Shin Megami Tensei III Nocturne HD Remaster: Wo Dämonen Dämonen bleiben dürfen
Und was hat Dante hier verloren?
Gläserrücken, Wahrsager, Moderne Hexen, Ouija Bretter: Ich weiß nicht, wie viel Zeit ihr in eurem Leben bereits mit Übernatürlichem verbracht habt, bei mir war es nicht besonders viel. Wenn sich bei uns jemand mal gehörig gruseln will oder einen über den Durst getrunken hat, packen die Leute gerne eine düstere Legende oder eine Creepypasta aus, um die richtige Stimmung zu erzeugen. Das war's dann aber auch. Die Megami Tensei Reihe von Atlus jedoch, die übrigens seit 1987 existiert, lässt sich diese Stimmung aber nicht entgehen und macht gleich ein Riesen-Franchise draus.
Mit Shin (übersetzt: "Neu") Megami Tensei legt die Reihe dann erst richtig los und erzählt eine okkulte Geschichte über Dämonen, der japanischen Interpretation des Christentums und den Kampf Gott gegen Hölle nochmal von vorne. Diesmal finden die Zankereien aber Mitten in Tokyo statt und wirken so, als hätte jemand entweder zu viel Aldous Huxley gelesen oder gleich eine Reihe Rauschmittel verputzt. Zweites halte ich für ausgeschlossen, aber so richtig weiß man ja nie. (Uralter) Spoiler: Mitten im ersten Teil wird Tokyo von einer Atombombe ausgelöscht, denn die Dämonen haben einfach keine Lust mehr auf Menschen und Menschen haben kein Bock auf Dämonen. Aber zum Glück hat vor dem Bombenangriff ein verrückter Doktor uns Zugang zu einem System verschafft, mit dem wir Dämonen kontrollieren können: Das Demon Summoning Programm.
Kazuya oder Yakuza?
Der Atom-Vorfall richtet nicht nur die Stadt zugrunde, sondern eröffnet dem Shin Megami Tensei Universum eine vollkommen neue Ebene, auf der erzählt werden kann. Von Teil eins bis drei werden die Ereignisse immer wieder aufgegriffen, ohne den SpielerInnen genau zu erklären, was geschehen ist. Das ist auch im Nocturne Remaster keine Ausnahme. Generell könnte man sagen, dass der dritte Teil der Reihe, der im Original 2003 für die PS2 erschien, das erste Megami Tensei Spiel war, das die Geschichte und Begegnungen mit Monstern durch Polygone erzählte - Persona mal ausgenommen (das wäre ein anderes, langes Kapitel.) Die ersten beiden Teile erschienen als klassische Dungeon Crawler, gepaart mit gar nicht so einfachen JRPG-Elementen, auf dem SNES. Hier war vieles der eigenen Vorstellungskraft überlassen, allen voran der Protagonist (oder eben die Protagonistin, wenn man die wenigen männlichen Pronomen im Text ignoriert).
Shin Megami Tensei III schaffte es, diese Atmosphäre aufrechtzuerhalten. Trotz 3D Optik, trotz eines sichtbaren Protagonisten, trotz des flüssigen Bildes, erschaffte auch Nocturne eine bedrückende Atmosphäre voller Eigenarten. Der dritte Teil bildet zwar visuell viel mehr ab, hinterlässt durch seine psychedelischen Kulissen allerdings genug Raum, damit das eigene Hirn den Rest des Puzzles zu Ende führt. Und diese Eigenleistung ist das - wenn sie vom Spiel richtig initiiert wird - was einen bleibenden Eindruck hinterlässt. Wie auch schon im ersten Teil wird man übrigens auch gegen echte Menschen, teilweise Yakuza, teilweise Okkultisten, teilweise Geister von Verstorbenen, kämpfen. Ob ihr die Menschen aber auch mit Dämonen fusionieren könnt, erfahrt ihr wohl erst im kommenden Test.
Eine schrecklich teuflische Familie
So psychedelisch und abgefahren das alles auch klingt, das Lore der Dämonen aus den mittlerweile viel erfolgreicheren Persona Spin-offs findet gänzlich in den Shin Megami Tensei Teilen statt. Und an wen denkt die Spielewelt, wenn sie an Dämonen, Engel oder Teufel denkt? Devil May Cry natürlich! So veröffentlichte Atlus ein Jahr nach Release des dritten Teils Shin Megami Tensei III: Nocturne Maniax mit Dante als Dämonenjäger - genau, der aus der DMC-Reihe.
Das war nur möglich, weil Kaneko Kazuma, der Game Designer für die Megami Tensei Reihe, auch Auftragsarbeiten für CAPCOM machte und im Zuge dessen die Devil Trigger Formen für Dante entwarf (von denen Hideki Kamiya übrigens sehr begeistert war). In der zweiten Maniax Edition aus dem Jahre 2008 wurde ein weiterer Charakter an die Stelle des Dämonenjägers gestellt: Raidou Kuzunoha, der letzte Protagonist der Devil Summoner Reihe - einer weiteren Abzweigung des Megami Tensei Universums, die 1995 auf dem Sega Saturn ihren Anfang nahm. Im HD Remaster von Shin Megami Tensei III Nocturne sind übrigens beide Versionen spielbar.
Wenn Dämonen so bleiben dürfen, wie sie sind
Das Shin Megami Tensei III Nocturne HD Remaster wird ein spannendes Stück Spielegeschichte eines Franchises wiederbringen, das im Schatten seines eigenen Spin-offs steht. Wie gut das Ganze technisch funktioniert, bleibt abzuwarten: Ich könnte jetzt schon über Abstürze oder die Musikqualität auf der Switch meckern - oder euch Zeit lassen, erst einmal selbst einen Blick in das dunkle Universum zu werfen, das so einige Atlus-Diamanten hervorbrachte. Hier geht es um das große Ganze: Shin Megami Tensei spielt mit eurer Fantasie, es entführt euch auf eine düstere Reise. Es erweckt unlogische Tagträumereien zum Leben aber zwingt euch gleichzeitig dazu, Mal aus dem alltäglichen Autopilot aufzuwachen und jede Wahl, jeden Schritt, jede Handlung zu überdenken. Wem das schon zu viel ist - seid gewarnt: Der richtige Trip durch die Hölle steht uns noch bevor...
- Entwickler / Publisher: Atlus
- Plattformen: Switch, PS4, PC (getestet auf Switch)
- Release-Datum: 25.Mai 2021
- Sprache: Deutsche Texte, englische und japanische Sprachausgabe
- Preis: 49,99 Euro, keine Mikrotransaktionen