Sherlock Holmes: The Devil's Daughter - Test
Zu viel gewollt.
Wenn man den Entwicklern von Sherlock Holmes: The Devil's Daughter eins nicht unterstellen kann, dann Ideenunlust. Sie ledern nicht einfach von Anfang bis Ende denselben Schuh ab. Ist das ein schrilles, überfülltes, zuweilen unbeholfenes, aber immer wenigstens milde unterhaltsames Patchwork aus so ziemlich allem, was irgendwo als halbwegs brauchbarer Einfall für ein Sherlock-Holmes-Spiel rumschwirrte! Manche sind auch nicht so brauchbar und trotzdem drin.
Die große, alles zusammenhaltende Idee geht auf die vielen ebenfalls von Frogwares entwickelten Holmes-Spiele und besonders den Vorgänger Crimes and Punishment zurück: dem weltberühmten Detektiv die Gepflogenheiten abstruser Point-and-Click-Rätselketten zu ersparen und eine menschliche Seite zu geben. Irren ist menschlich. Und das kann rasch passieren, weil sich gefundene Hinweise in den Mordfällen auf mehrerlei Arten interpretieren lassen. So kann man den Hergang eines Falls gedanklich anders einordnen, als er sich ereignete, und trotzdem einen aus Holmes' Sicht sinnigen Abschluss finden. Wird eben der Falsche verknackt, aber was macht das schon außer Laune?
Man kann die Faktenlage in einer Art synaptischem Schaubild jederzeit neu aufknüpfen und muss am Ende nur mit dem Finger auf jemanden zeigen, ob es nun stimmt oder nicht. Es geht darum, Kaninchen A oder B aus dem Hut zu ziehen, nicht darum, aus den Beweisen an sich etwas zu machen. Ein System, das letztlich mehr blendet als strahlt, aber ein sympathischer und erfrischender Ansatz.
Trotzdem, The Devil's Daughter vermittelt ein Gefühl von Fehlbarkeit und biegsamer Gründlichkeit. Fälle lassen sich zum Teil abschließen, ohne sämtliche relevanten Locations besucht und mit allen Leuten gesprochen zu haben. Nehmen wir an, der derzeitige Wissensstand spricht gegen den Besitzer eines Sportclubs und das Spiel lässt es zu, ihm die Arschkarte unterzujubeln, kann man das tun. Der ausgefochtene Kampf ist dann höchstens einer mit dem eigenen Gewissen, aber aus irgendeinem Grund hat man sich ja für die frühe Ausfahrt entschieden.
Noch mal zur Klarheit: Ihr erlebt keinen unterschiedlichen Spielverlauf. Die zeitlich und thematisch voneinander getrennten und durch kleine familiäre Querverweise verbundenen Einsätze sind so, wie sie nun mal sind. Es entstehen keine Verzweigungen, was für einen Entwickler wie Frogwares sicher kaum im Bereich des Möglichen liegt. Nicht mit dem knappen Budget, das man dem Spiel durchaus anmerkt. Man kann den Fällen aber mit unterschiedlicher Auslegung andere Hintergründe andichten. Wie es zu der Sauerei kam, die Holmes für gewöhnlich zu Beginn vorfindet, das gedanklich einzuordnen und schaubildhaft in Bezug zu setzen ist ein großer Reiz. Und das Gefühl, der Wahrheit um mehrere Ecken hinterherzuhinken.
Oberflächlich getarnt als Point-and-Click-Adventure, ist Devil's Daughter wenig daran gelegen, dem Fisch eine Verbindung mit dem Apfelstrudel überzuzwingen und die beiden auf einen Bettvorleger loszulassen. Derlei an den Haaren Herbeigezogenes gibt es nicht und wie Crimes and Punishments versteht sich auch der Nachfolger als Detektivspiel. Man befragt Zeugen, untersucht relevante Orte nach (oft plakativ platzierten) Spuren wie Briefen - es sind immer Briefe - oder Kratzern und benutzt die Detektivsicht, die normalen Augen Verborgenes zutage fördert. Etwa feine Risse in Schränken mit Geheimfächern dahinter oder Fingerabdrücke auf verräterisch schief hängenden Gemälden. Manchmal fühlt man sich wie Geralt in The Witcher. Mit dem Visualisierungstalent muss man sogar körperliche Übergriffe nachstellen. Ihr seht mehrere Hologramme, müsst sie vor dem euch bekannten Hintergrund in die richtige Reihenfolge und so eine Ereigniskette sinnvoll in Gang setzen.
Und was ihr alles sonst noch so müsst! Als ich anfangs von einem Patchwork aus Ideen sprach, meinte ich das Schmieden aus Fable 2 in Form eines Quick-Time-Events, oder das Balancieren über Streben à la Shenmue 2. Mal sind es haarsträubende Verkettungen in bester Resident-Evil-Manier - löse das Zahnradpuzzle, damit die Statue einen Speer in die Schrankwand wirft, wo der Safeschlüssel liegt -, mal eine Bombenentschärfung oder Bodenplattenrätsel wie in Uncharted. Sogar Schleichabschnitte gibt es, dazu Minispiele, Schlossknacken, das Aufhebeln eines Tresors.
Und Shenmue, ganz generell. Die Zeit, als Quick-Time-Events noch frisch und aufregend waren und über der Interaktion in einer 3D-gerenderten Umgebung der Geruch des Neuen lag. Devil's Daughter erinnert manchmal an Yu Suzukis Werk, vom Klopfen an Wohnungstüren, die spielerisch keinen Belang haben, bis zum Öffnen von Schubladen mit Briefen darin (wie gesagt, es sind immer Briefe).
Es erinnert aber auch an die Klobigkeit einer solch wilden Sammlung aus allerlei Krimskrams. In einem Abschnitt des ersten Falls hetzt Holmes durch einen Wald, verfolgt von Jägern, und muss immer wieder hinter Felsen oder Bäumen verschnaufen, um dem Beschuss zu entgehen. Es spielt sich holprig, Schüsse durchdringen massives Gestein und inszenatorisch entsteht kein Gefühl von Dringlichkeit, wenn sich ein notdürftig animierter Kerl durch ein karges Waldstück schlägt. Das Schlossknacken, besonders bei den mehrschichtig gesicherten Türen, ist gar das Fummeligste und Unintuitivste, das ich seit langem spielte. Allein dass man jeden Abschnitt auf Wunsch abbrechen darf, spricht Bände über das Vertrauen der Entwickler ihren Kreationen gegenüber.
So holpert The Devil's Daughter von einer neckischen Idee zur nächsten und streckt seine Fühler in zig Richtungen aus. Es versteigt sich dabei oft auf Terrain, wo es nicht hingehört, zwischen Detektivarbeit, fummeligen Minispielen und Quick-Time-Events. Man kann ihm für seine Verfehlungen nicht wirklich böse sein, dafür schlägt es zu viele spielerische Haken im Bemühen, der Monotonie entgegenzuwirken. Das schafft es bis zum Ende und besonders mit Blick auf den besseren Vorgänger trotzdem noch ganz passabel. Auf seine ganz eigenwillige Art ist das auch eine Leistung, für die man sich nicht schämen muss.