Snipperclips ist der geheime Star der Switch-Starttitel
Und: Der mittige Stick des linken Joy-Con stellt kein Handicap dar.
"Das Ding gibt man höchstens seinen Gästen" - das war eine der Einschätzungen zum linken der beiden Joy-Con des Nintendo Switch. Und hey, ich bin der Erste, der das Konzept eines "Arschloch-Controllers" nachvollziehen kann. Damals in unserem Freundeskreis war das zum Beispiel der N64-Bumerang mit dem komplett durchgenudelten Analogstick - ihr wisst schon, der, dem grauer Plastikstaub aus dem Gelenk rieselte, wenn man ihn über Kopf hielt und ein bisschen schüttelte. Oder der erste Analog-Controller der PlayStation, noch bevor es Rumble gab. Man selbst nutzte natürlich immer den verhältnismäßig frischen oder die gerade gekaufte Revision. Es war wohl eine der ersten Gelegenheiten, bei denen wir Heranwachsende so etwas wie Hausrecht aktiv einsetzten.
Im Fall des Switch ist es nun der Asymmetrie des Steuerungskonzeptes geschuldet, dass viele dem rechten Griff von Nintendos Controller-Hälfte skeptisch gegenüberstehen. Hält man ihn quer wie ein NES-Pad, liegt der Analogstick recht weit mittig, während er am linken Controller gefühlt "richtiger" platziert, also näher am linken Rand, liegt. Nun, nachdem mir der Nintendo-Vorspieler beim Ausprobieren von Snipperclips den verdächtig unpraktischen Joy-Con reichte und im Tausch dafür einen unbewussten, aber doch gekränkten Blick von mir bekam, muss ich sagen: alles halb so wild. Tatsächlich ist der Daumenabstand zum Stick beim linken Joy-Con ziemlich angenehm, während die Ausbuchtung, auf der die Schultertasten im Handheld-Modus ruhen (im NES-Pad-Modus an der rechten Seite unterhalb der vier Front-Buttons) schönen Halt geben.
Was sich im Dauertest noch beweisen muss, ist die Ansteckschiene, an der die Handgelenkschlaufe hängt und die die ansonsten sehr tief eingelassenen Schultertasten an der Oberseite des quer gehaltenen Mini-Controllers etwas verlängert. Sie liegen im Grunde nur auf den flachen L- und R-Tasten am oberen Rand der Verbindungsnut auf, und das merkt man auch. Zum Glück kamen sie in Snipperclips reichlich zum Einsatz und überzeugten dann erst mal auch, sodass ich irgendwann nicht mehr darüber nachdachte, sondern nur darüber, was für eine wundervolle Überraschung dieses Spiel doch ist.
Im Grunde ist die Kollaboration von Nintendo mit dem Indie-Studio SFB Games ein kooperativer Puzzler, bei dem zwei aus Papier bestehende Figuren auf einer 2D-Ebene Physikpuzzles bewältigen müssten. Die rege Absprache und Koordination, die dabei gefordert wird, unterstreicht schön Nintendos Anspruch, mit der Switch eine Konsole zu entwickeln, um die sich die Leute zum gemeinschaftlichen Spiel versammeln sollen. Die zentrale Mechanik liegt im Zuschneiden der jeweils anderen Figur. Beide sind länglich, unten abgerundet und oben mit zwei rechtwinkligen Kanten versehen. Bewegen sie sich übereinander, schneidet man auf Knopfdruck den Teil des Mitspielers aus, über dem die eigene Silhouette lag.
Mittels der Schultertaster dreht ihr den papiernen Leib eurer Figur - die ausdrucksstarken Zeichentrickgesichter bleiben dabei an Ort und Stelle -, während ihr sie per Analogstick zum Ducken oder Auf-die-Zehenspitzen-Stellen animiert. So sind prinzipiell endlos viele Formen an Zuschnitten möglich und das Spiel fragt diese auch eifrig ab. Toll fand ich vor allem, dass nie explizit gesagt wurde, was zu tun war. In einem Level stand ein Basketballkorb. Sobald man einen Knopf betätigte, fiel an anderer Stelle der dazu passende Ball vom Himmel. Die Aufgabenstellung ergibt sich von selbst. Ich bat meinen Partner darum, aus meinem rechteckigen Stück mit seinem runden Ende eine Schippe herauszuschneiden, schaufelte mit etwas Physikfummelei den Ball dort hinein und balancierte ihn dann vorsichtig zum Korb hinüber. Als ich springe, um das Leder durch den Ring zu werfen, misslingt das. Zu viel Beschleunigung. Erst als ich mit Ball auf meinen Kollegen klettere, ist ein vorsichtiger Wurf möglich.
Ihr seht schon: Die Zusammenarbeit wird auf unterschiedlichen Ebenen verlangt und herumzuprobieren, wie etwas zu schaffen ist, macht einen der größten Reize von Snipperclips aus. In einem anderen Level schwebten Ballons an der Decke, von denen Fäden mit kleinen Griffen daran baumelten. Ich schnitt eine Kante aus meinem Mitspieler heraus, dieser konnte seinen Körper dann so drehen, dass er die Ballons zu packen bekam und sie auch unten in Reichweite hielt. Aber was nun? Was macht man mit Ballons? Sie zerplatzen lassen. Also spitzte mein Partner mich zu einer Nadel an, holte mir den heliumgefüllten Gummischlauch noch einmal herunter und ich zerstieß ihn mit einem beherzten Sprung in die Luft.
Snipperclips ist ein so einfaches, aber cleveres Konzept, da verwundert es nicht weiter, dass Nintendo diesen kleinen Titel als so wichtig erachtet. Die Möglichkeiten zum Experimentieren scheinen gewaltig und der Bastelstuben-Charme der Figuren gewinnt Herzen und unterstreicht gekonnt den Kern des Spiels. Die Aussicht, diese Art Gesellschaftsspiel überall mit hinzunehmen, lässt den Gedanken daran, auf einer Party das vermeintlich antisoziale Element zu sein, das ein Videospiel mitgebracht hat, auf einmal wie eine gute Idee wirken. Mit nur 20 Euro ist Snipperclips zudem einer der günstigeren Titel im Startaufgebot und könnte sich auch deshalb durchaus aus seiner Rolle als Geheimtipp ins Rampenlicht der Switch-Anfangswochen drängen. Das Konzept mag nicht von Nintendo stammen. Das Spiel, das daraus resultierte, bringt aber gut auf den Punkt, warum man mit dieser Firma puren, unverdünnten Spaß verbindet.
Entwickler/Publisher: SFB Games/Nintendo - Erscheint für: Nintendo Switch - Geplante Veröffentlichung: März 2017