Sine Mora - Test
Oppugna et declina, Deus adest sine mora
Man mag es heute kaum glauben, aber vor etwa 20 Jahren, da waren Shooter der horizontal oder vertikal scrollenden Machart noch ein echtes Mainstream-Genre. In den Arcades gaben sich Kracher wie Gradius, R-Type und Darius die Klinke in die Hand und auf dem Amiga machte Xenon 2 - Megablast Furore, während auf Mega Drive und PC-Engine Musha Aleste, Gates of Thunder und Konsorten für glänzende Hände und feuchte Augen sorgten. Wer in den späten 80ern und frühen 90ern mit protziger Technik punkten wollte, der programmierte einen Shooter.
Heute hat sich das Blatt freilich gewendet. Der immer stärkere Fokus auf dem Mitte der 90er Jahre aufkommenden Bullet-Hell-Spielprinzip konnte zwar eine kleine, eingeschworene Hardcore-Kundschaft begeistern, verschreckte aber gleichzeitig den großen Rest der Spieler. Wo Technosofts Thunder Force eine ganze Spieler-Generation begeisterte, da fanden Guwange, DoDonPachi und Mars Matrix ziemlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.
Das in Koproduktion zwischen dem japanischen Avantgarde-Studio Grasshopper und dem ungarischen Entwickler Digital Reality entstandene Sine Mora will diesen Missstand nun beheben. Das Spielprinzip ist klassisch. In einem kleinen Flugzeug rauscht ihr durch meist vertikal scrollende Levels, schießt auf alles, was sich bewegt und sammelt verschiedene Power-Ups ein. Dabei sieht Sine Mora einfach fantastisch aus, bietet einen absolut ordentlichen Umfang und will mit einem zugänglichen Story- und einem hammerhart schweren Arcade-Modus sowohl die Zwischendurch-Ballerer als auch den harten Kern der Highscorejäger bedienen. Ersteres schafft das Spiel mit Bravour, über das Zweite, da sind sich die Hardcore-Fans immer noch nicht so ganz einig. Was nicht komplett aus Japan kommt, das wird eben erst einmal misstrauisch beäugt.
Kein Zweifel besteht über die Qualitäten des Story-Modus. Der ist nicht nur überraschend interessant und gut erzählt, vor allem schafft er das fast für unmöglich gehaltene Kunststück, den normalen Feld-, Wald- und Wiesenspieler zu fesseln. Der Schwierigkeitsgrad steigt in einer sanften Kurve an und das clevere Spieldesign, das euch bei einem kassierten Treffer nicht gleich zum letzten Rücksetzpunkt zurückwirft, sorgen für Motivation. Dank der liebevollen 2,5D-Grafik fühlt sich der Sinn für Ästhetik angesprochen und die satten Soundeffekte und das gelungene Treffer-Feedback befriedigt auch die Lust an der Zerstörung. Herrlich ist das.
Das Kernfeature von Sine Mora ist die Einbindung des Faktors Zeit, darum dreht sich hier alles. Ihr geht bei einem Treffer nicht sofort in Flammen auf. Schrammt ihr einen Gegner oder werdet ihr von einem Geschoss getroffen, dann verliert ihr lediglich ein paar Sekunden auf dem Zähler und eure gesammelten Extrawaffen fliegen davon, können aber wieder eingesammelt werden. Erst wenn der Zähler bei Null angekommen ist, dann ist euer Leben verwirkt. Abgeschossene Feinde füllen stets ein paar wertvolle Sekunden auf. Und noch ein Zeit-Element kommt ins Spiel: Habt ihr genügend Energie dafür übrig, dann könnt ihr die Zeit verlangsamen und euch so in kniffligen Situationen das Leben gleich ein ganzes Stück einfacher machen. Braucht die Zeitenergie aber nicht gleich auf, gerade bei den oft herrlich großen Bossen ist die ebenso wie die nur begrenzt verfügbare Superwaffe eine große Hilfe.
Auch wenn manch ein eingefleischter Cave-Jünger die Sache vielleicht anders sehen wird: Für mich ist Sine Mora ein absoluter Shooter-Traum. Gut, vielleicht ist nicht jede Schussformation so ausgeklügelt wie bei Japans Bullet-Hell-Göttern und vielleicht braucht man tatsächlich ein paar mehr Power-Ups als nötig gewesen wären, um der anfänglichen Erbsenkanone endlich ordentlich Dampf zu machen. Aber das ändert alles nichts am reinen Spielspaß. Endlich haben wir mit Sine Mora mal einen Shooter, der sich in grafisch zeitgemäßem Gewand präsentiert, der mit einem ordentlich Umfang und einer überzeugenden Story daherkommt und sich in Sachen Level- und Gegnerdesign kein Stück vor den Größen der 16Bit-Ära verstecken muss.
Ohne die Qualitäten moderner 2D-Shooter in Abrede zu stellen, ist Sine Mora ein absolut gelungener Rückgriff auf die Elemente, die das Shooter-Genre in vergangenen Zeiten so groß gemacht haben. Sine Mora würde in dieser Form auch als teureres Retail-Spiel eine prima Figur machen, als günstiger Download gibt euch das extrem stilvoll präsentierte Spiel wirklich keinen Grund mehr, zu passen. Egal ob ihr den alten Zeiten heute nachtrauert oder einfach mal gerne wissen würdet, warum all die Laser-Orgien damals so beliebt waren, Sine Mora dürft ihr euch auf keinen Fall entgehen lassen.