So könnte The Division 2 das Beste aus seinem gewagten Thema machen
Der Untergang Washingtons ist zu nah an der Realität - das ist eine Chance!
Mal wieder rückt ein Spiel auf Subtextebene näher an die Realität heran, als dass man es eigentlich noch "gute Presse" nennen könnte. "Amerika steht am Rande des Zusammenbruchs " heißt es im "Der Fall von Washington D.C." betitelten Trailer bedeutungsschwanger, bevor bürgerkriegsartige Zustände beschrieben werden, während in den echten USA die Nerven über präsidiale Lügen, Isolationismus und Menschenrechtsverletzungen zum Zerreißen gespannt sind. Einige Menschen machen sich ernsthafte Sorgen darüber, wie sich Teile Trumps Unterstützerschaft verhalten würden, stürzte er doch irgendwann mal über den Geröllhaufen seiner eigenen Skandale.
Es gab sie schon immer, die Spiele, die Krieg, Gewalt und zivilisatorische Niedergänge Hollywood-reif zelebrierten, während irgendwo anders die Grundlagen dafür tatsächlich zu entstehen scheinen. Es ist im Grunde auch nur nahe Science-Fiction, die Spiele nehmen sich kaum anderes raus als sonst auch, nur die gesellschaftspolitischen Umstände drumherum ändern sich fortwährend und verursachen Reibungen zwischen Unterhaltung und dem, was nicht wenige landläufig als Anstand beschreiben. Wenn es um Krisenherde auf der anderen Seite des Globus geht, denkt man sich die eben weiter weg, als sie es sowieso schon sind, anders funktionierte der erhoffte Eskapismus nicht. Aber wenn im Westen eines der mächtigsten Länder gesellschaftlich so ins Wanken gerät, fällt das entsprechend schwerer.
Das Spiel selbst? Sieht super aus. Massive machte sich vom Beginn der Entwicklung an schon Gedanken über Endgame-Content, samt neuem Spezialisierungs-Skilltree nach Ende der Kampagne und Raids für bis zu acht Spieler, was der Langlebigkeit ebenso guttun dürfte, wie der Verzicht auf einen Season Pass für die drei geplanten Erweiterungen. Nicht ganz unwichtig sind auch die schneller reagierende Steuerung und die erheblich kürzere Time-to-kill. The Division 2 soll sich mehr nach einem Shooter anfühlen, während neue Synergien bei den Skills - diesmal tatsächlich mit Drohne, die wirksam ins Gefecht eingreift und gewissen Problemen, die man nicht alleine lösen kann - ihren Teil zur taktischen Seite des Spiels beitragen. Mehr Action und mehr Strategie zugleich, vor allem aber mehr Anreiz zur Kooperation.
Das frühsommerliche Washington dürfte allerdings der Star hier sein. 20 Prozent größer als der bespielbare Bereich im Manhattan des ersten Teils, gibt sich die "im Grunde eins zu eins" (Massives Game Director Mathias Karlson) nachgebildete Hauptstadt taktisch deutlich offener und visuell abwechslungsreicher. Man will das hier direkt spielen.
Allein, die drastischen Bilder eines gesellschaftlichen Jeder-gegen-jeden, die vor allem in den Render-Trailern eine grimmige Skizze von Amerikas Zukunftsaussichten zeichnen, halten einen im Hier und jetzt, verhindern, dass man hier wirklich eintauchen möchte. Ich habe eine ganze Weile drüber nachgedacht, was mich ausgerechnet diesmal so sehr störte - "been there, done that", oder? Mittlerweile merke ich aber, dass das der falsche Ansatz ist, denn mir schwant, Creative Director Julian Gerighty und Team könnten diese Ausgangslage als Absprungpunkt für eine letzten Endes heilsame Geschichte nutzen.
Hauptsächlich liegt das an einer Äußerung Gerightys im Gespräch mit Kinda Funny Games' Greg Miller. Es sei Aufgabe des Spielers, zu ergründen, wie Washington D.C., die am stärksten geschützte Stadt der Welt, so verlorengehen konnte. "Ihr müsst herausfinden, warum die Stadt fiel, sie wiederaufbauen und die Wiedergeburt der Gesellschaft schützend begleiten", sagte er da. Videospiele begreifen die schlimmste denkbare Katastrophe oft genug als Gelegenheit für Geschichten über den Triumph des Anstands und die Wichtigkeit von Zusammenhalt und Freundschaft. Klar, das ist ein klassisches amerikanisch-flaggenwedelndes Motiv, aber in Zeiten wie diesen ist es vielleicht genau das, was das gespaltene Land braucht?
Das ginge alles auch durch die Blume, ohne direkten Bezug zur tatsächlichen aktuellen Lagerbildung und würde einen gewissen Optimismus befördern, der das grimmige Szenario leichter verdaulich machte: Wir laben uns nicht an diesem Zustand, der uns Loot und unterhaltsame Shootouts garantiert - wir sind hier, um ihn zu korrigieren. Spuren davon sah man in der Kampagne zum ersten Teil bereits, als man New York nach und nach stabilisierte. Gewisse Bilder - gerade wenn man als schwer militarisierter Trupp Hoodies tragende "Gangsta"-Plünderer mit Pistolen dezimierte - vermittelten trotzdem noch einen unguten Beigeschmack, den Tom Clancy vermutlich als Aroma von Recht und Ordnung identifiziert hätte.
Die andere Möglichkeit ist natürlich, dass sich Ubisoft Massive komplett in die Fiktionalität seines Szenarios flüchtet und man beim Spielen nach und nach Realität vom Spiel entkoppelt, bis The Division 2 einfach nur ein weiterer, spielerisch tadelloser Endzeit-Shooter vor pseudo-authentischem Hintergrund ist. Far Cry 5 machte Ähnliches und entzahnte sich damit selbst, wirkte wischiwaschi und tonal inkonsistent. Nein, ich hoffe The Division 2 macht einen Schritt weg von der realistischen Düsternis, hin zur klassisch kitschigen Geschichte von den aufrechten Amerikanern, die an ihren Differenzen wachsen und sich an den Senkeln ihrer eigenen Armeestiefel aus dem Schlamassel ziehen.
Werbung fürs Land, die es zeigt, wie es sich selbst gerne sähe, nicht wie es aktuell ist. Als Erinnerung an das, was sein könnte. Propaganda im Dienste der Volksseele gewissermaßen. Ich bin nicht blauäugig genug, zu denken, dass das am großen Ganzen was bewegen würde. Aber Ubisoft hätte damit seine Schuldigkeit getan und bewiesen, dass es wachen Auges und Ohres durch die Welt geht.
Entwickler/Publisher: Ubisoft Massive/Ubisoft- Erscheint für: PS4, Xbox One, PC - Geplante Veröffentlichung: 15. März 2019 - Angespielt auf Plattform: -