Shin Megami Tensei III Nocturne HD Remaster - Test: Gut gealtert, aber nicht zeitlos
Eine herausfordernde Geduldsprobe.
Tokyo fällt ein weiteres Mal und die Postapocalypse beginnt. Mittendrin ein junger Schüler, der zufälligerweise den Drahtziehern in die Hände gerät, die ihn als Halbdämon in eine dunkle neue Welt entlassen. Trostlos irrt der Junge durch eine Welt voller Dämonen und Geister, die einst noch richtige Menschen waren, in der Hoffnung, seine Freunde oder zumindest etwas Menschlichkeit zu finden.
Das ist nicht so einfach, denn die Welt ist groß, einsam und heillos verloren. Drei aufstrebende Philosophien ringen derweil um die Etablierung einer neuen Weltordnung. Der Halbdämon irrt durch ein Tokyo, das eben noch sein Zuhause war und nun mehr einer Wüste ähnelt als allem anderen. Die zunächst so bedrohlichen Dämonen werden nun zum letzten Halt.
Eine neue "schöne" Welt: Typisch Megami Tensei
Shin Megami Tensei III Nocturne erschien vor 18 Jahren für die PlayStation 2 und gilt heute als JRPG-Klassiker, der zum Nachdenken anregt, eine wundervoll düstere Geschichte erzählt. Die trostlose Welt wird den Spielern und Spielerinnen dabei nicht nur durch die Geschichte oder die einzigartige (und dennoch traurige) Architektur der Umgebungen präsentiert, sondern auch im Gameplay: Durch die ewig-langen Dungeons, durch die Schwere der Kämpfe, durch die langsame Geschwindigkeit des Protagonisten und nicht zuletzt durch die Anzahl der Zufallskämpfe eurer bis zu vierköpfigen Party mit den Dämonen. Egal ob auf der Karte oder in der Unterwelt, einfach alles erschafft eine triste, dunkle und einsame Stimmung, die die Erzählung lückenlos untermalt. Das macht Nocturne zu einem düsteren und melancholischen Vertreter des klassischen Rollenspiels japanischer Prägung.
Die Einordnung innerhalb der Shin Megami Tensei Spiele und warum sie grundlegend zum Erfolg der heute sehr populären Persona-Reihe beitrugen, erfahrt ihr im Video oder schriftlich im letzten Artikel zum Thema. Hier soll es aber erstmal um Nocturne gehen: Anders als bei Persona gibt es in diesem Tokyo eine Oberwelt, in der wir von A nach B reisen. Unser stiller Protagonist will sich eigentlich nur in seinen Sommerferien mit seinen Freunden verabreden, doch die abrupte Apokalypse macht ihm einen Strich durch die Rechnung. Statt einer entspannten Sommerpause bekommt der Schüler dämonische Fähigkeiten: Er wird zum sogenannten Halb-Scheusal und muss nach dem Ende der Welt ums Überleben kämpfen. Das wird auf Dauer ganz schön einsam, aber zum Glück kann er nun mit anderen Dämonen reden, um sie in seine Vierer-Party zu holen. Das ist wichtig, denn die Gegner sind nie gnädig und verzeihen in den Atlus-typischen Rundenkämpfen mit dem bekanntem Schwäche-und-Stärke-System keine Fehler.
Es gibt zudem die Option, in bestimmten Räumen Fusionen durchzuführen und Elementarwesen mit Edelsteinen zu kaufen. Auch das ist durchaus bedeutsam, denn erstens sind die Dämonen selten willig, sich eurem langweiligen Team anzuschließen. Zweitens sind die Möglichkeiten zum Fusionieren selten und drittens ist jeder Dungeon so schwer, dass man nur mit der richtigen Team-Kombination vorankommt. Das führt zu langen (und nicht immer spannenden) Suchpassagen nach Speicher-, Heil-, Fusions- oder auch Händler-Räumen, während die zufälligen Begegnungen mit Gegnern immer häufiger werden. Wenn man in nur einem Kampf nicht richtig aufpasst, könnte das schon ein Game Over bedeuten.
Das lange Suchen und häufige Sterben führt entweder dazu, dass die Frustration mit jedem Ladebildschirm ein Stückchen steigt, oder dazu, dass man sich umso mehr auf den Erfolg freut. Und da man in diesen Situationen die einzige menschliche Gestalt weit und breit ist, verstärkt es oft das Verlangen nach anderen Menschen, Geistern und ja.. sogar Dämonen..
Lucifer's Call: Die Säulen der eigenen Entscheidung
Typisch für das Franchise ist die Wahl einer neuen Weltordnung: Seit der ersten Postapocalypse geht es darum, wie die neue Utopie nun eigentlich aussehen soll. Dazu haben wir die Wahl zwischen verschiedenen Philosophien. Da nun hauptsächlich Dämonen die Welt bevölkern, könnte man nach dem Prinzip "Der Stärkere gewinnt" gehen: Dieser Weg nennt sich "Yosuga". Oder die Einsamkeit wird als etwas Positives genutzt, um das Selbst in den Mittelpunkt zu rücken: Dieses Prinzip heißt "Musubi". Oder aber man ist wie der Charakter eher "Shijima" und will eine stille und emotionslose Einheit schaffen.
Wir als Halb-Scheusal haben leider keine Möglichkeit, uns einen neutralen, anderen Weg zu überlegen, sondern können eine der drei Weltordnungen unterstützen. Oder aber wir lehnen alle Weltordnungen ab, was zusätzlich zu drei unterschiedlichen Enden führen würde. Neben den drei großen philosophischen Leitmotiven, kommen im Spiel vereinzelt interessante andere Weltanschauungen vor (die ich euch nicht spoilern will), die sehr zum Nachdenken anregen: Was wäre eure ideale Weltordnung nach so einer Apokalypse?
Dante - der in der 20 Euro teureren Deluxe Edition enthalten ist - ist übrigens eine nette Ergänzung. Auch wenn der im Basisspiel enthaltene Raidou, den er ersetzt, letzten Endes das Universum mehr abrundet, bringt unser Devil-May-Cry-Liebling mit seinen coolen Sprüchen eine ganz eigene Dynamik ins Spiel. Die passt zwar insgesamt erstaunlich gut ins Universum, könnte für den einen oder die andere die gelungen bedrückende Atmosphäre aber auch zu sehr auflockern.
Hey Remaster, was ist eigentlich mit diesem Soundtrack los!?
Shin Megami Tensei hat seit dem ersten SNES Teil eine außergewöhnlich atmosphärische Musik, die der Welt einen schönen Biss verleiht, ohne das düstere Universum zu stören. Der dritte Teil war diesbezüglich schon immer ein Sonderling: Hier wurden zu dem düsteren Funk dämonische Rap-Einlagen hinzugefügt. Man versteht nie, was genau die Stimmen sagen, aber sie passen trotzdem ganz gut zum Beat und Ambiente.
Im HD Remaster klingt der eigentlich coole Soundtrack aber so, als hätte er seine persönliche Apokalypse durchgemacht. Was da schiefgelaufen ist, vermag ich nicht zu sagen. Ist das Hochrechnen der Grafik auf eine halbwegs zeitgemäße Auflösung noch sehr gelungen, wirkt die komprimiert klingende Musik fehl am Platz. Generell hat hier einiges den faden Beigeschmack von Vernachlässigung. Vielleicht bin ich auch von vielen guten Remakes und Neuauflagen der letzten Jahre verwöhnt, aber dieses Remaster schafft den Sprung ins Hier und Jetzt einfach nicht ganz. Man hätte gerne noch inhaltlich nachbessern dürfen, zum Beispiel mit einer flexibleren Speicherfunktion. Niemand hat - auch während einer Pandemie - die Muse, jeweils eine Minute lang mit dem Aufzug hoch und runter zu tuckern oder ständig zu sterben, weil man nach einem Bosskampf durch gefühlt 30 Random Encounter muss, um den letzten Speicherplatz zu finden. Das fühlt sich einfach mühselig an und bremst den eigentlich anspruchsvollen und motivierenden JRPG-Ablauf.
Während ich die deutschen Texte sehr gelungen und zeitgemäß finde, wurde neben der englischen Synchronisation nur der Schwierigkeitsmodus 'gnädig' ergänzt. Der gibt einen ordentlichen Angriffs- und Erfahrungs-Boost, was eine logische Entscheidung ist, in Anbetracht der Tatsache, dass Shin Megami Tensei als besonders schwer und herausfordernd bekannt ist. Aber das unintuitive User-Interface, die fehlenden Speicherplätze oder die unfassbar langen Sequenzen zwischen Sterben und Neustarten oder von A nach B zu teleportieren wurden nicht optimiert. Dass auch noch Abstürze dazukommen (wir spielten allerdings ohne Day-One-Patch), ist auch nicht die feine Art.
Das klingt, als sei alles furchtbar unspielbar, aber das stimmt so auch nicht. Man muss eben wissen, worauf man sich einlässt. Für einen derart wichtigen Titel des Franchise hätte ich mir beim HD Remaster einfach mehr Mühe gewünscht. Rein erzählerisch bleibt Nocturne exzellent, weshalb sich Fans der Reihe trotz technischer Probleme hieran erfreuen können. Es fällt mir schwer, hier zu sagen: "Ja! Auf dieses Spielerlebnis habe ich nach den ersten beiden Teilen gewartet!", auch wenn die neue HD Version immer noch besser ist, als sich mit dem Spiel auf alten Konsolen rumzuschlagen. Shin Megami Tensei hatte immer viel mit Rumlaufen, Leveln, Suchen, zu vielen Monsterbegegnungen, Sterben und noch mehr Suchen zu tun. Das hat mir gerade in der ersten Spielhälfte viel Positives gegeben, bevor die kleinen Unbequemlichkeiten meine Lust am Spiel langsam aber sicher immer mehr belasteten.
Shin Megami Tensei III Nocturne HD Remaster Test - Fazit
Zusammenfassend handelt es sich hier um ein ordentliches Spiel mit Altersschwächen, wegen derer man ihm ruhig auch ein richtiges Remake hätte angedeihen lassen dürfen. Das HD Remaster überarbeitet aber nur die Oberfläche: Es gibt bessere Texturen, erstmalig eine japanische Tonspur, deutsche Texte und sogar einen gnädigen Schwierigkeitsgrad, wenn man mal ganz verloren ist. Aber am Ende sind die Speichermöglichkeiten zu rar gesät und wirken Dinge wie die langen Aufzugfahren ein wenig wie eine Geduldsprobe. Eine umfassendere Überarbeitung hätte mehr neugierige Persona-Fans in die dämonische Welt von Shin Megami Tensei entführen können. Denn die ist die größte Stärke eines Spiels mit einzigartiger Atmosphäre und einem soliden, anspruchsvollen JRPG-Regelwerk. Ist man erstmal drin, schafft es Nocturne, dass man komplett in eine andere Welt abtaucht und dort alles mitfühlt, was dem Protagonisten passiert. Neueinsteiger sind mit dem fünften Teil, der noch dieses Jahr erscheinen soll, aber vermutlich besser bedient.
- Entwickler / Publisher: Atlus
- Plattformen: Switch, PS4, PC (getestet auf Switch)
- Release-Datum: 25.05.2021
- Sprache: Deutsch, Englisch und weitere oder:
- Sprache: Deutsche Texte, englische und japanische Sprachausgabe
- Preis: 49,99 Euro Basis, 69,99 Euro Deluxe Edition