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SEGA Arcade Pop-Up History: Das Pop-Up-Buch am Ende der Retro-Dekadenz

Ein "Juwel" von einem Buch - genauso sinnlos und genauso begehrenswert

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Manche Dinge existieren, weil es geht, und nicht, weil sie jemand braucht. Aber sie machen eben doch für einen kurzen Moment glücklich.

Dieses Buch ist so etwas wie die glorreiche Endstufe des Retrowahns. Es ist auf einem so wundervollen Level nutzlos und dekadent, dass man es lieben muss, die gedankliche Fortsetzung aufwändiger Malbücher für Erwachsene, aber für eine möglichst limitierte Zielgruppe. Ich liebe es genau dafür, für die Absurdität seiner Existenz.

Die SEGA Arcade Pop-Up History ist ein ziemlich großer Begriff für ein eigentlich viel größeres Thema: SEGAs dekadente Arcade-Automaten. Diese sind ein fast zeitgeschichtliches Gaming-Thema, das ein eigenes Museum verdient, schließlich bildet diese Ära eine eigene, längst vergangene Zeitblase, die so nie wiederkommen wird. Die Spiele selbst waren nach heutigen Maßstäben schlicht, aber damals eben der absolute State-of-the-Art, der im eigenen Heim, wenn man nicht gerade Michael Jackson hieß, unerreichbar. Aber nicht deshalb, sondern weil sie mit einer Myriade niederer Konkurrenten um Aufmerksamkeit in den Arcade-Hallen kämpfen mussten, gaben die Firmen mitunter alles, um mit den schönsten und aufwändigsten Kabinetten aufzufallen. SEGA war dabei Vorreiter und Speerspitze.

Dieses durch und durch unsinnige Buch denkt gar nicht daran, das Thema irgendwie komplett abdecken zu wollen. Stattdessen suchte man sich sechs der frühen Pioniere heraus und bespricht sie kurz auf einer Seite. Hang-On, Space Harrier, Out Run, After Burner, Thunder Blade, Power Drift, das war es dann auch schon. Allesamt aus den Jahren 1985 bis 1988 ist es eine Art goldenes Zeitalter der Arcade und diese Spiele gehörten zu denen, die diese Zeit mit definierten, sei es durch Gameplay, Design und/oder Technik. Es waren die Spiele, die SEGA für Jahrzehnte zu einem der großen Namen machten. Sie und die dazugehörigen Automaten.

Für Hang-On stellte man ein Rennmotorrad in die Halle, gelenkt wurde durch Gewichtsverlagerung. Für Out Run war es das Chassis eines angedeuteten Ferrari, in After Burner fühlte man sich wie in einem Cockpit und durfte Top-Gun-Fantasien ausleben. Thunder Blade lenkte man mit einem großen Stick, nicht unähnlich der Kontrollen in einem Helikopter. Wer hier eine Mark oder einen Dollar versenkte, bekam mehr als ein paar Minuten Videospiel, es war eine Ganzkörpererfahrung.

Die Pop Up History macht damit auf den ersten Seiten nicht viel. Eine Seite Text pro Spiel, ein paar etwas lustlos angeordnete Screenshots, auf deren Seiten endlos viel Platz verschenkt wird und hier und da mal eine Konzeptzeichnung eines der Arcade-Kabinette. Das Buch kauft man nicht für die ersten 30 Seiten, sondern für die letzten sechs.

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Klappt eine der massiven Papp-Seiten auf und vor euch entfaltet sich etwa 10 bis 15 Zentimeter hoch eine Papp-Miniatur eines der sechs Automaten und das sogar relativ detailliert und visuell direkt greifbar. Auch real greifbar, denn Anfassen ist nicht nur erlaubt, man sollte auch vorsichtig ein wenig drücken und zupfen, um das aus dem Papier entwachsene Objekt noch in die finale Form zu bringen. Ihr seht Lenkräder, Flightsticks, Einstiegshilfen und Münzeinwürfe direkt vor euch. Die Bildschirme sind mit den Games zu bewundern, die Auferstehung verlorener Technik aus den Tiefen der Pappe. Es ist so sinnlos wie absurd wie liebenswert und wundervoll.

Und nach sechs dicken Pappseiten ist es auch schon wieder vorbei, Arcade-Geschichte faltet sich zurück zwischen die beiden massiven Hardcover-Rücken, die sie sicher schützen und der Ausflug in die Vergangenheit dauert kaum länger als eine gute Runde auf einem der Automaten dauerte.

Aber das ist auch der Punkt bei SEGA Arcade Pop-Up History. Es will euch nicht wirklich die Geschichte dieser Kreationen aus einer Zeit erzählen, nichts groß über die Technik der PCBs verraten, es ist selbst eine absurd dekadente Feierlichkeit für Produkte, die durch ihre absurde Dekadenz zu Legenden wurden. Wenn ihr euch dem hingeben wollt, dann ist es den stolzen Preis von 35 britischen Pfund - etwa 40 Euro - sicher wert. Es ist einfach ein Luxus-Objekt ohne echten Informationswert. Aber das sind Juwelen wohl auch und ich habe gehört, dass die auch recht beliebt sind.


Zu kaufen gibt die SEGA Arcade Pop-Up History bei Read Only Memory Books für 41 Pfund (ca. 49 Euro) inklusive Versandkosten


Außerdem muss ich hier natürlich das goldene Logo vergeben. Nicht, weil es "essenziell" wäre, wie die englischen Kollegen dazu sagen, die SEGA Arcade Pop-Up History ist ziemlich das Gegenteil dessen. Ich bin mir nicht mal sicher ob es empfehlenswert ist, denn wer etwas damit anfangen kann, der weiß es sofort und jeder andere darf gern Abstand halten und vielleicht lieber zur SEGA Mega Drive/Genesis: Collected Works greifen. Aber eines ist dieses Buch auf jeden Fall: "Herausragend" in einem so wortwörtlichen Sinne, dass ich ihm das so betitelte Logo nicht verwehren will.

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Martin Woger Avatar
Martin Woger: Chefredakteur seit 2011, Gamer seit 1984, Mensch seit 1975, mag PC-Engines und alles sonst, was nicht FIFA oder RTS heißt.

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