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Sniper: Ghost Warrior 3 - Nah dran am Zeitgeschehen

Gewillt, bei den Großen mitzuspielen.

Es ist ziemlich genau 25 Jahre her, dass ich das letzte Mal so ein subversives Gefühl beim Spielen hatte. Als sollte ich das nicht tun, weil es irgendwas beschleunigen könnte, was definitiv nicht mehr Tempo braucht. Völlig irrational, aber trotzdem. Damals zeigte CNN die ersten Präzisionsbombentreffer über Bagdad in hübschem grün-schwarz. Die schicke Lichtshow über der Stadt repräsentierte das Abwehrfeuer des inzwischen in der Öffentlichkeit fast vergessenen Diktators Saddam und die gute Koalition erfand nicht nur die telegene Kriegsführung, sondern befreite ein kleines Land, das eine Menge Rohstoffe hatte. Ich saß ein Zimmer weiter und kreuzte in meiner F19 in Sid Meiers gleichnamiger Simulation über dem Persischen Golf, immer auf der Suche nach etwas Niederpolygonalem, das ich mit einer Präzisionsbombe beglücken konnte. Selten war die direkte Verbindung zwischen Fernsehen und Triple-A-Spiel so nah wie damals.

Letzte Woche, 30 Grad plus Berliner Hitze und ich habe eine Art Déjà-vu, als ich mal wieder durch einen sehr aktuellen, brutalen und kontrovers diskutierten Konflikt der gegenwärtigen Weltgeschichte turne. Russland geht virtuell in der Ukraine einen Schritt weiter und besetzt direkt Teile des Nachbarlandes. Man selbst hopst als Einzelkämpfer-Scharfschütze der NATO im Black-Ops-Modus durch das besetzte Gebiet und „kümmert" sich um besonders „wertvolle" Ziele dort. Nachdem man in einer BBC-Doku gerade erst sah, dass CIA, MI-6 und andere Geheimdienste es für eine echte Möglichkeit halten, dass der Abschuss eines Zivilflugzeugs keineswegs ein Versehen war, sondern dass nur die falsche Nationalität getroffen wurde, ist das ein mulmiges Szenario.

Drohnenkriegsführung wird auch im Kleinen immer populärer.

Diese Theorie geht nämlich so weiter, dass es ein russisches Zivilflugzeug erwischen sollte, der Treffer wäre den Ukrainern zugeschoben worden und das wäre dann ein Vorwand für genau so eine Invasion gewesen. Sollte denn auch nur ein Funke Wahrheit darin stecken... Zynisch? Bösartig? Sicher, aber wer sich die Geschichte des Kalten Krieges ansieht, weiß, dass beide Seiten guten Grund haben, solchen Wahnsinn als möglicherweise real zu betrachten, schließlich haben sie beide Absurderes auf der Kappe. Und sollte auch nur ein Funke Wahrheit darin stecken, ist das in der Hoffnung nicht so reale Szenario mit russischer Invasion und NATO-Black-Ops immer nur einen klitzekleinen Schritt entfernt.

Das ist dann auch ein echter Unterschied zwischen einem Far Cry oder Call of Duty. Eines flüchtet sich ins Fantastische, das andere in die Science-Fiction, beide gehen trotz aller vermeintlichen psychologisch durchdachten inhaltlichen Ansätze immer auf Abstand zur Realität. In Sniper Ghost Warrior 3 geht es um die gedankliche Weiterführung eines realen Konfliktes in dessen aktueller Form täglich jetzt schon Menschen sterben. Das kann zu einer echten Stärke des Spiels werden. Ich weiß jenseits der Grundprämisse praktisch nichts über die konkrete Ausgestaltung der Story. Wenn man dies richtig angeht, kann hier viel Potenzial liegen, zumindest jedoch die Klasse eines guten Polit-Thrillers. Fehlt jedoch dieses Fingerspitzengefühl für den selbst gewählten Realismus und die Brisanz des Themas, kann es ganz schnell in schlechten Pulp-Military-Porn zum Fremdschämen abdriften.

Fußspuren führen euch zu zufälligen Ereignissen, Wachen, Geheimnissen und manchmal auch in die Falle.

Die Geschichte einmal außen vor, spielerisch ist Ghost Warrior 3 extrem großflächig angelegt. Ich werde mit meinen Lobpreisungen etwas vorsichtig sein, Entwickler CI Games hat mit Lords of the Fallen zuletzt durchaus einen Achtungserfolg gehabt und auch Sniper 2 war keine Katastrophe. Auf der anderen Seite präsentierte sich Enemy Front in den Vorführungen durchaus kompetent, nur um dann als halb fertiger Bodensatz vor die Tür in Richtung Käufer gekickt zu werden. Sniper Ghost Warrior 3 jedoch sieht auf den ersten Blick weit ambitionierter als alle diese Spiele aus. Stellt euch Far Cry vor und dann packt ganz viel Splinter Cell und Ghost Recon dazu, dann habt ihr das, was hier zu spielen war.

Auf einer gewaltigen Karte sind Verstecke verteilt, in denen unser einsamer Kämpfer nicht nur Schutz, Ausrüstung und Schnellreisepunkte findet, sondern auch seine Befehle erhält. Die Umsetzung dieser ist dann ganz allein euch überlassen. Ihr sollt das Gebiet erkunden, günstige Schusspositionen finden, Fluchtwege austüfteln und vor allem Gefahren frühzeitig erkennen. Ihr haltet nur wenige Treffer aus, mit voller Rüstung überlebt ihr eine Mine gerade so, auf keinen Fall eine zweite. Es ist nicht ganz realistisch, ein paar Heilpäckchen habt ihr dabei, aber von der Call-of-Duty-Action ist es trotzdem so weit weg, wie es nur geht.

Durchrennen oder aus der Hüfte umballern? Keine echte Option in diesem Spiel mit seinem recht harten Schadenssystem.

Das Gelände zu durchstreifen, ist dabei auch nicht leicht. Überall sind Minen verteilt, Patrouillen ziehen ihre nicht zu festen Bahnen und Hubschrauber halten immer wieder mal Ausschau, was sich da so am Boden tut. Erkundung ist daher ein wichtiger Teil der Mission. Wie in Far Cry habt ihr ein Fernglas, mit dem ihr Feinde und Gefahren wie etwa Minen markiert. Eine im Laufe des Spiels ausbaubare Mini-Drohne hilft euch bei dabei, kann aber auch schnell zerstört werden, solltet ihr übermütig werden. Haltet den Ball und den Oberkörper flach. Ihr werdet viel in der Hocke herumschleichen, auf dem Bauch herumrutschen und euch immer wieder zurückziehen, denn eines steht fest: In einem offenen Schlagabtausch mit drei schwerbewaffneten Wachen werdet ihr den Kürzeren ziehen.

Das Spiel versucht sehr viel zu simulieren, unter anderem Lichtverhältnisse - die Nacht ist euer Freund -, Sichtweiten im Unterholz und mehr. Auf der anderen Seite könnt ihr Spuren von Wachen im Schlamm finden, diesen folgen und sie überraschen. Manchmal führen euch solche Spuren auch zu dynamischen Ereignissen in der offenen Spielwelt. Rettet eine Geisel, verhindert ein Attentat, es soll sehr viel an solchen Mini-Missionen um das eigentliche Geschehen drum herum zu finden sein und nichts davon möchte sich wiederholen. Jede Begegnung soll einzigartig sein. Wie viele es werden und ob sie wirklich etwas taugen sehen wir dann später.

Was gezeigt wurde, war eine Mission, die man als Brot und Butter des dreckigen Sniper-Geschäfts betrachten könnte. Ein feindlicher General taucht zur Inspektion einer besetzten Mine auf, was euch eine Chance gibt, ihn zu erledigen. Wie schon gesagt, was ihr zunächst tun solltet, ist, in aller Ruhe die Möglichkeiten der Welt zu erkunden und euch einen Plan zurechtzulegen. Bei einer Übermacht von eins zu fünfzig ist reinstürmen und losballern eine sehr theoretische Möglichkeit. Schlauer ist es, die Hacking-Fertigkeiten der Drohne zu nutzen, um in das Sicherheitssystem der Anlage zu kommen und mittels der Kameras den gesuchten Mann ausfindig zu machen. Die Nacht tarnt die Drohne etwas, aber Hubschrauber und gegnerische Scharfschützen würden sie trotzdem schnell enttarnen. Ihr müsst also auch mit ihr Vorsicht walten lassen, um euch an einen Netzwerk-Zugang heranzuschleichen. Ist das geschafft, sucht ihr mit Kameras den General und markiert so seine Position dauerhaft.

Nicht nur das Umland, auch die Gebäude sollen sehr detailliert und voller Möglichkeiten sein.

Die Dynamik der offenen Welt soll es zulassen, dass ihr nun zusätzlich den General noch belauschen könnt, ob er weitere Ziele oder Pläne des Gegners verrät, was für euch neue Aufgaben bedeutet. In dieser Version tut er euch nicht den Gefallen, also auf zu einer Schussposition. Nah dran ist einfacher zu treffen, aber schwerer hin- und vor allem wieder wegzukommen. Bei einem weiten Schuss solltet ihr dagegen gut mit dem Zielsystem vertraut sein. Die Entfernung muss justiert werden und der Wind beachtet. Das System wirkt eher schlicht und ein Schuss aus 200 Metern bei leichtem Wind schien nicht zu schwierig. Dabei war das noch das wohl schlichteste Gewehr in der langen Liste an Aufrüstmöglichkeiten innerhalb eines noch nicht gezeigten Crafting-Systems, ich gehe daher davon aus, das spätere Gewehre auch noch weit größere Distanzen erlauben.

Saß der Schuss, heißt es "schneller, geordneter Rückzug". Die Gegner sind koordiniert, Patrouillen funken in regelmäßigen Abständen nach Hause und es fällt auf, wenn sie verschwinden. Hubschrauber starten in eure Richtung und solltet ihr keine Fluchtroute geplant haben, wird sich das jetzt rächen. Blind durch Nacht und Regen zu stolpern, bringt euch schnell um. Abstürzen an einer Bergkante, eine Minenfeld, eine Wachpatrouille, die in eure Richtung dirigiert wird, die Möglichkeiten sind vielfältig. Gelingt die Flucht, wartet auf euch ein neuer Tag in der weiten, offenen Virtualität dieses Konfliktes.

Das Zielsystem ist nicht übertrieben komplex, berücksichtigt aber Entfernungen, Flugwinkel und Wind.

Rein technisch übrigens kann man schon jetzt und in der Pre-Alpha sehen, woher der eigene Triple-A-Anspruch von Sniper Ghost Warrior 3 kommt. Die Sichtweite ist riesig, der Detailgrad hoch und vor allem wirkt nichts zufällig, zumindest in dem gezeigten Gebiet. Die schroffe Felslandschaft offenbart zahlreiche Wege, aber die Hindernisse auf diesen wirken nicht beliebig, sondern so, als hätte sich jemand Gedanken gemacht, wie man das Durchkommen eines Gegners erschweren kann. Irgendwie schon zumindest etwas realistisch. Ein sehr netter Touch ist definitiv, dass alle Gebäude - die bisher nicht zu zahlreich zu sehen waren - auch vollständig durchgestaltet sind. Keines von ihnen ist nur ein Schuhkarton mit aufgesetzten Fenstern, alle sind vollständig begehbar und damit für euch auch zu nutzen. Das alles plus die an Arma erinnernde Erdigkeit der Farbgestaltung lassen das Spiel schon jetzt extrem gut aussehen.

Mit Sniper Ghost Warrior 3 will CI Games ganz klar in die Riege der echten Triple-A-Spiele aufsteigen. Inhaltlich bin ich noch sehr vorsichtig. Von schmerzhaft peinlich bis zum intelligenten zeitgeschichtlichen Kommentar ist da bei der Handlung viel möglich - ich bin schon froh, wenn es die Mitte trifft -, aber spielerisch ist der Ersteindruck hervorragend. Es könnte das Open-World-Splinter-Cell werden, das all die Möglichkeiten bietet, eine Mission genau auf die eigene Weise zu erledigen, Raum für Improvisation inklusive. Sollte die restliche Welt ebenfalls so clever entworfen sein, wie der gezeigte Ausschnitt, wird das hier eine im positiven Sinne beklemmende Reise hinter feindliche Linien. Das Grundgerüst scheint zu stehen. Jetzt muss CI es nur noch konsequent durch- und fertig entwickeln, dann könnte dies das Spiel werden, vor dem sich ein kommendes Ghost Recon oder Splinter Cell sehr in Acht nehmen muss.

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