SnowRunner - Test: Das dreckigere Death Stranding!
Gegen die Trivialisierung des Fahrens!
Er war sichtlich als Scherz gemeint, der "United we Drive"-Trailer (siehe unten) zu SnowRunner. Zu pathetischer Musik und in melancholischen Einstellungen zeigte er tonnenschwere Zuggefährte, die sich im wilden Gelände bis aufs Gummi abrackerten, und zog so inhaltlich und stilistisch mutwillig Parallelen zu Death Stranding.
Dennoch steckt in dem sehenswerten Filmchen mehr Wahrheit drin, als man meinen sollte, denn SnowRunner ist tatsächlich ein Liefer-Spiel, in dem ihr euren eigenen Weg durch eine unzugängliche Wildnis bahnt. Klingt irgendwie vertraut, oder? Und was soll ich sagen: Obwohl Kojimas Endzeitabenteuer spürbar ambitionierter war und man länger darüber nachdenken und sich unterhalten kann, habe ich mit der detailverliebten Fahrsimulation tatsächlich mehr Spaß.
Frei von jeglichem erzählerischen Ballast schickt euch Saber Interactives Fahrsimulation mit Vehikeln unterschiedlicher Aufgabengebiete, Leistung und Zugkraft durch drei große Open-World-Karten, von denen ihr durch Erkundung nach und nach den Kriegsnebel wischt und so neue Aufträge und Möglichkeiten entdeckt. In erster Linie findet und besorgt ihr Material zur Reparatur oder zum Bau von Brücken, liefert Baustoffe, um eine Mine am Laufen zu halten, und bergt havarierte Hänger und Fahrzeuge. Gut von A nach B zu kommen, ohne liegen zu bleiben, ist das Rückgrat dieses Spiels.
Besonders besticht dabei, wie viel Augenmerk auf der akkuraten Simulation des Untergrundes und der physikalischen Interaktion der Fahrzeuge mit ihm gelegt wurde. Ich bin nicht ganz sicher, aber es ist gut möglich, dass das hier das Fahrspiel (im weitesten Sinne) ist, in dem man mit der niedrigsten Durchschnittsgeschwindigkeit aller Zeiten unterwegs ist, denn mit Vollgas grabt ihr euch schneller ein, als euch lieb sein kann. Runterschalten, Differenzialsperre zuschalten und genau schauen, wie sich die Reifen verhalten - das ist die Devise.
Es gab Missionen, in denen ich im halben Schritttempo mit aktiviertem Allrad durch eine hüfttiefe Schlamm-Wasser-Mischung förmlich kroch und für zehn Meter gefühlt fast ebenso viele Minuten brauchte. Klar, in einigen Situationen signalisierte mir das Spiel, dass ich noch nicht hätte hier sein sollen oder dass ich mit dem falschen oder einem nicht entsprechend ausgestatteten Fahrzeug anget(r)uckert kam. Oft genug sind derartige Hindernisse aber gewünschter Teil einer Mission, etwa wenn man einen Pick-up Truck bergen soll, der auf einem überfluteten Acker buchstäblich "abgesoffen" ist. Hier ist Beobachtungsgabe gefragt, weil es sich so gut wie immer lohnt, sich seinen Einsatzort gut anzuschauen, ihn vielleicht ein Stück zu umrunden und dann zu entscheiden, ob der offensichtlichste Weg wirklich der beste ist?
Vielleicht gibt es entlang einer anderen Route ja auch mehr Ankerpunkte, an der euch eure Winde eurem Ziel näherbringen kann, die sich in SnowRunner alle paar Meter auf Knopfdruck wie von selbst um einen Felsen oder einen Baum(stumpf) wickelt und so mit schöner Regelmäßigkeit die Rettung eines jeden Lieferfahrers ist. Wenn man alles Stahlseil abrollen würde, das mich einen Hang hinauf oder eine Grube hinaus zog - es wären viele, viele Kilometer, so wichtig ist die Winde in SnowRunner. Das Spiel mit ihr ist ebenso bedeutsam wie der feinfühlige Gebrauch von Gas und Bremse.
Saber ist definitiv ein eigenartiges Erlebnis gelungen, aber es ist auch eines, in dem man sich seine Erfolge hart erarbeitet und sich dann umso mehr über sie freut. Doch auch an sich ist es schön, sich auf diesen großen und trotz ihrer Ruppigkeit einladenden Karten umzusehen, immer erst einmal in den aufgemotzten Pick-up zu steigen, um eine neue Map zu erkunden und alle Aussichtstürme zu erreichen, das ist schon ein Spiel für sich und motiviert irrsinnig, denn so werden nicht nur neue Haupt- und Nebenmissionen freigeschaltet, sondern auch frische Fahrzeuge und vor allem Upgrades, für euren Fuhrpark, die sich - der feinen Physik sei's gedankt - immer deutlich darauf auswirken, was eure Vehikel zu leisten im Stande sind.
Deshalb ist man gerne hier mit seinem designierten "Scout"-Fahrzeug unterwegs, um sich alles anzuschauen, und legt sich seinen eigenen Plan zurecht, was man als nächstes machen möchte. Zieht es mich in anderen Open-World-Titeln vornehmlich durch die Hauptaufträge, ist in SnowRunner die Beseitigung eines quer über einer wichtigen Straße umgestürzten Strommasts ein Angebot, das ich nur schwer ablehnen kann, und sehe ich irgendwo ein Fahrzeug feststecken, analysiere ich minutenlang die Lage, ob und wie ich es wohl aus seinem Schlammassel befreien könnte. Meinen Rettungsplan merke ich mir dann fürs nächste Mal, dass ich hier mit einem anderen Fahrzeug vorbeikomme, oder mache es gleich. Denn machen wir uns nichts vor, Geld für Upgrades und bessere Maschinen ist knapp und jedes geborgene Gefährt lässt sich - sofern man es nicht selbst benutzen möchte - für gutes Geld veräußern.
Ich habe den Vorgänger Mudrunner nicht gespielt und mittlerweile bereue ich das, denn Saber Interactive hat dem Kontakt des Reifens mit jedem erdenklichen Untergrund ein schönes Denkmal gesetzt, das man immer wieder bestaunt, ob man sich nun in Michigan im Matsch suhlt, in Alaskas Schneeverwehungen zum Erliegen kommt, oder auf der russischen Halbinsel Taimyr mit der Winde reihenweise Birken ausreißt, weil man sich anders nicht mehr zu helfen weiß. Wie schon Death Stranding ist auch hier jeder Weg ein beschwerliches Unterfangen. Sei es, wenn ihr Stahlträger für eine Brückenreparatur heranschafft oder einfach nur den höchsten Punkt eines Gebiets erreichen wollt. Ich hatte beim Spielen schon lange keinen Tunnelblick mehr wie hier, und habe selten mein Handy und vor allem die Uhrzeit so komplett ausgeblendet.
Puristische Fans der Reihe beklagen unterdessen, dass der Hardcore-Modus fehlt und man die Ladung nicht zwingend manuell auf den Schlepper wuchten muss, sondern der Computer das auf Wunsch übernimmt. Mich stört es nicht, beziehungsweise fehlen mir diese Sachen mangels Kenntnis des Vorgängers nicht. Ich habe überhaupt - mit Ausnahme der anfangs verwirrenden Benutzerführung - kaum Substanzielles an SnowRunner auszusetzen, wenngleich es am PC deutlich schwächer performt als ich erwartet hätte. Mich ärgert im Grunde nur, dass man im Koop nur den Kartenfortschritt des Hosts einer Partie vorantreibt, wenngleich man verdientes Geld und Erfahrungspunkte natürlich behalten darf. Und auch die Menschen, die sich mit zahllosen Memes über die irritierend-nervöse Lenkrad-Animation lustig machen, haben durchaus einen Punkt:
Beautiful day for a relaxing ride through Michigan. from r/snowrunner
Klar, so manchem dürfte das Spiel zu hart sein. Auch wenn man sich straflos zur letzten Garage zurückversetzen lassen darf. Dort wird das Auto kostenlos repariert und nachgetankt, nur den Weg zum Ort des letzten Unglücks muss man halt noch einmal auf sich nehmen, sollte der in der Nähe des Missionsziels gelegen haben, an dem man sich gerade versuchen will. Andernfalls darf man sich auch ohne Ladezeit von einem geparkten Fahrzeug auf der Karte zum nächsten beamen. Es ist also kein hartherziges Spiel, so anstrengend man es auch häufig erlebt.
Das schroffe, arg einsilbige und singulär auf effektives Hin und Her ausgelegte SnowRunner ist schlicht nicht für jedermann, wird von manchem vielleicht sogar als eintönig empfunden. Für mich war jede Fahrt, jede Route aufs Neue eine packende Herausforderung und zu merken, wie ich immer schwierigeren Trips gewachsen war, war eine große Freude, nachdem ich mich eingangs noch vor jeder Pfütze drückte. Es ist wohl ein Powertrip der etwas anderen Art. Einer mit Motoröl und Schlammspritzern im Gesicht, der es zelebriert, wenn man geduldig und entschlossen über sich selbst hinauswächst.
Entwickler/Publisher: Saber Interactive/Focus- Erscheint für: PC, PS4, Xbox One - Preis: ca. 40 Euro - Erscheint am: erhältlich - Sprache: Deutsch - Mikrotransaktionen: nein - Getestete Version: PC