Sonic Adventure (DX)
Zeitgeist vs. Big Cat
Die rosa Brille der Vergangenheit ist eine ziemlich üble Sache, wird sie erst einmal mit der harschen Realität des Jetzt konfrontiert. Letztens schrieb ich noch im Rahmen der Sonic-Colours-Vorschau, dass dies das erste richtig gute Sonic 3D-Spiel seit Sonic Adventure werden würde. Schließlich hatte ich, so dachte ich wenigstens, noch ganz genau dieses erfolgreichste aller Dreamcast-Games im Hinterkopf. Obwohl ich es seit 2000 nicht mehr gespielt habe. Ja, die Dreamcast steht hier noch irgendwo herum, aber mal ehrlich: Wie oft hat man schon Zeit für solche Nostalgie?
Diese musste ich mir jetzt einmal nehmen, denn nach einigen Stunden mit der 360-Version des vermeintlichen Klassikers warf ich den SEGA-Klotz doch mal wieder an. Ich wollte sehen, ob einfach nur der Port all diese Macken aufweist oder ob ich vielleicht damals doch so einiges an legitimen Bedenken zur Seite wischte. Tat ich, aber mir sei verziehen. Jeder Kritiker auf dem Planeten liebte das Game damals auch und schließlich war es zu seiner Zeit das erste Sonic nach der igelfreien Zeit des Saturn.
Gerade nach dem Anspielen von Colours wird allerdings klar, wie problematisch Sonics 3D-Geburt vor einer Dekade so verlief. Gedanke 2000: „Ja, die Kamera könnte besser sein, aber das ist alles noch im Rahmen. Meist richtig gut." Gedanke 2010: „Hängt das Miststück jetzt schon wieder?! Was ist das? Das zwanzigste Mal in dieser Stage allein? F Dich, Du Drecksding! Mir reicht es!"
Etwas konstruktiver ausgedrückt bedeutet das, dass ihr euch mit Sonic Adventure eines der bessern Beispiele ins Haus holt, mit was für 3D-Problemen man vor zehn oder mehr Jahren häufig zu kämpfen hatte. Sofern der Betrachtungswinkel nicht sowieso schon zugunsten einer schönen, aber nur bedingt spielbaren Ansicht gewählt wurde, hängt sie gerne und vor allem wirklich ausdauernd an irgendeinem Objekt fest und bleibt da auch. Bis der Betrachtungsbereich so weit draußen ist, dass ihr den nächsten Hüpfer gar nicht mehr erkennen könnt und einfach auf gut Glück ansetzt. Entweder klappt es und die Kamera zieht nach oder eben nicht. Meistens eher nicht. Frust, wie er eigentlich in keinem Spiel vorkommen sollte und angesichts dessen es erstaunt, wie vergebend man damals diesem Game gegenüber war.
Eine zweite Spielspaßbremse ist die Oberwelt. Offensichtlich wollte man verzweifelt Mario 64 kopieren und das hatte ein Schloss. Sonic hat eine Stadt, ein paar Ruinen und Eggmans Egg-Carrier. Leider sind diese zwar recht hübsch, nur leider komplett tot. Vor allem aber ist es beinahe unmöglich, die nächste Stage zu finden, ohne sich die hirnzerreibenden Zwischensequenzen voll von Dialogen, die nicht einmal der Kinderkanal für japanischen C-Klasse-Anime haben wollte, zu durchleiden. Bei all dem Charme, den ich SEGA seinen Farben und seinen Soundtracks bis heute ungebrochen hoch anrechne, kommt es zur Sprecherwahl in Sonic-Games, scheint das Idealmaß bei Fingernägel auf Schiefertafel zu liegen. Hier gibt es zum Glück nur einzelne Ausrufe, die endlosen Zeilen einer weitestgehend irrelevanten Handlung reicht man gnädigerweise zu großen Teilen als Text.
Die Mini-Games und die Sammelei von irgendwelchen kleinen, putzigen Tierchen gingen schon damals ziemlich weit an mir vorbei, was sich jedoch nach wie vor nicht ignorieren lässt, ist die Notwendigkeit, mit allen Charakteren ein paar Stages zu überstehen. Sonic selbst stellt dabei das leuchtende Vorbild dar, sind seine Stages doch eine angenehme und schnelle Mischung aus chaotischen, aber wunderschönen Sequenzen, in denen ihr wenig mehr macht als den Stick nach vorne zu drücken und zu hoffen, dass es gut läuft, und partiell sehr wilden Hüpfeinlagen. Zeitweilig bekommt man kaum mit, was passiert, da Zurückhaltung bei Sprungweite und Zusammenhang in den Plattformen relativ weit unten auf der Liste der Anforderungen stand. Spaß macht es trotzdem, sich einfach nur an den Stick zu krallen und den Flug in Ungewisse zu genießen.
Das lässt sich leider nicht für alle sechs Charaktere sagen, die man im Laufe der Level freischaltet. Tails und seine Rennen gegen Sonic kommen dabei noch gut weg. Er kann fliegen und nicht so schnell rennen wie Sonic, was sich bei den Wettrennen zwischen den beiden ausgleicht und für ein paar hektische, alternative Ausflüge durch die bekannten Levels sorgt. Amys Flucht vor Eggmans Robotern bietet eine gesunde Mischung aus Hektik mit vielen Plattform-Einlagen und ein wenig Puzzelei. Knuckles verfügt über ein paar schicke Angriffe und Slides, nur nutzen seine Abschnitte diese nicht geschickt aus und so bleiben hier etwas unbefriedigende Eindrücke zurück.