Sexismus sells? Im Minenfeld der Geschlechterdebatte - Kommentar
GTA V, Dragon's Crown, Warface und Feminismus in einem Artikel. Kann das gutgehen?
Wer die Testberichte zu GTA V aufmerksam verfolgt hat, wird früher oder später über die "9 von 10" gestolpert sein, die Carolyn Petit auf GameSpot dem Titel verpasste. Nicht, dass ihre Wertung im gesamten Testfeld ein Ausreißer gewesen wäre. Doch die Kollegin geht in den letzten Absätzen ihres Testberichts auf das Thema Sexismus ein und kritisiert, dass Frauen in GTA V - bis auf wenige Ausnahmen - nur als "Stripper, Prostituierte, leidgeprüfte Ehefrauen, humorlose Freundinnen und verquere New-Age-Feministen daherkommen, über die man sich lustig machen darf." Autsch.
Petit fährt fort, dass die Dialoge, Werbetafeln und Radioshows in Los Santos nur so vor frauenfeindlichen Sprüchen strotzen. Die unterschwellige Frauenfeindlichkeit unserer Gesellschaft würde hier übersteigert dargestellt, so Petit. Satire sei das aber trotzdem nicht, weil nicht deutlich werde, wie krank und falsch diese Ansichten seien. Stattdessen würde GTA V den Sexismus weiter bestärken und glorifizieren. Wie solle man eine Fahrt über die sonnenverwöhnten Los Santos Hills genießen, wenn gleich nach Steve Winwoods "Higher Love" im Radio ein Typ davon erzähle, dass er eine Frau als Urinal missbrauche, fasst Petit ihr Unbehagen zusammen.
Was ihr zum Verhängnis wurde: Der Wertungskasten unter ihrem Test suggeriert einen Punktabzug wegen Frauenfeindlichkeit. Das brachte die Leser im Kommentarbereich natürlich in Wallung und der Autorin einige Kritik ein. Am Ende gingen ein paar Zeitgenossen sogar so weit, Petitionen auf Change.org mit der Forderung: "Fire Carolyn Petit" zu starten.
Wo sie recht hat ...
Starker Tobak. Nicht derselben Meinung wie die Redakteurin zu sein ist eine Sache; sie dafür rüde anzugreifen und öffentlich für ihre Entlassung abzustimmen, ist einfach nur kindisch. Schlimmer noch: Derartige Aktionen spülen Wasser auf die Mühlen derjenigen, die Computerspieler für ein Rudel triebgesteuerter Neandertaler halten. Pawlowsche Hunde, die bei Pixelbrüsten das Sabbern anfangen und jede Kritik hirnlos niederbellen.
Vor allem müssen sich selbst fanatische GTA-Fans die Frage gefallen lassen, ob Petit nicht mit dem einen oder anderen Punkt recht hat. Zugegeben: Die frauenfeindlichen Beiträge im Radio und auf den Anzeigetafeln kann man im Kontext sehen, dass Rockstar auch so ziemlich alles andere derb durch den Kakao zieht - von Facebook bis hin zur amerikanischen Sozialpolitik. Frauen, die in Stripklub oder als Prostituierte arbeiten, müssen außerdem nicht zwangsläufig als reine Sexobjekte dargestellt werden.
Doch gerade hier finde auch ich Rockstars Umsetzung problematisch: Je länger man im Stripklub die Mädels beim Lapdance betatscht, ohne vom Rausschmeißer erwischt zu werden, desto schneller steigt die Sympathieleiste am unteren Bildrand - bis man die Damen nach Hause begleiten darf. Was für eine verquere Logik!
In dieser Spielmechanik kommt tatsächlich ein unterschwelliger Sexismus zum Ausdruck, der nichts mit der offensichtlichen Satire im Radio oder der bloßen Tatsache zu tun hat, dass Frauen als Sexarbeiterinnen dargestellt werden. Warum verpasst keine der Damen dem Spieler eine Ohrfeige oder ruft den Türsteher? Warum werden die Tänzerinnen als willige Nymphomaninnen in Szene gesetzt, die nach einem Lapdance für 40 Dollar bereit sind, sich von einem dahergelaufenen Typen nach Hause kutschieren zu lassen, um dort mit ihm die Nacht zu verbringen und hinterher noch ein Foto aufs Smartphone zu schicken? Muss das sein, Rockstar?
Aufreger im Doppel-D-Format
Petit ist nur eines von vielen Opfern des großen Mienenfeldes "Sexismus und Computerspiele", das Branchenvertretern und Journalisten gleichermaßen um die Ohren fliegen kann. Mal erwischt es die Redakteure, mal die Entwickler und Publisher.
"Warum werden die Tänzerinnen als willige Nymphomaninnen in Szene gesetzt, die nach einem Lapdance für 40 Dollar bereit sind, sich von einem dahergelaufenen Typen nach Hause kutschieren zu lassen."
Nicht allzu lange her ist der Fall des Kollegen Jason Schreier, der auf Kotaku die großbusige Zauberin aus Dragon's Crown aufs Korn nahm und schlussfolgerte, die Dame sei wohl von einem 14-Jährigen gezeichnet worden. Die Retourkutsche von George Kamitani auf Facebook folgte prompt. Der Mann ist seines Zeichens Präsident von Vanillaware und Designer. Frei übersetzt schrieb Kamitani unter ein Bild von drei nackten, bärtigen Zwergen mit reichlich Muskelmasse: "Wenn Mr. Jason Schreier auf Kotaku weder die Zauberin noch die Amazone gefällt, gibt es hier ein Bild, das in die Richtung gehen dürfte, die ihm stattdessen zusagt." Später ruderte der Designer und Studioboss zwar zurück, doch an den Wellen, die im Kommentarbereich auf alle Beteiligten einkrachten, änderte das wenig.
In seinem Antwortartikel ging Schreier aber nicht nur auf die fragwürdige Aktion Kamitanis ein. Er reagierte auch auf Leser, die ihm einerseits vorgeworfen hatten, er würde seine Kritik nur auf die großbusigen Frauen und nicht auf die muskulösen Kerle konzentrieren, und andererseits die Frage stellten, weshalb er sich überhaupt beschwere, wenn er eindeutig nicht die Zielgruppe sei. Seine Antwort: Weil der Sexismus in der Branche nicht vom Tisch zu wischen sei.
Man träfe kaum eine Frau in der Szene, die nicht irgendwelche negativen Erfahrungen in dieser Hinsicht gemacht hätte. Darum sei es auch etwas anderes, ob Frauen oder Männer übertrieben dargestellt werden. Ein paar muskulöse Zwerge seien kaum Anlass dafür, dass sich jemand unwohl fühle, denn Männer würden weder auf Events wie der PAX East sexistisch beleidigt noch würden männliche Designer mit Messehostessen verwechselt, noch würden männliche Journalisten je gefragt, ob sie auch wirklich Computerspiele spielten, so Schreier.
Für mich stellt sich da die Frage nach der Henne und dem Ei. Sind Entwickler und Publisher verantwortlich für das fragwürdige Frauenbild der Community? Oder sind es in erster Linie die Spieler, die scheinbar jeden Publisher mit Geld zuballern, bloß weil große Oberweiten und reichlich nackte Frauenhaut auf Screenshots und Verpackungen zu sehen sind? Ich behaupte, beide Seiten tragen ihr Schärflein zu der Problematik bei.
Natürlich kann man auch den kulturellen Hintergrund bei der Diskussion nicht außer Acht lassen. Die männliche Zielgruppe in Japan hat wahrscheinlich einen anderen Blick auf Dragon's Crown als die Spieler hierzulande. Im Westen rüttelt das Figurendesign an Tabus, während man in der Tokioter U-Bahn nicht einmal schief angeguckt wird, wenn man in aller Öffentlichkeit Porno-Mangas liest. Erinnert sich noch jemand an diesen bezeichnenden Spot zu Ninja Gaiden Sigma 2? Der lässt tief in die japanische Spielerseele blicken - mit Augenzwinkern natürlich.
"Natürlich kann man auch den kulturellen Hintergrund bei der Diskussion nicht außer Acht lassen."
Doch unabhängig davon, ob nun Dragon's Crown zum Stein des Anstoßes taugt oder nicht, und wie komplex die Thematik sowieso schon ist - dass es ein Problem mit Sexismus in unserer Gesellschaft gibt und dass sich dieses Problem gerade in der Computerspiele-Szene immer wieder deutlich und hässlich an der Oberfläche blicken lässt, kann man kaum bestreiten.
GTFO - mit Zelluloid gegen Sexismus
Darüber sprach ich mit der Filmemacherin Shannon Sun-Higginson, deren Projekt 'GTFO' im Frühjahr auf Kickstarter sehr erfolgreich war. Die Abkürzung steht für "Get the fuck out" - was weibliche Spieler online oder auf Events häufiger zu hören bekommen. Mit ihrem Film will Sun-Higginson die unterschiedlichen Erfahrungen beleuchten, die Frauen in der amerikanischen Spieleszene gemacht haben - ob als Spielerinnen, eSportlerinnen oder Entwicklerinnen.
Anlass für ihr Projekt sei der Fall von Miranda Pakozdi gewesen, die bei einem Cross Assault Video Game Tournament vom Team Tekken Coach Aris Bakhtanians mit sexuellen Anzüglichkeiten derart traktiert wurde, dass sie entnervt aufgab. Auch die Angriffe auf die feministische Medienkritikerin Anita Sarkeesian für ihre Videoreihe "Tropes vs. Women" hätten einen starken Eindruck bei ihr hinterlassen, erzählt Sun-Higginson.
Ihrer Ansicht nach lasse sich das Problem mit dem Sexismus nicht auf eine einzige Ursache zurückführen. "Ich frage all meine Interviewpartner nach der Ursache und habe viele Antworten gehört: Die Anonymität des Online-Gaming, die traditionell "nerdige" Kultur der Spieleszene, der häufige Gebrauch des Wortes "Rape" und ähnlicher Ausdrücke während des Trash-Talks, die problematische Darstellung weiblicher Spielfiguren in den Titeln und vieles mehr. Ich versuche, den einzelnen Punkten in meinem Film nachzugehen und sie in den Kontext der Community zu stellen", so Sun-Higginson.
"Viele Entwickler werden vermutlich bei dem bleiben, was sie kennen, um Stereotypen zu vermeiden." - Shannon Sun-Higginson
Sie würde im Übrigen nicht behaupten, dass die Entwickler besonders sexistisch seien. Vielmehr könnte das Problem auf einen Mangel an Vielfalt in der Industrie zurückzuführen sein. Es sei schwierig, weibliche, homosexuelle oder farbige Protagonisten zu erschaffen, wenn das Team ausschließlich aus heterosexuellen, weißen Männern bestünde. "Viele Entwickler werden vermutlich bei dem bleiben, was sie kennen, um Stereotypen zu vermeiden. Aber das ist der Weg des geringsten Widerstands. Die Entwickler müssten sich selbst herausfordern und begreifen, dass die Menschen, die ihre Spiele konsumieren, extrem unterschiedlich sind und darum auch gerne mit Charakteren spielen würden, die ihnen entsprechen", findet die Filmemacherin. Ein großer Schritt in die richtige Richtung sei, mehr Frauen und Angehörige von Minderheiten dafür zu begeistern, Computerspiele zu entwickeln.
Auch wenn es an dieser Stelle merkwürdig anmutet, den Krawallblogger und Autor des Buches "Alphabet der Männlichkeit" Maddox zu erwähnen - Beim letztgenannten Punkt sind er und Sun-Higginson überraschenderweise auf einer Wellenlänge. Der gemeinsame Tenor: Wenn Frauen die Art und Weise ändern wollen, wie sie in Spielen dargestellt werden, sollten sie sich mehr in der Branche engagieren. Positive Beispiele gibt es schließlich einige: Lucy Bradshaw (Sims, Spore), Alyssa Finley (BioShock), Laura Fryer (Gears of War) oder Robin Hunicke (Journey) - um nur ein paar zu nennen.
Blasenentzündung an der Front?
Am Horizont dräut derweil schon der nächste Sturm der Entrüstung: Joshua Howard, Cryteks Executive Producer für Warface, erklärte gegenüber dem britischen Magazin Wired, weshalb auf Screenshots des Free-to-play-Shooters die männlichen Soldaten relativ realistisch aussehen, während ihre weiblichen Kollegen geschminkt, bauchfrei und tief ausgeschnitten in die Schlacht ziehen. Diese Designs habe man basierend auf den Wünschen der russischen Community entworfen, so Howard. Dabei seien deren Vorstellungen noch extremer gewesen - sprich größere Brüste und High Heels. Man werde angepasste Designs für die verschiedenen Regionen entwickeln, so der Producer. Zum Beispiel für den chinesischen Markt.
Das sei natürlich nicht der einzige Aspekt, in dem sich die verschiedenen Versionen unterscheiden, versichert Howard. Trotzdem stellt sich die Frage, ob Crytek nicht mutiger der Community gegenübertreten und eventuell frauenfeindlichen Designwünsche im Keim hätte ersticken müssen, statt klein beizugeben? Laut dem Bericht habe Howard darauf geantwortet, dass es Tendenzen in beide Richtungen gegeben habe, bevor er auf Coca Cola als Marke und den Rückstoß der Waffen in den verschiedenen Ländern ausgewichen sei. Kann man es ihm verdenken?
Das Thema 'Sexismus und Computerspiele' bleibt ein heißes Eisen, an dem man sich leicht die Finger verbrennt. Nicht nur, dass Publisher und Entwickler die Kritik fürchten, frauenfeindlich zu sein - auch die Kritiker selbst werden schnell zur Zielscheibe von Zeitgenossen, denen nicht an einer sachlichen Diskussion gelegen ist. Ich persönlich würde mir weniger Aufregung auf allen Seiten und einen fairen Austausch von Argumenten wünschen, so schwierig das auch sein mag.
Ich kann der Diskussion schon jetzt etwas sehr Positives abgewinnen: Die Geschlechterdebatte betrifft grundsätzlich alle Ebenen der Gesellschaft. Insofern kann man die Auseinandersetzungen innerhalb der Community als Beleg dafür sehen, dass Computerspiele ein wichtiger Teil dieser Gesellschaft sind - eben weil sie sich nicht mehr der Diskussion um Sexismus entziehen können. Der GTA-Test von Petit, der Artikel von Schreier, das Film-Projekt von Shannon Sun-Higginson oder das Videoblog von Anita Sarkeesian sind nur die Spitze des Eisbergs. Unser Hobby mag in der Gesellschaft angekommen sein, doch die Diskussion steht erst am Anfang.