nichtgefallen nicht so ohne Weiteres austauschen kann. Ist euer Rücken Stühle mit einfachen Wippmechaniken gewohnt, ist der Titan Evo aber wohl keine schlechte Wahl!
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