Six Days in Fallujah: Konami hatte auf diesen vielversprechenden Taktik-Shooter keine Lust? Ich schon!
Wenn er sich denn in die richtige Richtung entwickelt.
Okay, man könnte den historischen Hintergrund von Six Days in Fallujah komplett ignorieren. Was man dann hätte, wäre ein taktischer Hardcore-Shooter, der mit packenden Häuserkämpfen und glaubwürdiger Waffenhandhabung an Insurgency: Sandstorm oder Escape from Tarkov erinnert. Den man sowohl alleine als auch kooperativ spielen kann und der gerade eben in den Early Access auf Steam gestartet ist, bevor er im kommenden Jahr sowohl für PC als auch auf Konsolen fertiggestellt werden soll.
Gleichzeitig ist das Szenario aber eben kein fiktives, weshalb die Entwicklung des schon 2009 angekündigten Titels auch zunächst eingestellt wurde. Laut Aussage der Entwickler traute der damalige Publisher Konami es einem Videospiel nämlich nicht zu, dem blutigen Höhepunkt der kontroversen Belagerung von Falludscha gerecht zu werden. Also dauerte es eine Weile, bis sich der Großteil des Teams erneut aufraffen konnte, um Six Days in Fallujah vor zwei Jahren noch einmal offiziell anzukündigen und jetzt eben in den Early Access zu schicken.
Warum das Szenario ein kontroverses ist? Weil Falludscha erst von irakischen Rebellen und deren internationalen Anhängern besetzt wurde, nachdem die USA den Einmarsch in ihrem Heimatland unter anderem mit frei erfundenen Gründen zu rechtfertigen versuchte. Ihr wisst schon: Atom- und Chemiewaffen, für deren Vorhandensein man später keinen einzigen Beweis fand.
Nicht zu vergessen auch, dass die amerikanischen Truppen weißen Phosphor zum Ausräuchern feindlicher Stellungen einsetzten, obwohl er als Gefährdung für die Zivilbevölkerung gilt, und dass bei der Phantom Fury genannten Operation geschätzte 700 Zivilisten ums Leben kamen.
„Aber dass dieser Krieg kontrovers war, heißt nicht, dass er keine bemerkenswerten Geschichten voller Mut und Aufopferung hervorgebracht hätte.“ So beschreiben die Entwickler mit dem vertrauten Pathos US-amerikanischer Redensart auf ihrer Webseite, weshalb sie Six Days in Fallujah trotzdem machen wollten – nachdem ein Soldat, der während des Einsatzes dort verletzt wurde, übrigens ursprünglich mit der Idee an sie herantrat.
Und immerhin wollen sie nicht nur die Geschichten der Soldaten, sondern auch die der Einwohner Falludschas abbilden, wofür sie sich neben Dutzenden Kämpfern auch mit vielen Zivilisten unterhalten haben. Einiges davon wird in den Einsätzen erzählt werden, anderes über Dokumentationsfilme, in denen es nicht nur um die Ereignisse im November 2004 geht, sondern auch die Ursachen und Folgen von Operation Phantom Fury.
Davon ist in der aktuellen Version des Spiels aber noch nichts zu sehen. Ein recht ausführliches Intro umreißt im Augenblick nur das Szenario, bei dem etwa 2.500 Menschen verwundet wurden beziehungsweise zum größten Teil ihr Leben verloren. Die Kampagne für Solisten ist aber noch kein Bestandteil des Spiels und auch davon losgelöste Einsätze gibt es nicht – mit Ausnahme von ein paar Online-Missionen, bei denen bis zu vier Spieler kurze kooperative Einsätze in Falludscha erleben. Eine Viertelstunde dauert so ein „Ausflug“ ungefähr, oft auch nur wenige Minuten.
Ich hoffe daher, dass die Missionen später deutlich länger dauern und auch in größere Stadtteile führen, denn die bisherigen Level sind leider verdammt klein. So klein, dass man mitunter gerade mal eine oder zwei Straßen überquert, bevor man schon am Ziel ist. Daran hat man sich nach ein paar Sitzungen schon sattgesehen. Dabei macht die vom Krieg zerrüttete Kulisse durchaus Eindruck! Wenn man hinter dem restlichen Team und an der Seite eines Nachschubfahrzeugs an zerstörten Mauern entlang läuft, gibt es jedenfalls Momente, in denen sich der Begriff Fotorealismus aufdrängt.
Realismus wird hier ohnehin großgeschrieben. Six Days in Fallujah ist für mich zumindest ein krasses Kontrastprogramm zu dem spaßigen BattleBit Remastered. Das fängt dort an, wo man sich viel langsamer bewegt als in allen vergleichbaren Spielen; „menschlich langsam“ würde ich das nennen, während man sonst ja meist mit übernatürlich hoher Geschwindigkeit unterwegs ist.
Man kann sich zur Seite lehnen, sein Alter Ego über Hindernisse wuchten sowie Türen eintreten, wofür manchmal sogar mehrere Tritte notwendig sind. Um die Kameraden zu hören, müssen sie sich zudem in unmittelbarer Reichweite befinden – man darf nur nicht vergessen, dass nahe KI-Gegner jede laute Unterhaltung mitbekommen und wohl darauf reagieren.
Selbstverständlich kann man weiter entfernte Begleiter auch anfunken, wofür der eigene Charakter die Hand von der Waffe ans Funkgerät führt, während man die Push-to-talk-Taste gedrückt hält. Beim Nachladen wechselt man zudem ganze Magazine und ob man einen Feind erledigt hat, wird nicht auf dem minimalistischen HUD angezeigt. Diese und andere Informationen gewinnt man nur durch aufmerksames Beobachten.
Überhaupt können die Gegner von allen Seiten anrücken und sind wohl in der Lage, die Amerikaner in für sie nachteilige Situationen zu locken. Das kann ich nach den ersten Stunden allerdings noch nicht so genau beurteilen. Klar ist nur, dass in jedem Fenster, auf jedem Dach und hinter jeder Deckung ein Rebell lauern kann. Und weil er das denn auch oft genug tut, sollte das gesamte Team stets genau hinschauen. Sonst kann die Mission binnen weniger Sekunden schon vorbei sein.
Nun ist Six Days in Fallujah immer noch ein Spiel, weshalb man einmal pro Einsatz am Transportvehikel Ersatz für alle zu diesem Zeitpunkt toten Teammitglieder erhält. Außerdem können sich die Soldaten heilen – auf sehr ungewöhnliche Art, weil man dafür in Deckung gehen und sich kurz ruhig verhalten muss, damit der Charakter von selbst seinen Zustand checkt. Erst danach muss man bei Bedarf eine Binde anlegen oder eine Wunde schließen, bevor man vollständig geheilt weiterziehen kann.
Ebenfalls als Spiel erkennbar ist die Stadt selbst, denn auch wenn der Grundriss der Straßen im Grunde stets der gleiche ist, so werden die Häuser doch prozedural erstellt, sodass man nie weiß, was genau einen erwartet. Und wenn man sich dann mit Taschenlampe durch eine ebenso finstere wie staubige Ruine tastet, während man ahnt, dass sich dort Gegner befinden, dann entstehen ausgesprochen packende Momente.
Six Days in Fallujah ist im Early Access auf Steam erhältlich und kostet dort knapp 38,99 Euro. Das fertige Spiel soll außerdem auf noch nicht genannten Konsolen erscheinen.
- Steam
Die erlebt man außerdem, wenn man weiß, dass irgendwo ein Scharfschütze sitzt, der einem von einer Sekunde auf die nächste die Rübe vom Kopf blasen kann. Oder wenn in direkter Nähe ständig von einem Mörser geworfene Granaten einschlagen, die ein ebenso schnelles Ende bedeuten können.
Wobei der generelle Ablauf aller Missionen für mein Empfinden noch zu vorhersehbar ist. Immerhin muss man entweder an stark verteidigte Positionen vorrücken oder nach dem Auslösen bestimmter Aktionen eine große Gegnerwelle abwehren. Mehr als ein sehr kleines Insurgency: Sandstorm ist das trotz einiger atemberaubender Situationen im Moment noch nicht. Gäbe es stattdessen in größeren Einsatzgebieten mehr Aufgaben und würden die Rebellen auf stets verschiedene Art darauf reagieren, würde das dem glaubwürdigen Ablauf für mein Empfinden jedenfalls sehr zugute kommen.
Nicht zuletzt muss ich auch sagen, dass die KI zwar eine Menge Druck ausübt und die Soldaten mitunter geschickt umläuft. Sie leistet sich aber auch blöde Aussetzer, wenn sie aus unerfindlichen Gründen von einem Dach fällt oder so planlos hinter einer Deckung hin und her läuft, dass man ihr recht gemütlich auf den Kopf klicken kann.
Abgesehen davon darf man im Moment noch nicht wählen, welche der vier Klassen man eigentlich spielen will. Da steht schließlich ein Soldat mit Schrotflinte zur Verfügung, der damit unter anderem Türschlösser zerschießt, während einer seiner Kameraden mit einem Automatikgewehr mächtigen Feuerschutz geben kann. Ein weiterer ist mit Sturmgewehr und Granaten unterwegs und ein vierter mit ähnlicher Bewaffnung, aber daran angebrachtem Granatwerfer.
Im Laufe der Early-Access-Phase sollen noch wechselnde Tageszeiten und Witterungsbedingungen hinzukommen sowie natürlich weitere Karten und KI-gesteuerte Begleiter, denen man als Solist Anweisungen erteilen kann. Es werden sich außerdem Zivilisten in den Einsatzgebieten befinden, was die Situation um einiges komplexer machen könnte. Nur auf den Einsatz von weißem Phosphor wird Six Days in Fallujah übrigens verzichten. Ob das dann doch ein zu heißes Eisen für ein Videospiel war?
Ich bin auf jeden Fall sehr gespannt darauf, wie sich der Shooter in den kommenden Monaten entwickelt. Denn auch wenn der Inhalt derzeit so überschaubar ist und einige technische Fragen so offen sind, dass sich meine Begeisterung noch in Grenzen hält: Grundsätzlich verspricht das, was im Early Access bereits veröffentlicht wurde, herrlich anspruchsvolle Action mit intensiven Feuergefechten, in denen Teamwork unabdingbar ist, und die sich durch das glaubwürdige physische Vor-Ort-Gefühl schon jetzt besser anfühlen als fast alle anderen Shooter ihrer Art! Und wenn die Entwickler mit dieser Grundlage auch emotional mitreißende Momente erschaffen, im besten Fall sogar zum Nachdenken anregen und den Einsätzen vor allem spielerisch noch ein wenig mehr Leben einhauchen, dann könnte Six Days of Fallujha sogar ein richtig großer werden.