Sonys Tearaway überzeugt auch abseits des Bildschirms
Mit viel Herz und Verstand bereichert Sackboys Thronfolger die Vita.
Mein Lieblingsfeature von Tearaway - dem Vita-Titel, dessen Welt komplett aus Papier und buntem Karton zu bestehen scheint - hat mit dem Spiel selbst nicht so viel zu tun. Nun, zumindest nicht auf den ersten Blick viel. Wann immer ihr eine der kunstfertigen Faltfiguren aus weißem Papier entdeckt, die sich hin und wieder in der Welt verstecken, könnt ihr sie fotografieren und ihnen so die dringend benötigte Farbe verleihen. Dafür erhaltet dafür einen Link. Unter diesem könnt ihr euch dann das entsprechende Schnittmuster samt Bauanleitung herunterladen und ausdrucken.
Im Handumdrehen werden so die würfelig-kauzigen Eichhörnchen, langhalsigen Pferde (?) mit Picasso-artigem Gesichtsausdruck oder rosa Ziehharmonika-Schweine ein bisschen magisch Realität in der echten Welt. Hier machen sich große und kleine Kinder ihre eigenen Actionfiguren und es ist ein wirklich wohliges Gefühl, sich mal wieder zusammen (oder alleine) an einen Basteltisch zu setzen, um etwas zu erschaffen. Die Charaktere sind, wie von den Sackboy-Erfindern von Media Molecule nicht anders zu erwarten, derart gut gestaltet, dass sie sich auch in der schicken String-Regalwand noch ausgesprochen gut machen. Bis die Frau sie wegräumt oder Freunde den nicht zu bändigenden Nachwuchs mit den erstaunlich langen Armen mitbringen.
Der Effekt ähnelt der Spielzeugromantik des plastikseligen Skylanders, nur eben umgekehrt. Sehr clever. Letzten Endes profitiert der Videospiel-Part sogar davon, denn dieses nebengelagerte Spielen macht so viel Spaß, dass die Jagd nach neuen Schnittmustern die Papier-Safari des kleinen Briefmännchens Iota noch einmal deutlich aufwertet. Nicht, dass die nicht auch für sich alleine stehen könnte, denn diese Welt, in der ihr die Sonne seid - die dann mithilfe der Magie der Vita-Front-Kamera - auch eure in Echtzeit grimassierende Visage trägt - ist einfach ein Traum.
Wie durch Stop-Motion-Filmerei sprüht die brennbare Glückseligkeit geradezu vor Leben. Schmale grüne Schnipsel flirren als Gras vom Boden nach oben und legen sich, wenn ihr sie durchschreitet. Tretet ihr auf eine Falte im Grund, plättet ihr sie, als läge dort wirklich ein Bogen Papier mit einem Knick drin. Lauft ihr an geschlossenen lila Pergament-Krokussen vorbei, entblättern diese sich mit einem zärtlichen Rascheln und wann immer ihr ein Ziel erreicht, explodiert Konfetti über euch. Man muss es in Bewegung gesehen haben, um es zu glauben.
Eins zum Liebhaben
Spielerisch entfernt sich das Ganze nicht allzu sehr aus Media Molecules Komfortzone des relaxten Hüpfspiels, auch wenn von den Zusatz-Features der Vita ausgiebig Gebrauch gemacht wird. Das Rückseiten-Touchpad kommt endlich mal wieder sinnvoll zum Einsatz, wenn ihr an bestimmten Stellen mit eurem Finger von unten den Papierboden durchschlagt. Mit dem fotorealistisch nachgestellten Nasenbohrer schiebt ihr Gegenstände durch die Gegend oder jagt den lustigen Schnipsel-Gegnern eine Heidenangst ein. Lustiges Detail: Wenn man an dem Digi-Finger am Riss im Boden vorbeilunzt, kann man sogar durch das Handheld in die Echtwelt schauen. Auch hier wird die Kamera, dieses Mal die auf der Rückseite, clever genutzt, um eine nette Illusion zu erzeugen, die das Abenteuer aufwertet.
Andere Dinge sind weit weniger exotisch und geradezu naheliegend, aber keinesfalls unnütz. An bestimmten Stellen trommelt ihr etwa auf die Unterseite, um Iota in die Luft zu schleudern und höhere Etagen der Welt zu erreichen. Mit der frontseitigen Touch-Funktion zieht ihr unterdessen die Schleifchen von Geschenken auseinander - versteckte Goodies in der Welt - oder dekoriert Iota um, indem ihr ihm nach Sackboy-Art diverse Dinge ins Gesicht pappt. Besonders nett ist die Zeichenfunktion, mit der man im Handumdrehen aus einem Bogen Papier Bärte, Hüte oder Dinge ausschneidet, die Leuten einfallen, die mehr Fantasie haben als ich.
Und dann ist da ja noch die Tatsache, dass Iota, der den Begriff 'Briefkopf' schmissig neu definiert, eine Nachricht für euch ganz persönlich im Herzen trägt. Die an euch zu überbringen, ist das einzige Ziel seiner Reise. Das ist so herzerwärmend, dass es fast egal ist, wie individuell die Message am Ende ist. Ich hoffe jedenfalls schon jetzt, dass die Vita mit der Veröffentlichung der PS4 eine ganze Reihe neuer Freunde findet, damit Iota ein ähnlicher Star-Status zuteilwird wie seinerzeit Sackboy. Zu wünschen wäre es ihm, denn sein Spiel ist nicht weniger einladend und universell als das des laufenden Jutesacks, das seinerzeit Spieler aller Altersklassen und Interessenprofile vor dem Bildschirm vereinte. Wegen diesem hier treffen sie sich bald vielleicht sogar bei abgeschaltetem Fernseher, nur mit Schere, Klebstoff und Tonpapierbögen bewaffnet.