Shogun auf Disney Plus: Marvel schwächelt, holt man sich eben einen Game of Thrones-Killer ins Haus!
Drachen sind so 2011.
Zugegeben, ich habe erst vor gut zwei Wochen erfahren, dass FX’ James Clavells Sensations-Roman und TV-Überraschung Shogun (damals, 1980, mit Richard Chamberlain in der Hauptrolle) neu verfilmt hat und sie dieser Tage auch auf Disney Plus erscheint. Aber der Trailer hat mich seither nicht mehr losgelassen. Aus gutem Grund, wie sich nach Ansicht der ersten beiden Folgen herausstellt: Die Serie ist grandios gelungen.
Worum es geht? Nun, im Groben ist das hier eine fiktionalisierte Version der Ankunft der ersten Engländer in Japan im Jahr 1600. Eine Zeit gewaltiger Umbrüche. Denn nicht nur waren die Portugiesen und Spanier schon eine Weile früher hier und haben längst begonnen, das Land nach katholischem Glauben zu missionieren, sie teilen es insgeheim auch schon unter sich auf. Davon merken die fünf großen Häuser Japans wenig, weil sie nach dem Tod des letzten Shogun offen im Clinch miteinander liegen.
Wie ein Fisch an Land
Die Tantos sitzen also locker, mit anderen Worten. Hier wirft uns die Serie durch den ersten Blickwinkelcharakter John Blackthorne mittig hinein, der am Ende seiner Kräfte doch noch mit den Resten seiner Crew hier eintrifft. Ich kann mich an die alte Verfilmung nur noch dunkel erinnern. Aber ich muss sagen, dass die Co-Schöpfer der Neuverfilmung, Justin Marks und Rachel Kondo, das Japan der beginnenden Edo-Periode aus westlicher Sicht als hochgradig fremd und zugleich in der ganzen Komplexität dieser schwierigen Zeit zeichnen.
Wie auch Blackthorne ist man zu Beginn schwer überfordert mit den Sitten und Gebräuchen, ist hilf- und machtlos zwischen politischen Befindlichkeiten mächtiger Menschen verloren, deren Sprache und Wesen man noch nicht zu erfassen in der Lage ist. Zugleich machen die Verantwortlichen nicht den Fehler, den gestrandeten Europäer als Identifikationsfigur zum interessantesten Akteur zu befördern. Nein, wir sind nur an seiner Seite, während wir in etwas hineingeraten, das unfassbar viel größer ist als wir.
Die spannendste Figur ist ohnehin Hiroyuki Sanadas (John Wick, Bullet Train) Yoshii Toranaga, Herrscher über die Kanto-Region, dem seine Integrität und seine Indifferenz dem unbesetzten Thronsitz gegenüber, gerade zum Verhängnis zu werden drohen. Er wirkt milde, integer, erkennt seine Samurai schon an der Stimme. Er will keinen Krieg mit den anderen Häusern und versucht seiner Amtsenthebung (und Hinrichtung) durch die anderen Familienoberhäupter auf diplomatischem Wege zu entgehen. Der Protestant John Blackthorne soll ihm als Keil zwischen seinen Kontrahenten dienen.
Die Serie wählt den Weg des Dialog-getriebenen Historienformats, in Tonalität und fein-grauer Figurenzeichnung Game of Thrones nicht unähnlich. Nur halt eben ohne Eiszombies und Giganto-Drachen. Schwer dialoggetrieben, mit vereinzelten, nicht zu drastischen Gewaltexplosionen, die uns daran erinnern, wie leicht ein Leben damals verwirkt war – und dass niemand in dieser Geschichte wirklich sicher ist. Fast jeder Unterredung wohnt eine unterschwellige Bedrohung inne. Auch weil man sich über die wahren Motive und Loyalitäten der Beteiligten nie ganz sicher ist.
Es lohnt sich, das Smartphone mal für eine Stunde dieses feinen Ränkespiels aus der Hand zu lassen. Insbesondere, weil der japanische Teil der Gespräche durchweg untertitelt ist und eure Augen auf dem Fernseher gebraucht werden. Und auf einem solchen sollte man diese außerordentlich hübsche Serie auch schauen. Optisch ist das wahnsinnig gut gelungen, die Produktionswerte – Ausstattung, Szenenbild, Kostüme – geradezu perfekt, niemals übersteigert oder zu makellos, um real zu wirken. Zurückhaltend, aber durchaus mit zielstrebigem Händchen für kunstvolle, eindringliche Bilder. Shogun hat einen Look, ohne ihn uns unter die Nase zu reiben.
Nach zwei Folgen ist für mich jedenfalls klar, dass mich diese Serie so schnell nicht loslassen wird.