Sleeping Dogs - Vorschau
Der Traum von gestern ist die Wirklichkeit von heute und morgen
London, Tokio, Berlin, Hongkong. Wann immer die Ankündigung eines neuen Grand Theft Auto bevorsteht, übertrumpft sich die Internetbevölkerung mit Szenario-Vorschlägen für die neue Episode von Rockstars Open-World-Schlager. Wohl wissend, dass daraus, natürlich, so schnell nichts werden wird. GTA sitzt vielleicht ein bisschen zu bequem, trotzdem aber immer noch mit sichtbar größtem Vergnügen in seinem selbst geschaffenen Bermuda-Dreieck zwischen Liberty City, San Andreas und Vice City.
Daran ist per se nichts verkehrt - Rockstar findet regelmäßig einen Weg, seinen Karikaturen echter Städte eine neue Schicht verrücktes Leben zu verpassen und rückt seit dem vierten Teil ohnehin immer mehr seine Figuren ins Zentrum des Erlebnisses. Trotzdem kann man es der Gefolgschaft gediegener, offener Welten nicht verdenken, mal einen Blick über den Rand dieser zynischen Petrischale hinaus wagen zu wollen. Auf der anderen Seite des Globus muss es doch auch harte, interaktive Verbrecherdramen zu erleben geben. Dieses Phänomen hat offensichtlich auch Square Enix verfolgt, das nun folgerichtig in Sleeping Dogs eine fernöstliche Stadt im ewigen Culture-Clash vor euch ausrollt.
Dabei hatte der ursprüngliche Publisher des Titels, Activision, diesen Hund damals beinahe schon ein für alle Mal schlafen gelegt. Zu dem Zeitpunkt hieß der allerdings noch True Crime: Hong Kong. Und als Teil eines Franchises, das den Ruf eines bemühten, aber letztlich zahn- und erfolglosen GTA-Clones einfach nicht mehr loswurde, ist es Activision schwer zu verübeln, dem Titel die benötigten Ressourcen verwehrt zu haben. Schade wäre es trotzdem um das Spiel gewesen, hat doch Entwickler United Front Games, nichts mit den ursprünglichen Erfindern der Reihe, Luxoflux, zu tun. Im Auftrag von Retter Square Enix wird man dieser Tatsache mit der bestmöglichen aller Maßnahmen gerecht: Einer markenrechtlich notwendigen, aber gleichzeitig auch überaus hilfreichen Namensänderung.
Jetzt, wo das Spiel nicht mehr den Ballast einer durchwachsenen Serienhistorie hinter sich herschleppt, kann sich der kanadische Entwickler, der sich unter anderem aus ehemaligen EA-Black-Box-, Radical-Entertainment-, Rockstar-Vancouver- und Volition-Mitarbeitern rekrutiert, darauf konzentrieren, ein ihm ureigenes Spiel zu machen. Ganz oben auf seiner Agenda ein altes Problem vieler Open-World-Titel: Dem Empfinden des Spieleherstellers nach kann in man derart offenen Titeln meist ziemlich viel, nichts aber so richtig gut machen. Daher arbeite man daran, Nahkampf, Third-Person-Schießerei und Fahrgefühl so gut hinzubekommen, dass sie auch genreübergreifend keine Vergleiche scheuen müssen.
Gute Idee, sind dies doch die drei zentralen Elemente Spielablaufs, in dieser an die Klassiker des Hong-Kong-Action-Kinos angelehnten Triaden-Geschichte. Als Wei Shen aus den Vereinigten Staaten in seine Heimat-Metropole am Südchinesischen Meer zurückkehrt, arbeitet er sich dank dubioser Kontakte von unten das Rängegefüge einer der kriminellen Organisationen hinauf. Was dabei tunlichst niemand seiner kriminellen Freunde erfahren sollte, ist allerdings, dass Wei Shen als Polizist im Undercover-Einsatz die uralte Bande auffliegen lassen will, um am Ende deren Anführer, den Drachenkopf, hinter Gitter zu bringen.
Völlig frei bewegt ihr euch durch vier Stadtteile, die an die realen Viertel Hongkongs angelehnt sind, ihnen aber nicht eins zu eins entsprechen. Trotz des noch frühen Alpha-Stadiums und der noch recht ungleichmäßigen Performance - und Square Enix' Bitte, während unserer Anspielsitzung bitte nicht vom Story-Pfad abzuweichen, weil bisher man nur die ausgewählten Missionen und Straßenzüge mit der gebotenen Politur bedacht habe - erkennt man schon gut, worin der Reiz dieser Stadt am Perlfluss liegt. Als ehemalige britische Kronkolonie treffen in Hongkong fernöstliche Traditionen und westliche Fortschrittsbeflissenheit aufeinander wie nirgends sonst. Säumen einen Straßenzug noch blitzende Bürogebäude mit hunderten Stockwerken, stolpert man immer wieder über farbenfrohe, urige Tempel. Und in Seitenstraßen krümeln gilb-graue Wohn-Batterien vor sich hin. Mit mehr klapprigen Lüftungsanlagen an der Fassade als Fenster, sehen sie mit jeder Etage nur noch wackeliger aus. Wieder ein paar Gassen weiter kann man vor lauter Leuchtreklamen kaum mehr den Himmel sehen.
Eine Stadt, so fremd und anders wie diese, nimmt einen mit Leichtigkeit gefangen. Wer sich bislang nicht mit dem Kino Hongkongs befasst hat, für den dürfte der Kulturschock sogar ziemlich beachtlich ausfallen. Auch weil United Front sich die Mühe gemacht hat, die Welt mit reichlich Leben zu füllen. Mit der ersten Mission, die ich spielen durfte, hatte Square Enix bereits ein exzellentes Beispiel gewählt. Wei Shen sollte des Abends einen Kleinganoven zur Rede stellen, der bei seinem Auftraggeber in Ungnade gefallen war. Die schieren Mengen hübsch abwechslungsreich durcheinander wuselnder NPCs, die die Verfolgung zu Fuß erschwerten, waren technisch aller Ehren wert. An einem etwas größeren Platz fanden Feierlichkeiten mit Tanz und Feuerwerk statt und überall boten Händler an Marktständen ihre Waren an. In einer besonders düsteren Gasse führte ein Metzger ein besonders makabres Schattenspiel auf, im Vorbeirennen sah ich aus dem Augenwinkel nur, dass es zum Glück "nur" Schlachtgut war, das hier Bekanntschaft mit dem Hackebeil machte.
"Eine Stadt so fremd und anders wie diese, nimmt einen mit Leichtigkeit gefangen. Wer sich bislang nicht mit dem Kino Hongkongs befasst hat, für den dürfte der Kulturschock sogar ziemlich beachtlich ausfallen."
Die Welt scheint voll zu sein mit derartigen Randdetails, die immer wieder darauf aus sind, euren Blick von der Mitte des Bildschirms wegzulocken. Als wir unser Ziel schließlich einholten, mobilisiert das Opfer in spe Teile seiner Gang - es kommt zum ersten Kampf. In einem Spiel vor diesem Hintergrund dürfen Martial-Arts-Keilereien natürlich nicht fehlen und so nimmt es Wei Shen gleich mit einem halben Dutzend Schlägern zugleich auf. Hier kommt man um Vergleiche mit dem eleganten aber trotzdem einfachen Kampfsystem von Batman: Arkham City nicht herum. Mehr oder weniger mit nur einer Taste für Schläge und einer für Griffe habt ihr die Angreifer mit der gebotenen Übersicht schnell im Griff. Holt einer der Feinde seinerseits zu einem Treffer aus, signalisiert euch das ein Symbol über dessen Kopf - ganz wie bei der Fledermaus - und ihr könnt auf Knopfdruck spektakulär kontern.
Ich muss sagen, dass mir dieses System in Sleeping Dogs mindestens genauso gut gefällt, wie bei Batman. Eigentlich sogar noch besser, denn zum drahtigen, schnellen Wei Shen und seinen eleganten und doch rabiaten Kung-Fu-Einlagen passt diese Leichtigkeit des Kampfsystems noch besser. In Arkham City hatte man oft das Gefühl, dass hier ein Kleiderschrank von einem Superhelden Moves abbrennt, die weder seine Statur noch seine Garderobe auch nur ansatzweise mitmachen würden. Schön ist auch, dass sich United Front Games abseits des direkten Vollkontakts am Einfallsreichtum einschlägiger Kung-Fu-Filme orientiert. An jedem Ort befanden sich mehrere interaktive Objekte, die man in das Gefecht einfließen lassen konnte. Einen Gegner warf Wei Shen halb über den Tresen eines zur Straße hin offenen Ladens, um sich dann mit einem Sprung an das Rollgitter zu hängen und es so wuchtig auf sein Opfer herabsausen zu lassen.
Andernorts landet ein Widersacher schon Mal mit dem Kopf in dem Ventilator einer Belüftungsanlage, und als es später auf einer Baustelle zur Sache geht, steht sogar eine praktische Kreissäge herum. So sehr siedendes Frittierfett oder ein lodernder Gasherd auch während des Anspielens auch für schmerzverzerrte Gesichter sorgten: Der Gewaltgrad, der hier an den Tag gelegt wird, ist nichts, was man nicht auch in den Filmen sähe, die Sleeping Dogs als Vorbild dienten. Zudem fügte sich fast jeder dieser "Killspots" ganz natürlich in die Umgebung ein und schien der Situation angemessen. Als später in einer anderen Mission Schusswaffen und das Deckungssystem hinzukamen, konnten wir uns außerdem davon überzeugen, dass die Entwickler auch beim Gunplay auf einem guten Weg sind.
Auch geballert wird nämlich mit dieser gewissen Flinkheit und Unkompliziertheit, die man gerade in GTA oft vermisst. Alles geht ein bisschen schneller und die Tatsache, dass die meisten Gegner bei einem guten Treffer auch direkt in sich zusammensacken, vermittelt ein direktes Feedback ohne die gefürchteten Kugelschwämme anderer Titel. Vollführt Wei Shen einen Bocksprung über flache Deckung hinweg, geht es zudem in eine Max-Payne-Gedenkzeitlupe, die für einige exzellente Momente gut ist. Allerdings verwirrte dieses Feature ein wenig dadurch, dass andere, vergleichbar offensive Manöver aus der Deckung heraus nicht das Geschehen nicht verlangsamten. Wieso nur im Sprung über Kistenstapel und hüfthohe Mauern?
Was das Fahrverhalten der Autos angeht, kann ich bisher noch keine wirkliche Einschätzung liefern. Es stand nur ein Rennen und ein kurzer Weg vom Appartement zum Missionsziel zur Verfügung. Dass hier letzten Endes aber am wenigsten Eindruck geschunden wurde, verrät vielleicht auch schon etwas darüber. Ich hatte definitiv keine schlechte Zeit hinterm Steuer meines Triad-Mobils, würde aber lügen, wenn ich behauptete, ich hätte genauso viel Spaß damit gehabt, wie mit dem wilden Third-Person-Shooter-Part oder den flinken und sehr interaktiven Martial-Arts-Einlagen.
"Kann man das filmreife Niveau der Aufmachung auch in Nebenaufträgen halten oder zeichnet sich hier womöglich schon jetzt ein Bruch zwischen zwei Hälften desselben Spiels ab?"
Doch am Ende ist es, wie immer in Spielen mit offenen Welten, das Gesamtbild, das zählt - egal wie sehr man sich auch darauf konzentrieren mag, seine Kerndisziplinen zu meistern. Aktuell stellen sich noch einige brennende Fragen, etwa darüber, wie die Betätigungsmöglichkeiten abseits der stilvoll choreografierten Missionen der Haupthandlung aussehen? Während der Zu-Fuß-Abschnitte bekam man schließlich regelmäßig das Gefühl, sich trotz angeblich offener Welt durch den eng abgesteckten und sehr kompetent durchchoreografierten Level eines normalen, linearen Action-Adventures zu bewegen. Das spricht zum einen für die inszenatorischen Fähigkeiten von United Front Games, es wirft aber auch gleichzeitig die Frage auf, wie man dies mit den Vorzügen einer offenen Welt vereinen will? Und überhaupt: Kann man das filmreife Niveau der Aufmachung auch in Nebenaufträgen halten oder zeichnet sich hier womöglich schon jetzt ein Bruch zwischen zwei Hälften desselben Spiels ab?
Bis United Front Games auf diese Fragen im Sommer hoffentlich schlaue Antworten gibt, freue ich mich vor allem auf eine interaktive Geschichte über Verrat, Gerechtigkeit und Loyalität - und noch dazu eine, die einem ein Stück der Welt zeigt, das die Spiele seit dem zweiten Shen Mue nicht mehr betreten haben.