Sniper: Ghost Warrior
Ein mutiger Schritt
Sniper: Ghost Warrior war ja nicht gerade ein Beispiel für sauber programmierte Spielkunst. Die Vollversion strotzte nur so vor Spielspaß-zerstörenden Fehlern. Ohne die wirklich gelungenen Updates wurde das Schleichprinzip des Titels ad abdsurdum geführt. Am schlimmsten waren die Röntgenaugen der Gegner. Während ihr selbst den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr erkennen konntet, erspähte euch die Militärjunta der fiktiven Bananenrepublik Isla Trueno über Hunderte Meter hinweg im dicksten Unterholz.
Und hatten sie euch erst einmal im Visier, dauerte es gerade mal Sekunden, bevor sie euch mit ihrer AK47 in eine Dunstabzugshaube verwandelten. Zum Glück wurde dieser Effekt durch den zweiten Patch stark abgemildert. Die Scharfschützenpassagen machten so sogar richtig Spaß. Nur in puncto Action war Sniper noch immer eine Niete.
Wahrscheinlich wollte das tschechische Entwickler-Team ursprünglich mit ein wenig Fratzengeballer die Attraktivität ihres Produktes steigern. Doch leider fiel gerade dieser Part komplett ins Wasser. Dank katastrophalem Waffenfeedback, absolut unrealistischen Animationen, einer zielgenauen und doch selten dämlichen KI wurde jede Minute mit einem Sturmgewehr zu einer Qual.
Doch auch hier zeigt das noch junge und recht kleine Studio, dass es lernfähig ist. Nach dem Überraschungserfolg auf der Xbox 360, was zum Teil dem gelungenen Startfenster im Sommer geschuldet ist, wagt das Team für die PS3-Version einen mutigen Schnitt. Der gesamte Action-Quatsch wird einfach über den Haufen geworfen, ein Teil dieser Missionen aus der Sniper-Perspektive gezeigt und mit fünf weiteren Aufträgen die Geschichte weitererzählt. Radikaler geht es wohl kaum.
Einen ersten Blick auf das neue, bessere Sniper konnte ich bei einem Besuch von Produzent Michal Sroczynski werfen. Vor allem die Veränderungen in der gezeigten Action-Sequenz waren erstaunlich. Zu Beginn seht ihr das Geschehen noch aus der Perspektive des hüftsteifen Special-Ops-Kämpfers. Mit dem klobigen Sturmgewehr in der Hand nähert er sich einem heruntergekommenen Kuhkaff in der südamerikanischen Militärdiktatur. Doch was als schnelle Rein-Raus-Nummer geplant war, verwandelt sich innerhalb von Sekunden in ein Desaster. Scharfschützen und Maschinengewehre nehmen das Team auseinander. Doch statt nun von Deckung zu Deckung zu hechten, wechselt die Perspektive zu dem eigentlichen Hauptdarsteller, dem Scharfschützen.
Nun müsst ihr dem Team Deckung geben, Maschinengewehrschützen ausschalten und euch um feindliche Sniper kümmern. Momentan sollen zwar nicht alle Missionen auf diese Weise angepasst werden, trotzdem ein interessanter Weg, um mit einem schlicht miesen Bestandteil eines Videospiels umzugehen. Die restlichen Missionen der Kampagne samt dem finalen Kill von General Vasquez bleiben bis auf die Änderungen der Updates unverändert. Neu ist hingegen die Jagd auf seinen Sohn. Unter dem Namen Unfinished Business geht es erneut auf die Isla Trueno, um Junior Vasquez zu zeigen, was ihr von seiner Blutlinie haltet.
Auch hier lieferte Michal Sroczynski einen ersten Einblick. Wie schon bei den Spieleverbesserungsprogrammen (Tribute to Computer Bild Spiele) hat man auch bei den neuen Missionen auf die Community gehört. Nach einem kleinen Ausflug als Spotter, bei dem man dem KI-Kollegen Zielhilfe gibt, erblickt ihr von eurer Position eine weitläufige Erdölraffinerie. Irgendwo zwischen den Aufbauten versteckt sich euer Ziel. Als Sniper-Duell-Karte konzipiert, ist das in einem Tal gelegene, stark bewaldete Areal mit gegnerischen Scharfschützen gespickt. Zwischen Kommunikationsanlagen, auf Bäumen und Wachtürmen hat sich die Spezialeinheit des Feindes eingenistet. Gut trainierte Soldaten, die nur darauf warten, euch einen Kopf kürzer zu machen.
Auf Wunsch der Fans sind die Entfernungen viel größer. Oft müsst ihr zwischen Stahlkonstruktionen hindurchschießen, um in 1.000 bis 2.000 Metern Entfernung den Kopf eures Kontrahenten zu erwischen. Natürlich werdet ihr währenddessen ständig beschossen und nur das Blitzen des Zielfernrohrs verrät die feindliche Position. Also kurz raus, zielen, feuern und wieder in Deckung. Das klingt nicht nur spannend, sondern ist es auch. Bis sich dann irgendwann die Lücke zum finalen Fangschuss öffnet. Ob dieser klappt und was danach passiert: Naja, dazu müsst ihr wohl bis zum Release der PS3-Version warten. Ich will euch ja nicht spoilern.
Als Bonbon für den äußerst seltsamen, weil sehr camperlastigen Multiplayer-Modus gibt es noch fünf zusätzliche Karten, die ihr für die Xbox-Fassung kaufen musstet. Dort könnt ihr euch im Deathmatch, Team Deathmatch, VIP und im Capture-the-Flag-Modus belauern. Mir persönlich war das Gecampe zu langatmig, andere empfinden das Rumgehocke aber bestimmt als spannend.
Ganz ehrlich? Als ich den Termin hereinbekam, dachte ich nur: „Okay, hör ich mir aus Höflichkeit mal an, aber für ein paar neue Grafik-Gimmicks mache ich ganz sicher keine Vorschau." Doch umso mehr mir der kompetente Tscheche von der PS3-Fassung erzählte, umso überraschter war ich. Sniper: Ghost Warrior wird durch diese Änderungen zwar nicht zu einem Blockbuster und bewegt sich bei Story und Animationen immer noch auf B-Movie-Niveau, doch rein spielerisch könnte sich diese Fassung durch die Schnitte noch einmal verbessern und damit vielleicht sogar sieben Punkte erreichen. Das wäre in meiner Karriere als Spielejournalist ein echtes Novum. Ich gespannt, was bei diesem ungewöhnlichen Experiment herauskommt.
Sniper: Ghost Warrior ist für Xbox 360 und PC seit Sommer erhältlich. Die PS3-Fassung erscheint am 8. Februar.