Shadow Complex
Flashback to Metroivania
Ihr müsst aber nicht. Theoretisch lässt sich Shadow Complex in einem Speedrun von zwei Stunden bewältigen, wenn man es so mag. Ihr müsst nicht erkunden, man lässt euch alle Freiheiten dabei, wie ihr an das Spiel herangeht. Aber eigentlich dürfte jeder der Versuchung erliegen, die kompletten 100 Prozent aus der Karte herauszuholen und auch das letzte Item zu horten. Bis dahin können je nach Geschick schon mal 15 bis 20 Stunden vergehen.
Es wird aber natürlich nicht nur geforscht und entdeckt, es wird auch richtig zünftig geballert. Und das Erste, was einem Fossil wie mir dazu bei Shadow Complex einfällt, ist Blackthorne. Nicht weil die Kämpfe ähnlich zäh wie beim Blizzard-Frühwerk ausgefallen wären, sondern weil die Waffen einfach den richtigen Punch mitbringen. 2D hin, kleine Anfangspistole her. Von der ersten Minute an ergeben Animationen und Soundeffekte eine Kampfsymbiose, die die Straße zu cooler, schneller und doch taktischer Action pflastert. Deckung, Ausweichmoves, verschiedene Wege zu tricksen, Granatenschächte für den Hinterhalt - die Feuergefechte werden auch nach dem hundertsten Durchlauf weder langweilig noch haben sie ihr Willkommen überlebt. Der nächste Kampf gegen eine Gruppe aus geschickt platzierten Wachrobotern und Schurken mit Panther-Sturmkanonen erfreut immer den Zeigefinger am rechten Trigger.
Der in vier Varianten jederzeit umstellbare Schwierigkeitsgrad reicht dabei von extrem leicht und schafft jeder bis hin zu einer echten Herausforderung, die euch besonders die Bosse auskosten lassen. Spielt ihr auf den höheren Leveln, belohnt euch Shadow Complex mit mehr Erfahrungspunkten, deren Levelaufstiege euch mit mehr Tempo, Präzision beim halb automatischen Anvisieren der Feinde oder auch Lebensenergie belohnen. So verkommt kein noch so kleines Scharmützel zum billigen Selbstzweck.
Bei der Optik und größtenteils auch im Soundbereich lässt man alles hinter sich, was man so aus der Anfangszeit von XBLA kannte, was sich auch in den 900 MB des Downloads niederschlägt. Der Schein der Taschenlampe spielt elegant durch trübe Wasser in tiefen Höhlen, Explosionen und Leuchtspuren der Munition erhellen gewaltige Fabrikhallen und dichte Wälder um die Basis herum lassen Wildnis-Flair aufkommen. Chair Entertainment beweist erneut, dass die Unreal Engine weit mehr als nur 3D-Shooter drauf hat. Von ein paar winzigsten Clipping-Fehlern abgesehen, an denen sich nur harte Perfektionisten aufhängen können, steht das hier kaum einem Vollpreistitel in irgendetwas nach.
Zu dem Thema, wie man ein solches Spiel mit einem Koop-Modus ausstattet, fiel Chair jedoch nichts ein. Einen Zweispieler-Modus sucht ihr vergeblich. Als Ersatz spendierte man allerdings rund 50 kleine, aber extrem knackige Herausforderungen in einer Art VR-Umgebung, die ihr in möglichst kurzer Zeit und minimalem Einsatz von Material lösen sollt. Das Konzept kommt den VR-Missionen der Metal-Gear-Serie sehr nahe und man ertappt sich schnell dabei, eine Menge Zeit damit zu verbringen, aus dem einen oder anderen Raum noch diese letzte Sekunde herauszukitzeln. Per Leaderboard dürft ihr euch anschließend ernüchtern lassen und feststellen, dass andere Spieler auf der Welt noch viel mehr Freizeit haben als ihr.
Ich bin mir sicher: Wäre Shadow Complex im ersten Jahr der Xbox 360 erschienen, hätte sich nicht nur niemand beschwert, dafür den Vollpreis hinzulegen, sondern es wäre eines der definierenden Spiele der Konsole geworden. Es hätte die Richtung, in die sich die 360 entwickelt, vielleicht ein wenig mitbestimmt. So muss sich Shadow Complex damit begnügen, die Qualitätslatte für XBLA-Titel deutlich nach oben geschoben zu haben. Was ihr hier für gerade mal 15 Euro an Umfang, Optik und intelligentem Spieldesign findet, reicht mehr als aus, um viele „große“ Konkurrenten in die Schäm-Ecke zu verbannen.
Dass es für die Höchstwertung nicht ganz reicht, hat eigentlich nur einen Grund. In der fast vollständigen Aufzählung der vielen Qualitäten von Shadow Complex fehlt die Innovation, die es von seinen offensichtlichen Vorbildern wie beispielweise Super Metroid abhebt. Das Konzept wurde mit Liebe und dem Blick fürs Detail, mit perfekter Steuerung und genug Umfang, mit spannenden Bosskämpfen und viel Geschick für das Hochleveln der Spielmöglichkeiten umgesetzt. Das traf halt auch schon in sehr ähnlicher Form auf andere Spiele zu. Aber da diese durch die Bank Legende sind und Shadow Complex sich nicht hinter ihnen verstecken muss, braucht ihr wiederum keine Sekunde zu zögern, die paar Punkte für Shadow Complex, diese Krone der XBLA-Schöpfung, zu investieren.
Gerade mal 1.200 Microsoft Punkte oder etwa 15 Euro kostet euch Shadow Complex auf der Xbox, zu haben als XLBA-Download mit etwa 900 MB Umfang. Eine PC-Version soll noch folgen.