Selaco hat viel Doom im Blut – kann aber viel mehr als ein Retro-Shooter
Na, Dawn? Mal los!
Am Ende des Levels gibt es die übliche Abrechnung: ein Bildschirm mit der Anzahl erledigter Feinde, gefundener Geheimnisse und so weiter. Damit war dort aber noch längst nicht Schluss. Denn ich kann ja jederzeit dorthin zurück. Es gibt sogar ein Transportsystem, das mich aus weit entfernten Abschnitten wieder an den Anfang bringt. Und umgekehrt. Sowie an jede andere Station, die ich bis dahin gefunden habe.
Denn Selaco ist groß. Wenn ihr denkt, dass ihr hier eine halbe Stunde lang durch einen Abschnitt rennt, ein paar Gegner umlegt und anschließend weiter stürmt, dann vergesst es. Erinnert euch lieber an Half-Life, in dem man genau wie hier einfach immer weiter oder eben zurück läuft – durch eine zusammenhängende Kulisse, deren Sektionen durch kurze Ladepausen voneinander getrennt sind.
Warum es diese Pausen geben muss, ist klar: Selaco nutzt mit GZDoom eine Technik, die erschaffen wurde, um den (fast) gleichnamigen Klassiker zu erweitern und mit aktuellen Systemen kompatibel zu machen. Modernes Streaming beherrscht GZDoom allerdings nicht.
Braucht es aber gar nicht. Denn die Illusion weitläufiger Schauplätze gelingt trotz der vielleicht eine Sekunde langen Unterbrechungen hervorragend. Und das liegt nicht nur an der beeindruckenden Technik. Es hat vor allem mit einem Level- und Spieldesign zu tun, das mich weniger an geradlinige Shooter als viel eher an Spiele wie System Shock erinnert.
Die Kulisse dient in Selaco nämlich nicht nur als schicke Tapete, sondern ist eine plastische Umgebung, die der Tradition glaubwürdiger Schauplätze folgt, wie man sie aus der Shock-Serie oder Deus Ex kennt. Nun führt man hier keine Dialoge. Aber man kann das Licht an- und ausknipsen. Man kann Fensterläden öffnen und schließen sowie Krankentragen auf die Seite kippen und drehen, um Deckung zu schaffen.
Wer will, isst einen Burger oder mehrere Stücke einer Pizza, um Gesundheit wiederherzustellen, oder setzt sich – kein Witz – zu diesem Zweck ein paar Minuten lang in eine Sauna. Man kann ein Videospiel spielen, Geschütztürme aktivieren, Türcodes aus Notizen herauslesen und auch Vieles über die Geschichte in diesen Einträgen erfahren.
Weil man anfangs nur weiß, dass man als Sicherheitsoffizierin Dawn auf dem Krankenbett einer Station aufwacht, die von schwer bewaffneten Angreifern überfallen wird, müssen sich die Puzzleteile dieser Geschichte ja erst zusammenfügen. Auf jeden Fall passt das stückweise und oft ruhige Erkunden der plastischen Welt zu dem langsamen Zusammensetzen der Erzählung, wobei die gut versteckten Upgrades, Rüstungen, Schlüsselkarten für private Tresore, also das rein spielerische Entdecken, natürlich im Vordergrund stehen.
Immerhin sollte Dawn zwischen Bleiwechseln mit den Invasoren nicht nur ihre Gesundheit und Panzerung wiederherstellen, sondern benötigt sowohl Geld als auch Upgrade-Karten zum Verbessern ihres Arsenals. Dazu zählt das Verringern der Streuung, die Wahl zwischen verschiedenen Feuerfunktionen, größere Magazine, mehr Schaden auf Kosten einer geringeren Zielgenauigkeit und mehr.
Dabei wird in Selaco nicht ständig geschossen. Statt eines großen Gegneraufkommens gibt es eher einzelne, oft speziell inszenierte Situationen, in denen Gegner geschickt platziert sind und sich dann auch noch erfreulich clever verhalten. Manche umlaufen Dawn, andere suchen Schutz und wieder andere stürmen ihre Position, sodass man auf der Hut sein muss und flexibel reagieren sollte.
Man merkt diesen Situationen an, dass F.E.A.R. den Entwicklern ganz offiziell als Inspiration diente. Zum einen hört man an ihren lauten Stiefeln nämlich, wo Gegner herumlaufen und zum anderen kommentieren sie das Geschehen. Und hin und wieder gibt es auch Momente, in denen man mit der Taschenlampe vorsichtig durch dunkle Räume schleicht, in denen man schon länger keine Feinde mehr gesehen hat…
Tauchen die dann wieder auf, agiert man am besten aus der Deckung heraus, wobei es sinnvoll sein kann, im vollen Lauf nach vorne zu rutschen, um Feinde aus dem Gleichgewicht oder gegen eine Wand zu kicken. Das alleine macht ihnen oft schon den Garaus und ist vor allem einfach cool.
Mal als Zwischenfazit: Es ist schlicht famos, was Entwickler Altered Orbit Studios aus der alten Technik herausholt! Vom ebenso exzellenten wie letztlich aber auch profanen Ballern eines Doom ist Selaco jedenfalls weit entfernt. Das hier ist trotz der alten Technik ein großer Actionritt! Mit knackigen Gefechten, clever versteckten Geheimnissen und einer Welt zum Anfassen.
Trotzdem muss ich sagen, dass mich gerade die Action noch nicht vollends überzeugt hat. Denn auf den hohen Schwierigkeitsgraden segnet Dawn dermaßen schnell das Zeitliche, dass man sehr oft nur ständig kurze Salven abfeuert, um anschließend wieder in einer Deckung zu verschwinden. Bewegung wird eher bestraft als belohnt, denn man kommt nur selten so an Gegner heran, dass man zum Beispiel auf sie zu rutschen könnte.
Hinzu kommt eine Selbstheilung, die praktisch sofort anspringt, wenn die Gesundheit unter einen bestimmten Level fällt, sodass man schon deshalb ständig in Deckung verharrt. Besser wäre es daher für mein Gefühl, wenn es die nicht gäbe und Dawn dafür etwas weniger Schaden nimmt. Dann könnte man ihr offensives Rutschen häufiger nutzen – müsste das sogar tun, weil ihr das passive Verstecken keinen so großen Vorteil mehr bieten würde.
Nun kann man die Selbstheilung sogar abstellen – allerdings nur in einem Hardcore-Modus, der dann auch das Schnellspeichern deaktiviert und das normale Speichern nur an bestimmten Automaten gegen einen relativ hohen Betrag erlaubt. Was wiederum das Freischalten einiger Upgrades erschwert.
Ich mag eine anständige Herausforderung! Um beim ersten Durchlauf auf einem hohen Schwierigkeitsgrad zu spielen, ist mir dieser Hardcore-Modus aber zu viel. Zumal ich es schade finde, dass das Nachladen ganzer Magazine ausschließlich dort zur Verfügung steht. Das würde ich nämlich unheimlich gerne nutzen, ohne gleich Hardcore aktivieren zu müssen.
Vielleicht schauen sich die Entwickler diesen Teil der Optionen also noch mal an. Im Allgemeinen sind sie in Sachen Einstellungen immerhin außerordentlich zuvorkommend, weshalb man Selaco sehr genau an seine Vorlieben anpassen darf. In den Menüs steckt eine Menge an Kleinigkeiten, die man in vielen Spielen vergebens sucht, hier aber problemlos justieren kann.
Überhaupt ist dieser altmodisch moderne Shooter schon jetzt erfreulich ausgereift. „Schon jetzt“, weil er gerade in den Early Access auf Steam gestartet ist und erst Ende 2026 fertiggestellt werden soll. An manchen Stellen merkt man das; wenn die Schultertasten mancher Controller etwa nicht erkannt oder Untertitel angezeigt werden, obwohl man sie abgewählt hat, und man die Übersichtskarte nicht mit denselben Tasten bedienen kann, mit denen man umherläuft. Ich würde mich jedenfalls lieber auf der Karte umsehen als Dawn gleichzeitig zu bewegen.
Also, ja: Das hier ist selbst in seiner frühen Form nicht nur ein ausnehmend cooler Retro-Trip, sondern einer der besten Shooter, die man derzeit spielen kann. Dermaßen gut designte Schauplätze mit so vielen cleveren Ideen gibt es nur selten. Die kennt man vor allem aus namhaften Klassikern, die eine rundum packende Welt erschaffen, anstatt lediglich auf Action zu setzen. Und diesen Klassikern kommt Selaco eben schon jetzt verdammt nahe!